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Brügge – Perle Flanderns

Auferstanden aus der Armut und dem Reichtum zugewandt


Brügge bei Nacht

Jules-Francois S. Lemarcou. Rathenow. Die Perle Flanderns … Brügge. Was für eine überwältigende Stadt! Was für ein atemberaubendes Ensemble vorwiegend gotischer Baukunst.

In dieser Stadt war das Geld unübersehbar zuhause. Sicher nicht bei jedermann – das ist schon klar. Wie sonst hätten es die Lokatoren Herrn Erzbischof Wichmanns von Magdeburg und der askanischen Markgrafen sonst schaffen sollen, viele Siedler aus dem reichen Flandern nach dem Wilden Osten zu locken? Wenn du ein Häuschen in Brügge dein Eigen nennst, und sei es in der Dritten Reihe, dann tust du dich schwer, das alles für eine gefahrvolle, monatelange Reise aufzugeben, dessen gewiss seiend, dass du die Heimat nie wiedersiehst.

Was erwartete dich auch? Ein paar Jahre Steuerfreiheit. Die Zuteilung von ein paar Pachthufen Land? Sand und Gestrüpp? Paar auf's Maul von den ortsansässigen Slawen, die sich noch keineswegs damit abfinden wollten, ab sofort Menschen zweiter Klasse zu sein. Ach komm! Da muss man schon mächtig Knatsch mit der Obrigkeit und den Nachbarn gehabt haben, wenn man mit einem Beutel voller Geld Haus und Hof verlassen hat.

Schaue man sich doch die Kuhbläken im Fläming an! Besehe man sich doch Brück, das seinen Namen, wie bei Kolonisten üblich, der alten Heimat entlehnte und nach dem stinkreichen Brügge benannt wurde: Dieser Weiler passt auf den Brügger Marktplatz und seine Katen reichen – einschließlich des Kirchturms nicht mal über die Wipfel der Bäume. Das noch nach achthundert Jahren.

Brügge wartet mit anderen Dimensionen auf. Mit ganz anderen. Die beiden Kirchtürme von Sankt Salvatius und der Liebfrauenkirche sind gewaltige 102 und 115,5 Meter hoch, der Belfried bringt es immerhin auf stolze 83 Meter. Vierstöckige Bürgerhäuser aus Stein - und das schon vor achthundert Jahren! Man denke an die Mutter aller Börsen dieser Welt: das Haus Ter Beurze, daneben die venezianische und die Genueser Handelsvertretung.

 

 

Sicher, der Klerus wird zugesehen haben, dass der Bürgerstolz nicht über die geistlichen Repräsentationsansprüche hinauswächst.

Was die Kirche jedoch nicht verhindern konnte, ist, dass der Belfried im Herzen der Perle Flanderns steht und den Marktplatz dominiert – die wuchtigen Kirchen stehen abseits.

Ja, in Brügge ist wieder das Geld zuhause. Die Juweliere bieten Preziosen feil, die siehste im Reich nicht mal auf’m Kudamm, auf der Koe, aufm Stachus oder auf der Elbchaussee. So was gibt’s dann vielleicht noch bei De Beers in London oder Amsterdam, auf dem Londoner Strand oder der Champs Elysees.

… wieder reich … Ja, war denn das je anders? Und ob! Brügge durchlebte ein ähnliches Schicksal wie Rothenburg ob der Tauber oder Tangermünde und manch andere pittoreske Ortschaft in Deutschland und Europa. Einst bedeutend, änderten sich die Zeiten, die Gegebenheiten, die Standortfaktoren, die Produktionsbedingungen, die infrastrukturellen Anbindungen … Im Falle Brügges versandete der Nordseehafen und war nicht mehr für die größer werdenden Handelsschiffe anzulaufen.

 

 

Das politische Machtzentrum zog um, dem Mammon hinterher und aus war’s mit der alten Hanseherrlichkeit. Gent setzte auf Industrialisierung, Rotterdam auf seinen Hafen – jetzt wurde dort das große Geld gemacht.

Natürlich steckten die Bürger das in ihre jeweiligen, aufblühenden Städte. Modern, modern – bloß nicht hinterm Mond bleiben! Renaissance ist nun angesagt, später Barock und Biedermeier, Jungendstil und Postmoderne!

 

 

Dabei verliert sich der lebendige Organismus Stadt. Er wird zum Flickwerk, zum Flickenteppich – uneinheitlich in Erscheinung und Architektur. Dreckig geht es auch den neuen Zentren in den Zeiten des Krieges, denn sie sind Ziele der Zerstörung. Der Krieg lichtet die Straßenfluchten. Neues muss nach der Beendigung der Kampfhandlungen die Lücken auffüllen. Erst seit Kurzem sind die Menschen bemüht, die gewachsene Textur zu berücksichtigen und in den Kontext der Stadtplanung harmonisch einzufügen.

Plötzlich besinnt man sich. Romantische Gefühle brechen sich Bahn: Die gute alte Zeit! Wohl dem, der noch ein bisschen alte Substanz zu bieten hat. Die wird aufpoliert. So wie in Brügge. In der Nachbarmetopole Gent aber reicht es bezüglich der historischen Substanz hinten und vorne nicht. Ein paar Kirchlein, der Grevenstein, der Belfried und das Ende der Fahnenstange ist erreicht.

