Göttliche Klänge im Kloster Lehnin
          überregionales Programm in der Mutterabtei 
          der Mark
        
          Abb. 1 Kleiner Chor mit großen Stimmen 
          – Lehniner Choralschola verzauberte mit alter Musik
        Kotofeij 
          K. Bajun
          Als der letzte Ton verhallt war, herrschte atemlose Stille. Kein Laut, 
          kein Mucks – niemand wagte zu klatschen. In einer Kirche klatscht 
          man ja auch nicht, der Anstand verbietet es – zumal wenn geistliche 
          Musik erklang. Diese Ruhe aber hatte etwas geradezu Sensationelles: 
          Wer dem Chor "Lehniner Choralschola" an diesem Abend in der 
          Klosterkirche lauschen durfte, schwebte nach dem Schlussakkord bereits 
          einen halben Meter über allem Irdischen. Ein kleines Ensemble nur 
          – vierzehn Damen und Herren, die Gastsopranistin Juliane Sprengel 
          und ihr solistischer Konterpart Werner Blau, der, ebenfalls Gast, mit 
          seinem Bass brillierte. Was die Sänger unter ihrem Dirigenten Andreas 
          Behrendt zuwege brachten, war im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubend 
          schön. "Musik zur Zeit Albrechts von Brandenburg" nannte 
          sich das Programm, das im Rahmen einer ganz besonderen Reihe intoniert 
          wurde. Unter dem Motto "366 +1, Kirche klingt 2012" lassen 
          verschiedene Musici an jedem Tag in einer anderen deutschen Kirche Stimmen 
          und Instrumente erklingen und präsentieren dabei musikalische Schätze 
          aus der Reformationszeit. Angefangen hat das am 1. Januar in Augsburg, 
          enden wird es am letzten Tage des Jahres in Zittau – von A bis 
          Z also. Und weil's dazwischen schön alphabetisch zugehen muss, 
          gleicht die Reiseroute durch ganz Deutschland der Chaotik der Brown'schen 
          Molekularbewegung. Nun war das Mutterkloster der Mark an der Reihe – 
          der Buchstabe "L" also. Rund um den in die Altarstufen eingemauerten, 
          versteinerten Baumstamm erhoben sich Sentenzen, Choräle und Motetten, 
          dass Markgraf Otto, der einst unter diesem Baume eingeschlafen war, 
          sich mit absoluter Sicherheit bereits im Himmel gewähnt hätte, 
          hätte er diese im Traume gehört. Die Liturgie der Zisterzienser 
          wechselte mit der Musik reformierter Komponisten. Luther, Palestrina, 
          Walter und Dressler hießen die Tonschöpfer des Abends und 
          jene, die das zu Gehör brachten, gaben alles: Klangfarben, wie 
          man sie sonst nur von der Ostkirche gewohnt ist, kristallklarer Sopran 
          über dem im Hintergrund vielstimmig gehaltenen, beinahe orchestralen 
          Bass von wunderbarer Konstanz und Ausgeglichenheit. Gestützt von 
          solchem Bass ließ es sich für die höheren Stimmlagen 
          hervorragend tremolieren. Altlagen und Tenöre füllten das 
          Spektrum in der Mitte ohne diesem wunderbaren Sopran von Sprengel die 
          Dominanz im Mindesten abzusprechen. Konsonanzen brachen sich unter den 
          Kreuzgewölben des hohen Schiffs wieder und wieder – Harmonien, 
          die nach göttlicher Vollendung strebten, erfüllten den Raum. 
          Die Spiritualität, die diesen Noten inne wohnt, ging den Zuhörern 
          ins Mark. Das hatte nichts gemein mit der verschmalzten Konsum-Gregorianik 
          aus den Grabbelkisten der Elektronik-Discounter. Vorsicht, liebe protestantische 
          Jünger der Nachtigall von Wittenberg: Die Katholiken sind von alters 
          her Experten für ganz großes Kino! Architektur, Liturgie 
          und – Musik! Wenn die römische Kirche ihre Notenheftchen 
          aus dem Fundus holt – der Abend in Lehnin ließ eine Ahnung 
          davon aufkommen – dann kann die Gegenreformation schon mal den 
          Schampus kalt stellen! Die Ergriffenheit war den Hörern ins Gesicht 
          geschrieben. Der Abend hatte noch eine gewichtige Überraschung 
          parat! 48 Pfund nämlich wog der Foliant, der das Deutschlandweite 
          Programm wie ein Tagebuch begleitet. Wer wollte, durfte sich in den 
          Wälzer eintragen. Am Ende der langen Reise wird die wuchtige Scharteke 
          dem Deutschen Historischen Museum (DHM) übergeben und jeder, der 
          auf der "Lehniner“ Seite dieses Buches steht, hat für 
          diesen Abend ein wasserdichtes Alibi: Er oder sie waren in einem Himmel 
          voller großer Musik, vorgestellt von einem kleinen Chor eines 
          kleinen märkischen Städtchens, überirdisch schön 
          und überwältigend im Erleben!
        
          Abb. 2 Dieser fürs DHM bestimmte 
          Foliant nahm die Namen der Zuhörer des Abends auf.