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"MARINA - Diese Welt hat keinen Platz für mich"

Ein Horrortrip durch die deutsche Psychiatrie

Kotofeij K. Bajun
Dieses Buch ist wohl in einem Atemzuge mit Remarques „Im Westen nichts Neues“ zu nennen, denn man muss es einer Antikriegsliteratur zuzählen, deren erschütternde Anklage keinen Leser unberührt lassen wird.
Es fällt kein Schuss. Aber am Ende steht, wie in jedem Kriege, der Tod. Der Tod der Autorin, eines blutjungen, hochintelligenten, reich emotionalen und kreativen Mädchens, die eine Bereicherung der Gesellschaft hätte sein können und am Ende an der bornierten Dummheit ihrer Umwelt scheiterte.
Die Kriegsschauplätze sind die grauenhaft gequälte Seele dieses Mädchens Marina und eine Psychiatrie der deutschen Gegenwart, die schonungsloser in ihrer perfiden Unfähigkeit nicht hätte entlarvt werden können, als durch die chirurgisch präzise Analyse der Autorin und den Nachbemerkungen der Mutter Marinas. In einem tief beeindruckenden Skript ihrer Aufzeichnungen rechnet Marina ab. Sie, die hoffnungsvoll und hochbegabt in ihr junges Leben startete, wird das Mobbingopfer von Altersgenossen, die intellektuell weit unter ihr stehen. Doch die Schwachköpfe sind in der erdrückenden Überzahl – und das verleiht ihnen die Macht, auszugrenzen und zu peinigen.
Dort, wo Marina Hilfe sucht, beginnt für sie der Weg in den Untergang. Eine Psychiatrie, die sich bis auf den heutigen Tag trotz Kilotonnen beschriebenen Papiers und wissenschaftlichen Anstrichs nur um wenige Konfektionsgrößen von ihrem Ursprung entfernt hat, zeigt sich auch im Falle Marinas als hilflos, inkompetent, überfordert und indolent. Die Mitarbeiter dieser Kliniken sind, bis auf wenige Ausnahmen, nicht in der Lage, den leidenden Menschen in seinem schmerzhaften Erleben abzuholen. Statt dessen wird kategorisiert, schabloniert und auf das Überwinden der Störung im Rahmen einer Gruppendisziplin gesetzt. Margot Honecker hätte ihre helle Freude an diesen verhinderten Apologeten spätkommunistischer Jugendwerkhof-Erziehungsmethoden gehabt!
Marina – in ihrem 16. Lebensjahr nach zwei Jahren Tortur in der Psychiatrie – sieht keine Chance zur Linderung ihres Leidens mehr, als den Tod. Welch eine Bankrotterklärung hochbezahlter Psychiater und deren Personals, die es noch nach dem Tod des Mädchens ablehnen, Verantwortung zu übernehmen! Darin dokumentiert sich vor allem die verderbliche Haltung dieser Dilettanten: Sie substituieren die unbedingt im heilenden Gewerbe erforderliche Demut vor dem Leiden des Nächsten durch unreflektierte Machtausübung und bodenlose Arroganz, durch Chemie und durch Fixiergurte. Wer einen anderen Menschen festbindet, zeigt damit, dass er selbst in der eigenen Vorstellungswelt fixiert ist. Just diese Erkenntnis arbeitet dieses arme Mädchen eloquent und in bewundernswerter, mit gleichzeitig ebenso sachlichem wie emotionalem Duktus heraus. Kein Horrorroman könnte den realen Albtraum einer jungen Frau zu Herzen gehender beschreiben! Kein Standardwerk könnte die tödlichen Schwächen der aktiven Protagonisten gnadenloser sezieren als dieser Tatsachenbericht: Hier sind Menschen am Werk, die sich Macht anmaßen, welche durch keine belegbare Leistung unterlegt oder gar autorisiert wird. Es ist die Macht, die sich auf eine willfährige und fachlich noch inkompetentere Jurisdiktion und deren Exekutive stützt – nicht auf Wissen und nicht auf karitative Liebe.
Zwischen dem posthum veröffentlichten Bericht Marinas und den Erklärungen der Mutter stehen einige Gedichte der unglücklichen Autorin. Sie greifen dem sensitiven Leser an die Seele. Und sie zeigen, welches Potential in diesem Mädchen schlummerte. Zertreten von aberwitziger Ignoranz und Dummheit, nicht nur der Dummheit einiger „Seelenexperten“, sondern der Dummheit und Unreife einer ganzen Gesellschaft, die einzig dafür verantwortlich ist, dass solche intellektuellen Parvenüs die Macht erhalten, ein blühendes Leben zu zertreten, das mit rechtzeitiger Hinwendung und dem erforderlichen Maß an Demut vielleicht zu erhalten gewesen wäre.
Wird Marinas Tod zu einem Fanal? Es ist dieser Publikation der edition fischer zu wünschen. Es ist dem geistigen Nachlass dieses bemerkenswerten Mädchens zu wünschen, dass Hunderte und Tausende ihrer Leidensgefährten und ihrer engagierten Angehörigen sensibilisiert werden. Ein entmündigendes System einer unfähigen, die Menschenwürde mit Füßen tretenden Psychiatrie ist nicht mehr länger kritiklos zu akzeptieren! Eine grundlegende Reform der Anforderungen an jene ist vonnöten, denen das Kostbarste am Menschenleben anvertraut wird:Die menschliche Seele! Möge dieses Buch seinen Beitrag zu diesem längst überfälligen Schritt durch eine weite Verbreitung leisten! Möge es den Scharlatanen der Zunft die Maske herunterreißen sowie Psychiatrie und Jurisdiktion unter Erfolgsdruck und Responsibilität stellen! Nichts weniger ist eine ganze Gesellschaft einer ihrer Töchter schuldig, die hochbegabt und unverschuldet nach grausamem Martyrium ihr Leben an einen unzeitigen und sinnlosen Tod verlor.

Diese Welt hat keinen Platz für mich
Wie ein Mädchen in der Psychiatrie zerbricht
Marina
edition fischer, 2014, Frankfurt am Main
ISBN 978-3-89950-819-2

 

 
B
12. Volumen

© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2012

06.09.2014