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Klein-Moskau im Theaterpark
Heike Katzwinkel bringt wunderbaren Ostrowskij auf die Laienbühne


Abb. 1 Onkelchen bhütet das Geld und die Familie.

Kotofeij K. Bajun
Würde jemand auf Brandenburgs Straßen fragen, was unter „entzückend“ und herzerwärmend zu verstehen sei, man weise nur mit dem Finger in Richtung Studiobühne des Brandenburger Theaters. Ostrowskijs „Feiertagstraum vor dem Essen“ wird gespielt und – man ist wieder in einem richtigen, unaffektieren Theater. Solides Bühnenbild, schöne Kostüme, welche die Zeit des Stücks um 1857 reflektieren... Das Beste aber, das wirklich Reizvollste, das sind die Mimen. Das ist diese nur wenige Köpfe zählende Laientruppe um Heike Katzwinkel, die für ein hochkarätiges Stück russischer Nationalliteratur Herzblut gab. Da steckt keine schauspielerische Ausbildung dahinter, keine Hochschule, kein Bühnenstudium, nur die Liebe zum Spiel, sehr viel Fleiß und auch unbestritten – Talent!
Die ganze Aufführung ist so erfrischend unverfälscht und das kleine Ensemble ist formidabel!
Worum geht es? Ein kleiner Moskauer Beamter der niedrigsten Besoldungsstufe verdient gerade mal 10 Rubel im Monat. Er will mehr vom Leben. Eine gute Partie – das wär's doch. Und siehe, um die Ecke wohnt die hübsche Kapotschka, gespielt von einer herzig naiv überzeugenden Daniela Hallmann. Und das Kaufmannstöchterlein ist 300.000 Rubel schwer. Die Mutter, unter der Sommerhitze leidend, tumb und gutmütig - Petra Göhrlich lässt die wohltemperierte Studiobühne nur mit ihrer Gestik schwitzen - ist bereit, auf den Handel einzugehen und die Tochter dem Hallodri anzuvertrauen. Dieser ist der einzige Profi im Laientheater. Tobias Pilarski spielt den Schreiber Balsaminow und seine Ausbilder täten gut daran, ihn allein für diese Leistung zu diplomieren. Man kann sich nur wünschen, diesem jetzt schon facettenreichen Mimen noch öfter auf den Brettern zu begegnen, welche die Welt bedeuten. Die Mutter Balsaminows, Carola Jagdhuhn... ach, gnädige Frau, Handkuss und Chapeau! Sie brachte das kleinbürgerliche Moskau auf die Bühne, so wie es auch mit Thomas Leopold als Onkelchen wohl bisher noch keinen so überwältigend unverfälschten Vertreter des orthodoxen Ostens im Theaterpark gab, wie diesen Hobbydarsteller. Das war Russland! Das einzige, was nicht ganz stimmte, war der Bart des Kaufmanns.


Abb. 2 Balsaminow wirbt um Kapotschka

Nur dem war seine Künstlichkeit anzumerken. „Entzückend“ - dieses Prädikat darf getrost auch Nadin Fröhnel für sich in Anspruch nehmen und das nicht nur, weil es lautmalerisch so nah an „zickig“ liegt. Ihre Ustinka ist ein Paradebeispiel für eine leicht zickige, blasierte und parvenuehafte „Höhere Tochter“, um keinen Widerspruch verlegen, voller hoher Ansprüche, bei deren Anblick allein man zum Pantoffelhelden schrumpft. Und doch, und doch – man bekommt kein Auge los von diesem kleinen Wirbelwind. Auch die Nebencharaktere, wie Köchin, Zofe und Heiratsvermittlerin sowie das schrullige Tantchen (Anna Jonas) hat Katzwinkel präzise besetzt und formvollendet agieren lassen. Es zählt zu den unbestreitbaren Meriten der Regisseurin, aus diesen Rohdiamanten kleine Brillanten geschliffen zu haben. Überhaupt ist es das Verdienst dieses Ensembles, Ostrowskijs Atmosphäre authentisch zu übersetzen. Der große, spitzzüngige Chirurg der russischen Seele..., man meint, ihn könne nur verstehen, wer Mütterchen Russland im Blut hat. Die aber, diese kleine Laientruppe – die bringt das! Es ist phänomenal: Duktus, Mimik, alles stimmt. Ja, sie haben mal kleine Verschleiferchens drinnen, Holperchens und Stolperchens und klitzekleine Hänger. Aber großer Gott – das ist der unwiderstehliche Charme einer Laienbühne, einer Truppe von unausgebildeten Enthusiasten, die weit, weit mehr errungen hat als nur einen Achtungserfolg. Und überhaupt – man merkt es kaum – denn zu gebannt hängt man an dem Stück, lässt man sich hineinziehen in die Handlung. Sicher, sicher, man kennt seinen Ostrowskij, weiß, wie's ausgeht, aber man möchte es doch selber sehen. Und so sitzt der gestandene Kritiker in seinem Sessel wie ein kleiner Junge vor dem Weihnachtsbaum. Soll man das Stück empfehlen? Was für eine Frage! Natürlich! Denn das ist kein Klamauk, keine Aneinanderkettung fader Pointen. Der „Feiertagstraum“ ist eine Perle der russischen Bühne, ein Tomogramm der ewig menschlichen Natur, verpackt in witzig, spritzigen Dialogen, die allerdings sublim und sachte und alles andere als rustikal derb daherkommen. Sie wollen gefunden und geschmeckt sein, wie ein perlender Krimsekt. Doch, ja, in jedem Falle: Wem Kultur von Rang und Klasse am Herzen liegt, der muss sich das einfach anschauen!


Abb. 3 Wem gilt wohl der Treueschwur - dem Mädchen oder dem Gelde?

 
B
11. Volumen

© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2012

05.04.2013