 

 

Die Brügger haben ihre maue Zeit ausgesessen. Sie haben durchgehalten in ihren gotischen Klitschen. Dann kamen die Leute mit dem Geld. Die kauften an Immobilien, was nicht niet- und nagelfest war, brachten ihre erworbenen Häuschen auf Vordermann.

Kaufen ist einfach, wenn die Gegend arm ist und die Leute nichts zu beißen haben. Stein kann man nicht fressen. Erde auch nicht. Beides ist dann wohlfeil.

 

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So, nun glänzen die Häuschen, die Spitzbögen, die Lisenen, die Butzenscheiben, die Maßwerke, die schwärzen Torflügel.

Als nächstes kommen folgerichtig die Touristen, die ihr Glück kaum fassen können, so ein komplett erhaltenes, mittelalterliches Ensemble vorzufinden. Kein Disneyland! Das hier ist echt!

Knips, Knips die Kamera und: Taler, Taler, du musst wandern, von der Touristentasche der einen in den Säckel der Stadtobrigkeit der ander'n.

Nun wird der öffentliche Raum aufgehübscht, während die Grundstückspreise wieder Hanseniveau erreichen. Der Touristenverkehr schießt durch die Decke, die Postkartenindustrie kommt kaum hinterher. Scheiß auf Industrie und Hafenlärm! Was woanders sauer verdient wird, das wird hier freien Herzens mit lockeren Händen ausgegeben.

Unter uns Pastorentöchtern: Das heutige Brügge spiegelt keineswegs das Leben der gotischen Epoche. Iii bewahre! So naiv kann man nicht sein! Auch wenn sich die hervorragende private Ausstellung HISTORIUM auf dem Markt alle Mühe gibt sogar ein paar olfaktorische Eindrücke zu vermitteln. Blödsinn. Eine Kanalisation wie in Mohenjo Daro oder Harappa, im alten Rom oder auf Santorin, im Alten Kreta, den Metropolen Alt-Chinas oder bei den Mauren in Bagdad und Cordoba - völlige Fehlanzeige.

Auf den Gassen wälzten sich die Schweinchen und gackerten die Hühner, die Leute wateten durch entsetzlichen Unrat, die Kanäle, die Brügger Reien, stanken entsprechend und werden klinisch tot gewesen sein. Die Leute kratzten sich ob der vielen Floh- und Läusebisse, die Rattchens quiekten vergnügt und aus Angst vor der Cholera soffen die Leute das gute Belgische, bis sie Sterne oder gar nichts mehr sahen.

Das ist die Wahrheit des Mittelalters. Eiternde Schwären und die allgegenwärtige Frage aus tausend Mündern im Angesicht der gewaltigen Kirchtürme, für deren Finanzierung man tausende Bettler ein Leben lang hätte satt bekommen können: "Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?"

Doch siehe da – Ururururopis und Ururururomis alter urbaner Tüttelkram, in den Zeiten der frühen Moderne aus tausenden hungernden Mägen von Herzen verflucht, denn ein gotischer Kasten bietet nun mal keine Vollkomfort-Appartements – nicht, wenn man arm ist – also, der alte Kram kommt wieder zu Ehren und verwandelt sich in eine Gelddruckmaschine.

 

 

Was lehrt uns das? Durchhalten, wie André Kostolany bereits mit erhobenem Zeigefinger lehrte: Halten, Kinders! Ihr habt Aktien von Opi geerbt? Halten! Nicht um des kurzfristigen Gewinns willen verhökern!

Klar, irgendwer muss produzieren und sich die qualmenden Schornsteine vors Fenster stellen. Aber abwarten – früher oder später tragen sie dir das sauer verdiente Geld in deine Restaurants, Museen und Souvenir-Läden. Alles, was du tun musst, ist, an der Kasse sitzen, freundlich lächeln und die Hand aufhalten.

Ja, sicher, im Stadtzentrum von Brügge zu wohnen, ist angesichts der Touristenströme kein Zuckerschlecken. Andererseits – die Alten wussten, wie man solide baut. Sie taten es, weil sie die Mittel dazu ja reichlich besaßen. So ein gotisches Patrizierhaus hat schon ganz respektable Mauern. Die halten den Lärm draußen, Wärme und Kälte drinnen – je nach Bedarf – und ein Innenklo mit Dusche haben die mittlerweile auch schon.

 

 

Nach hinten raus, wenn’s nicht gerade ein Wassergrundstück an den Kanälen, den Reien ist, kann’s auch sehr gemütlich sein und vor allem still und beschaulich, die Amsel zwitschert, die Nachtigall schlägt – lass die mal da draußen kreuz und quer über den Großen Markt latschen, schnattern und lärmen, lachen und mit ihren Fahrradschellen klingeln!

Die arme Zeit von Beginn des 16. Jahrhunderts bis in die Mitte des letzten ist vorbei. Sechshundert Fuß vom Markt entfernt, sechshundert Jahre altes Haus – nein, nicht sechshundert Millionen Dollar. Aber ein Vierzigstel dieser Summe sollten man schon einplanen. Das ist weitaus mehr, als die Meisten von uns in ihrem Leben brutto je zusammenbekommen werden

Brügge – Perle Flanderns – alles richtig gemacht. Wir lieben dich, stolze, wunderschöne Stadt. Wir lieben dich.

alle Fotos: © Preußischer Landbote

31. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2003
xx.06.2025