Baaks

zurück zum Landboten

 

Brandenburg an der Havel und sein Hauptbahnhof

J.- F. S. Lemarcou
Als man ihn 1846 baute, lag er weit südlich vor den Stadtgrenzen. Man litt das Dampfross wohl nicht zu nah an den Wohngebieten. Doch Bahnhöfe zogen schon immer Bevölkerung an. Wo viele Menschen tagtäglich durchlaufen, lässt es sich gut handeln und das Wohnen kommt später. So war denn auch folgerichtig der Bahnhofsvorplatz der Chur- und Hauptstadt Brandenburg an der Havel zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine städtebauliche Perle. Lauschig, einladend, mondän. Dann kam der Krieg und mit ihm die Zerstörung, der Wiederaufbau, die Neustrukturierung. Irgendwann wurde auch den Städteplanern der DDR klar, dass man nunmehr den Verkehr aus der Innenstadt heraus in die Peripherie verlagern müsse. Das Eisenschwein, wie man die Straßenbahn mittlerweile despektierlich nannte, wurde zurückverlegt, weit, weit weg vom Bahnhofsgebäude. Denn zwischen den Gleisen der Elektrischen und denen der Eisenbahn schob sich nunmehr eine vierspurige Tangente hindurch – den Automobilisten zur Freude, den Eisenbahn-Reisenden zum Leide: Man kommt an, wuchtet sein Gepäck über die Bahnhofsplatte, starrt verzweifelt auf das rote Ampelmännchen, hofft, dass es noch in diesem Jahre grün werde, vor allem aber, dass es grün werde, bevor die Straßenbahnen zur Abfahrt bimmeln. Denn diese fahren so oft nicht und wenn sie weg sind, dann braucht es schon mal 20 Minuten, ehe die nächste um die Ecke zuckelt! Also stürmt der Reisende los. Glück gehabt! Dem LKW, der gerade „Grün“ hatte, konnte er trotz schwerer Koffer noch mal entwischen. Pech gehabt! Das quiekende und quietschende Ungetüm namens Straßenbahn ist losgerattert, bevor er die andere Straßenseite erreicht hatte. Nun kann er sich in aller Ruhe die drögen Plattenbauten besehen, die seit den Siebzigern wie ein drohender Riegel dem altehrwürdigen Bahnhofsgebäude gegenüber stehen. Das Bahnhofsumfeld der Havelstadt ist eines der unwirtlichsten des Landes. Das ist eigentlich ein Paradoxon. Denn eingebettet ist es in die bezauberndsten Havelauen und Wiesen. Nördlich der Bahnanlagen allerdings hat diese Landschaft aufgehört zu existieren. Bis hin zum Jakobsgraben sind die ehemaligen Flächen des Neustädtischen Bahnhofs und etliche Wiesen einer riesigen Parkfläche gewichen, denn ein Parkhaus gibt es mitnichten. Das ist alles so improvisiert, so lieblos, so abweisend. Der Wohnriegel aber vertrat jahrzehntelang die Funktion einer tollwütigen Wachtöle, die jeden Ankömmling anknurrte und verbiss.
Der Beschluss zum Abriss dieses Wohnblockes ist nun Gott sei Dank im 19. Jahr der Einheit gefallen – der Riegel kommt weg. Gut! Aber das löst noch keineswegs eine Reihe von geradezu etablierten Problemen. Nach wie vor ist die Straßenbahn viel zu weit weg vom Bahnhofsgebäude. Nach wie vor muss der Reisende sich durch Wind und Wetter zu den Straßenbahnen, zum Taxistand und zu den eigenen Automobilen kämpfen. Nach wie vor ist weder ein Nutzungskonzept für eines der wertvollsten und ältesten Bahnhofsgebäude Ostdeutschlands noch für den Stellwerksturm aus der Jugendstilzeit, vierhundert Meter nordöstlich des Hauptbahnhofes, gefunden. Doch just dieser Bahnhof zählt zu den Haupteingängen der Stadt, die das Zeug hat zu den Schönsten des Landes zu zählen. Die einzige denkbare Alternative, auch wenn es ein Vermögen kosten sollte, besteht in der Untertunnelung der Bahnhofsplatte. Die Straßenbahn muss wieder an den Hauptbahnhof herangezogen werden. Die Zugänge zur Straßenbahn und zum Taxistand sollten überdacht sein. Unter diesen Umständen wäre eine Revitalisierung des unmittelbaren Bahnhofsumfeldes denkbar. In ihrem Gefolge ist dann auch eine Entwicklung der noch immer desolaten Bahnhofsvorstadt wahrscheinlich. Zählt doch in anderen Städten die Bahnhofsumgebung zu den quirligsten Lebensbereichen überhaupt. In Brandenburg an der Havel aber muss man leider noch immer vom Gegenteil ausgehen. Das ist schade, denn hier wird Potential für die Zukunft verspielt.

12. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2008