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Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk
Ein Jahrhundertbuch

Dieser Aufsatz ist in Dankbarkeit dem Manne gewidmet, dem der Preußische Landbote den Zugang zum Shwejk verdankt -

OA Dr. med. L. H. aus der Chur- und Hauptstadt Brandenburg an der Havel.


Bild: Josef Lada

Kotofeij K. Bajun
Mit einer Riesenkanone, der „Faulen Grete“ zertrümmerte einst Friedrich I. von Brandenburg die Burgen des märkischen Raubadels. Er befriedete die darniederliegende Mark. Auch aus der Literatur sind solche Riesengeschütze mit buchstäblich durchschlagendem Erfolg bekannt. Eines davon ist der Schwejk Jaroslav Hašeks und Josef Ladas.

Zwölf Jahre gingen ins Land und 385 Besprechungen, ehe der Preußische Landbote den Mut fasste, sich einem der ganz großen Bücher zuzuwenden, die das 20. Jahrhundert hervorgebracht hatte.

Es ist aber auch, das sei zu unserer Entschuldigung gesagt, eine Herausforderung, sich dem Schwejk Jaroslav Hašeks in angemessener Weise zu nähern. Und – Gott vergebe uns diese Blasphemie – selbst unserem Blatt-Heiligen Sankt Kurt Tucholsky gelang es unserer Auffassung nach nicht zur Gänze, in seinem Aufsatz vom 8. Juno 1926, erschienen in der Weltbühne Nr. 23, den Schwejk dort zu würdigen, wo er eigentlich erst interessant zu werden beginnt, nämlich in der zweiten Hälfte des Buches.

Nein, der Schwejk ist kein Schelmenroman! Er ist eine geniale Karikatur aller Jünger der Dame Stultitia, der Dame Dummheit, auf die Erasmus von Rotterdam sein höhnisches Lob dichtete.

Hašek, dieser versoffene Lebemann, der seine ganze borniert-dümmliche Umwelt nicht ernst nehmen konnte und doch in ihrer Gefährlichkeit so bitterernst nahm, fuhr gegen den perversesten Auswurf der menschlichen Dummheit, den Krieg nämlich, seine eigenen Geschütze auf.

Er lud sie mit Tinte und seinem überragenden Grips. Dann ließ er die Kanonenrohre seines brillanten Geistes feuern, bis die Mündungsrohre glühten. Und jeder Schuss traf in die Mitte!

Es ist viel zu kurz gegriffen, wenn man meint, der Verdienst des Schwejk läge ausschließlich darin, die marode Donaumonarchie auf dem Felde der Literatur so geschlagen zu haben, wie es die Jünger des Mars auf Seiten der Triple Entente an den Fronten des Ersten Weltkriegs taten. Es würde dem Schwejk auch nicht gerecht werden, ihn lediglich als Vorläufer des legendären Catch#22 des Joseph Heller zu sehen, oder ihn in eine Reihe mit anderen großen Antikriegsromanen des 20. Jahrhunderts zu stellen. Der Schwejk ist etwas ganz Besonderes.

Natürlich verwendet Hašek die Stilmittel der Karikatur. Das heißt, die erlebte Wirklichkeit wird gering überzeichnet. Doch die Handlung bleibt so detailgetreu im Gesamtkontext des Zeitgeschehens, dass das karikierende Moment beinahe darin untergeht. Man nimmt Hašek ab: So und nicht anders war es!

