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Ade, alter Lappen
zur geplanten Befristung der Führerscheine

Don M. Barbagrigia
Ach, was waren das für Zeiten, als man seine Fahrerlaubnis noch fürs Leben machte. Schoß man während seiner Jahre auf den öffentlichen Straßen keinen kapitalen Bock, dann gab man den Führerschein erst gemeinsam mit dem Deutschen Personalausweis auf der Totenbahre zurück. Auf der letzten Fahrt ließ man sich chauffieren.
Es ist nun unbestritten so, dass viele Dinge zwischenzeitlich massiven Veränderungen unterworfen wurden. Der Verkehr hat sich enorm verdichtet, das Wegenetz ist unübersichtlicher geworden und während der Deutsche Wald am sauren Regen stirbt, wuchert sich der Deutsche Schilderwald zu dschungelähnlichen Verhältnissen aus, gedüngt vom Mist des deutschen Amtsschimmels. Alles in allem werden an den deutschen Verkehrsteilnehmer hohe bis höchste, in jedem Falle aber von Jahr zu Jahr steigende Anforderungen gestellt.
Die Physiologen jedoch lehren, dass sich der menschliche Körper in Bezug auf seine Funktionalität spätestens ab dem 40. Lebensjahre auf dem permanenten Rückzug befindet. Das betrifft auch die Leistungsfähigkeit seiner Sinne. Hatten wir also noch bis dato die männlichen Teenies und die Anfangszwanziger, welche die Statistik der lebendigen Zeitbomben im Straßenverkehr anführen, weil sie oftmals unfähig sind, ihres Hormonhaushaltes Herre zu werden, so bekommen diese brünftigen Junghirsche nun massive Konkurrenz durch die Alten. Da verwechselt eine Mittsiebzigerin Bremse und Gaspedal und startet durch die Wände eines Parkhauses. Ein Altersgenosse ramponiert erst einmal einen ganzen Fuhrpark, bevor es ihm gelingt, sein Fahrzeug auszuparken, was ihm nichts mehr nutzt, denn mittlerweile ist sein eigenes Gefährt ebenfalls nur noch Schrott. Ein anderer Veteran, der zu seinen besten Zeiten den Königstiger sicher durch den Kursker Bogen steuerte, bekommt der alten Zeiten nicht genug und degradiert den Spaziergang einer Kindergartengruppe zu einem modernen Kriegsschauplatz. Auch wenn die Kinder zum überwiegenden Teil keine kleinen „Russkis“ waren, selbst gegen solche wäre ein so haarsträubender Ausbruch von Gewalt schlichtweg überzogen und durch nichts zu rechtfertigen.
Die seit längerem schwelende Diskussion um die Befristung des Führerscheins ist also durchaus berechtigt. Was bei Fahrern von LKW , öffentlichen Verkehrsmitteln und Piloten seit langem gang und gäbe ist, nämlich die ab einem bestimmten Alter periodisch angesetzte Kontrolle der physischen und psychischen Belastbarkeit, ist also im Interesse der Gesundheit der Menschen sinnvoll. Allerdings, der Bearbeitungsaufwand ist enorm. Und – dieses Gegenargument sticht am Meisten: Was, wenn ein ungebührlich hoher Anteil alter Menschen den Test nicht besteht? Die Alten sind meist die, welche das Geld auf der hohen Kante haben. Sie kaufen den Autohäusern die dicken Schlitten ab – schließlich haben sie ja ein ganzes Leben lang hart gearbeitet. Da wird man sich im Alter wohl etwas gönnen dürfen. Sie füttern die Haftpflichtversicherungen, sie zahlen brav KFZ-Steuern – wenn das so massiv wegbricht, wie es bei strenger Gesundheitskontrolle und nachfolgender strenger Selektion zu erwarten wäre – dann seien Gott und der ADAC vor den Folgen dieser nationalen Katastrophe. Was sind dagegen schon ein paar Kindergarten-Gören oder einige wenige demolierte Parkhäuser, Automobile, Bäume, Verkehrsschilder, Hafenanlagen, Bahnsteige und was der bevorzugten Angriffsziele der fahruntüchtigen Senioren mehr sein mögen!
Nun hat sich die Europäische Union als Prügelknabe billig und dankenswerter Weise angeboten. Sie verlangt von ihren Mitgliedstaaten – und in diesem Falle lässt das mächtige Mitglied Deutschland sogar etwas von sich verlangen – eine einheitliche Regelung zur Befristung von EU-Führerscheinen durchzusetzen. Zunächst aber ist daran noch keine Überprüfung zur Fahrtüchtigkeit gekoppelt. Diese Aktion bedeutet bislang zwar lediglich Mehrkosten in Größenordnungen, dem Volk der Automobilisten muss man aber eine solch bittere Pille stückchenweise verabreichen - und, wie gesagt, nicht nur diesem. Die gesamte Automobil-Lobby und -industrie sowie der Fiskus gehören ja, wie oben festgestellt, ebenfalls zum betroffenen Kreise der Bedenkenträger. Ja, also, was ist das nun? Das übliche Brüsseler Possentheater? Oder der erste Schritt hin auf dem Weg zum „Wir-machen-ernst“? Die Zeit wird es lehren. Doch wat dem eenen sin Uhl ist dem annern sin Nachtijall. Die Träger des öffentlichen Personenverkehrs wird es gewaltig freuen. Sie sind die unzweifelhaften Profiteure dieser Entwicklung. Nun müssen die aber auch entsprechend reagieren. Das heißt, sie müssen dem Privatverkehr eine echte Alternative bieten können. Der beginnt aber in aller Regel an der Haustüre. Die Einkaufsmöglichkeiten, die sich der wachsenden Mobilität des Volkes Rechnung tragend im Laufe der vergangenen Jahrzehnte massiv auf große Einkaufstempel am Rande der Städte zurückgezogen haben, während die Innenstädte überteuert wurden oder verödeten oder beides, sind infrastrukturell oft nur mäßig vom ÖPNV erschlossen. Dafür sind ihre Parkflächen riesig. Wie bekommen die Alten in Stadt und Land, denen der fahrbare Untersatz unterm Arsche weggeschossen wurde, nun ihre Monatseinkäufe nach Hause? Internetbestellung? Teuer, unbequem, man kann die Ware nicht aussuchen und prüfen. Es ist im Bedarfsfalle schwierig sie zu reklamieren. Einkauf per Taxi? Wer sich's leisten kann... Und der zunehmende Rest? Ja, ja, die sparen ja jetzt den Unterhalt für die Karosse... und was ist mit denen, für die sich auf Grund der grassierenden Altersarmut die Frage nach der Fahrtüchtigkeit gar nicht erst stellt, weil sie sich kein eigenes Automobil leisten können? Na, richtig, die haben das Problem ja heute schon. Für die armen Teufel ändert sich gar nix.
Es ist also, wie jede die gesamte Gesellschaft betreffende Entscheidung eine diffizile Fragestellung, so komplex, wie die Inhomogenität der Gesellschaft selbst. Am Ende läuft es doch wieder darauf hinaus, was einem wieviel wert ist. Was wiegt die Mobilität hunderttausender Senioren gegen das Leben von einem Dutzend Kindergartenkindern? Das möge nun jeder für sich ermitteln – denn früher oder später tangiert es uns alle, vorausgesetzt, wir erreichen das entsprechende Alter.

17. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009
02.09..2010