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Ordensschloss Marienwerder

– das Muss in Pomesanien

Michael L. Hübner
Marienwerder – mächtige Ordensfeste in Pomesanien. Leider wurde das die Stadt weithin überragende Ensemble ausgangs des 18. Jahrhunderts um seinen Ostflügel gebracht, den man idiotischerweise abriss, um Baumaterial für ein Haus in der Stadt zu gewinnen. Doch noch immer thront das Ordensschloss hoch über dem Flüsschen mit dem schönen Namen „Liebe“ im gotischen Stil der wuchtigen, ehrfurchtgebietenden, aus Backstein aufgeführten Wehrklöster des Deutschen Ordens. Alles ist hier eine Nummer kleiner als auf der nur dreieinhalb Meilen, entsprechend annähernd 40 km, nördlich gelegenen Marienburg.


Abb. 1 Das Schloss des Deutschen Ordens zu Marienwerder Wpr. (heute Kwidzyn)

Aber allein die äußerliche Imposanz verfehlt ihren Eindruck auf den Besucher nicht. Da erhebt sich der Danzker, der Toilettenturm, weit außerhalb des Burggeländes. Der letzte Pfeiler, der den überdachten Gang zu ihm trägt, ragt 18 m in die Höhe. Monumental schließt sich der Dom an den Schlosskomplex an. Im Norden steht der Wasserzisternenturm über einer noch immer sprudelnden Quelle ebenfalls separat und sicherte die Versorgung der Feste mit Trinkwasser im Falle der Belagerung.

Doch das alles bildet nicht das eigentliche Faszinosum. Auch nicht die schönen Gewölbe im Innern des Schlosses oder auch die konservierten Wegweiser-Inschriften aus der Zeit ausgangs des 19. Jahrhunderts, als das Schloss der westpreußischen Justiz als Gerichtsgebäude und Gefängnis diente.


Abb. 2, 3, und 4: Unverkrampft, der Wahrheit verpflichtet und sachlich gehen die Polen mit einer für sie sehr bedrückenden Epoche der Geschichte um.

Was das Herz mit Rührung erfüllt, ist ihr museales Repertoire: Da ist zunächst diese von jeder Ideologie entrümpelte Ausstellung zur ethnographischen Geschichte des pomesanischen Landstrichs. Hier zeigt sich am Deutlichsten, wie unwichtig es ist, ob jemand zu Lebzeiten deutsch oder polnisch sprach. Ein Porträt einer Landfrau zu Beginn des Jahrhunderts zeigt ergreifend das Gesicht einer arbeitsamen und einfachen Frau, um deren nationale Zugehörigkeit sich bestenfalls potenzgestörte Männchen bekümmern mögen.

Der Pflug, die Egge, das Handbeil – beides unterschied sich entlang der damaligen deutsch-polnischen Grenze um kein noch so geringes Detail. Vielleicht die Schränke und die Truhen, welche die Bauernstuben zierten – doch ihr Zweck war wiederum derselbe.

Dann aber die naturkundliche Ausstellung: Die Polen schwimmen nicht im Geld. Aber was sie hier mit ihren kargen Mitteln zustande gebracht haben, dass lässt den Besucher weitaus eher daran denken, in die Knie zu gehen, als vor dem Sitz des Hochmeisters.
Das treibt einem schier die Tränen in die Augen! Die slawischen Völker waren seit jeher für ihre tiefe Verbundenheit zur Natur bekannt. Und just diese Wesenheit offenbart sich in den vielen, überwältigend schönen Dioramen, die mit unendlich viel Sinn und Zuwendung zum Detail geschaffen wurden. Dafür kann man den Polen nicht genug danken.


Abb. 5, 6 und 7: Die naturkundliche Ausstellung ist überwältigend schön!