Jaroslav Hašek entwirft ein Panoptikum, ein Diorama seiner Zeit mit dem Anspruch auf Gültigkeit, solange Nackte Affen dieses Erdenrund behausen. Mit brutaler Schonungslosigkeit seziert der Sprachgewaltige all die Charaktere seines Werkes. Besonders die hohlen, sadistischen, neurotischen, seelisch schwer geschädigten Dummköpfe, denen Fortuna, das launische Weib, Machtpositionen in die Hände spielte, finden sich aufgespießt auf Hašeks spitzer Feder wieder. Mit den einfachen, armen, bildungsfernen Minderbemittelten geht der Autor milder um. Sie sind für ihn in erster Linie Opfer des Systems, wenngleich wir uns nicht darüber täuschen sollen, dass diese Gestalten, sollten sie durch die Launen des Schicksals ebenfalls in machtvolle Stellungen gelangen, bis auf wenige Ausnahmen denselben Missbrauch treiben würden. Der Einjährig-Freiwillige Marek wäre so eine Ausnahme. Dessen philosophisches Grundgerüst verleiht ihm eine Integrität, die ihn immun macht gegen die Anfechtungen und Verlockungen der Macht.

Selbst dem Protagonisten Schwejk bliebe die Heiligsprechung versagt. Wir lesen, dass auch er gnadenlos von seiner Stellung als bewaffneter k. u. k. Soldat Habsburgs Gebrauch macht, um diejenigen zu schurigeln und per Requirierung um das Wenige zu bringen, was sie noch besitzen, die als armselige Zivilisten auf der sozialen Leiter noch unter ihm rangieren – wenngleich dies kaum noch möglich scheint.

Einen anderen, von leidlicher persönlicher Festigkeit gezeichneten, Charakter entwirft Hašek denn auch in der Gestalt des Oberleutnants Lukaš; natürlich ein Tscheche – die germanischen Völkerschaften haben die Blödheit für sich gepachtet. Bezeichnenderweise lässt Hašek diesen exzellenten und tüchtigen Offizier auch keine Fortschritte im militärischen Avancement machen, gleichwohl ihm längst der Rang eines Hauptmanns oder Majors zugestanden hätte.

Nein, Hašek postuliert ein eisernes Dogma: Je höher die Chargierung, desto vertrottelter, idiotischer, senilkonfuser und blödsinniger der Inhaber des betreffenden Ranges. Wobei der fein beobachtende Chronist, denn diese Funktion übt Hašek in Bezug auf sein 91. Regiment ebenfalls aus, einen sublimen Zug der menschlichen Seele nicht unbeachtet lässt: Haben die Offiziere einen Generalsrang erreicht, von dem ihnen trotz aller Verkalkung im Hirn klar ist, dass es von jetzt ab keinen weiteren Aufstieg mehr geben wird, dann gesteht ihnen der Autor auch eine gewisse, schwachsinnige Milde nach unten zu. Unbeschadet dessen behandeln diese Gauner im Generalsrang die Soldaten noch immer wie kleine Kinder. Besonders entartet treten uns jedoch diejenigen Figuren gegenüber, die sich mit ihrem Sadismus gegen die Untergebenen für einen weiteren Karrieresprung empfehlen wollen. Sucht man einen diesbezüglichen Kulminationspunkt, so wird man schnell beim Leutnant der Reserve Dub fündig.

Diese Antithese menschlicher Intellektualität lässt Hašek süffisant im Zivilleben als Gymnasialprofessor arbeiten. Wir ahnen, welche Kreaturen nach der Matura aus den Klauen solcher Idioten in die Welt hinaus entlassen wurden. Wir beginnen zu begreifen, wo auch die Wurzeln des nächsten großen Krieges zu suchen wären.

Hašek entwirft uns das Bild einer pyramidalen Gesellschaftsordnung, deren ganzer Kitt auf der Verachtung des sozial Tieferstehenden ebenso beruht, wie auf der Katzpuckelei vor dem Höherstehenden.

Das Bild des k. u. k. Soldaten im Auge seines Vorgesetzten ist unverhohlen das eines Viehs. So wird er auch fortwährend betitelt. So wird er behandelt. Die einzige Würde, die ihm in Aussicht gestellt wird, ist die, nach seinem Tod vom Kanonenfutter zum ehernen Helden erhoben zu werden, der noch niedrigeren Gestalten, als er es selbst zu Lebzeiten war, den Feinden nämlich, das Leben genommen hat.