Ja, dann ist da auch noch die hübsche Sparschweinchen-Ausstellung – allerliebst. Eine kleine Sensation aber halten noch die Kellergewölbe bereit. Sie dokumentieren eine Reihe archäologischer Grabungen in Marienwerder – ebenfalls entrümpelt von jeglicher ideologischer Verbrämung. Nüchtern, sachlich, informativ – zweisprachig: polnisch und deutsch. Hier wird kein Propagandafeldzug betrieben. Die Gespenster, die das Leben zwischen Deutschen und Polen noch bis in die Neunziger des verwichenen Jahrhunderts vergifteten – auf Marienwerder sind sie nachdrücklich ausgetrieben worden – nota bene, durch die Polen!

Nur wer weiß, welch ungeheures Leid deutscher Nationalismus über die Polen jahrhundertelang gebracht hat, kann diese generöse und von menschlicher Größe zeugende Haltung des tapferen westslawischen Volkes würdigen.

Wer sich kulturaffin von Thorn auf dem rechten Ufer von Mütterchen Weichsel nach Norden auf Marienburg /Wpr. zubewegt, für den sollte ein Halt in Marienwerder ein unbedingtes Muss sein. Unsere Nachbarn, die Polen, haben uns viel zu lehren. Und wir Deutschen tun gut daran, genau hinzuhören und hinzusehen. Marienwerder ist der deutlichste Beweis. Eine gewaltige Zwingburg, errichtet mit dem Ziel, die umliegenden Völkerschaften auf Dauer zu kontrollieren. Der Orden ging an seiner eigenen Macht und der ihr regelmäßig folgenden Arroganz und Dekadenz zugrunde.

Diese Gewalt hat auf Dauer keinen Bestand. Was Bestand hat, sind die Schmetterlinge, die Eidechsen, das Wildschwein und das Stockentenpärchen, die so wunderbar dargestellt, eine tiefe Zuneigung zur Natur dokumentieren. Bestand hat die kleine Ausstellung zu den ausgestorbenen und vom Aussterben bedrohten Fauna – die auch, mit nur wenigen Exponaten, in einer Weise in Szene gesetzt wurde, dass man nur demütig den Hut ziehen kann. Der ganze Wahn moderner, von Geld und nochmals Geld diktierten Exhibitionstheatralik westlicher Prägung kollabiert hier vor der Schlichtheit und dennoch berührenden Anmut einer musealen Darbietung der Spitzenklasse.

Was wir hier lernen, ist: Es geht nicht um multimedialen Firlefanz, an dem sich die verwöhnte Jugend ergötzen mag, um nicht ihrer dümmlichen Langeweile zu verfallen, die sie bereits fest mit dem Besuch eines Museums verbindet. Es geht, darum, Information so zu vermitteln, dass sie im Herzen der Besucher ankommt und haften bleibt. Dafür bietet das Ordensschloss Marienwerder ein Paradebeispiel erster Güte.

Auch der Reiseführer, der für 25 Zloty an der Kasse angeboten wird, lohnt ein näheres Hinsehen. Es ist die Art, wie die Polen ihrem deutschen Publikum Schloss, Domkirche und Ausstellung nahebringen. Hochwertig gestaltet, ist er allemal konkurrenzfähig. Was ihn aber so besonders macht, das ist die Art, wie hier gesprochen wird: Das Deutsch in diesem Heft tritt parkettsicher und gewählt auf – und doch folgt es dezent einem Duktus, der im modernen Deutschland bereits im Aussterben begriffen ist. Genau das ist es, was das Herz des Lesers wärmt, als käme er in die Tage seiner Jugend zurück in die Stube der Großmutter, die in der Küche das Essen kocht, während im Ofen das Feuer knistert. Dieser Schreibstil hat Atmosphäre – und distinguiert sich darin wohltuend von den oft trocken und langweilig gehaltenen, politisch korrekten Ausführungen vergleichbarer Publikationen in Deutschland.


Abb 8: Auch diese freundliche, kleine Enten-Dame ist Teil der Marienwerderaner Ausstellung. Sie lädt zum Sparen ein. Vielleicht für einen Ausflug zu ihr ins schöne Pomesanien?

 
B
12. Volumen

© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2012

01.01.2015