Hašeks Seziermesser ist unbarmherzig. Es ist scharf wie eine Rasierklinge. Seine Sprache ist gewaltig wie die Oskar Panizzas. Hašek, der als Redakteur einer landesweit erscheinenden Tierzeitschrift seine Leser und die Fachwelt verhöhnte, indem er ihnen periodisch angeblich neu entdeckte Tiere präsentierte oder altbekannten Spezies zum Ärger der Fachwelt einfach mal neue Namen gab, macht mit uns einen Ausflug in den menschlichen Zoo. Er zeigt uns die Nackten Affen in ihrer Lächerlichkeit, deren Ausmaß mit jedem Orden, jedem Stern auf Schulterstück oder Kragenspiegel, jedem Streifen auf dem Ärmel, jeder gesellschaftlicher Rangstufe zunimmt. An der Spitze dieses kranken Haufens steht naturgemäß der – Kaiser! Und der ist am dämlichsten. Wie der Herr, so's Gscherr! Nein, hier irrt Hašek: Die Verblödung ist der Masse immanent. Sie erst gebiert ihre Führer und Subalternen.

Dennoch – das ist der Kaiser Hans Christian Andersens. Hier bekommt er seinen Namen. Und Hašek beschränkt sich nicht darauf, wie jener kleine Junge zu rufen: Der Kaiser ist nackt! Hašek zieht das ganze Gelichter aus – von ganz oben bis nach ganz unten. Schonungslos. Er präsentiert sie uns in all ihrer Erbärmlichkeit und lässt uns auch während der Lektüre lachen. Obwohl uns doch eigentlich zum Weinen zumute wäre, weil wir ja zwischen jeder Zeile den garstigen Ernst der unverblümten Realität spüren.

Natürlich war es ein intellektueller Geniestreich von Hašek, den gleichermaßen an Dia- wie an Logorrhoe krankenden Kadetten Biegler den „beschissenen Kadetten Biegler“ zu nennen. Das war er wirklich, er und das ganze Offizierskorps, mehr noch die ganze Mischpoke, wie sie sich auch gegenwärtig noch in beinahe unveränderter Form präsentiert.

Und Schwejk selbst? Er ist die am schwersten zu fassende Gestalt dieses epochalen Werkes. „Minus mal Minus gibt Plus“, lehren die Arithmetiker. Wenn also Schwejk von Idioten zu einem amtlich anerkannten Idioten erklärt wurde, so bedeutet dies nichts weniger als die Nobilitierung zu einem Weisen. Ist er das? Ist er das vielleicht deswegen, weil er begriffen hat, dass einem System nicht mit offener Gewalt zu begegnen ist, das einen Wirt nur deshalb für zehn Jahre hinter Gitter bringt, weil Fliegen ein öffentlich ausgehangenes Kaiserbild in seiner Wirtsstube verdreckt haben? Ist er das, weil er mit Eulenspiegeleien die Befehlskette unterminiert, indem er ihr doch mit vorgetragener fanatischer Begeisterung punktgetreu gerecht zu werden sucht? Und just damit die ihr ganze, innewohnende Idiotie wiederum auf sie zurück krachen lässt?

An all dem wird etwas Wahres sein. Aber das erschöpft längst nicht das breite Spektrum dieser fiktiven Persönlichkeit der Weltliteratur. Der Preußische Landbote verfügt auch nicht über die Kapazität, dem Schwejk eine umfassende und wasserdichte Psychoanalyse angedeihen zu lassen.

Unser Interesse gilt denn auch einem ganz anderen Aspekt dieses Buches: Der Sprache und der enormen Kenntnis der Materie, mit der Jaroslav Hašek wie mit Donars Hammer Mjöllnr auf die Riesen der Dummheit eindrosch und sie in Stücke und Scherben schlug, bis sie winselten und den kläglichen Versuch unternahmen, dieses Buch zu verbieten. Die Zielpersonen seines unversöhnlichen Hasses schossen mit Pulver und Blei – Hašek antwortete mit einem Flächenbombardement von Tinte. Die Patronen der Feinde sind verrostet, die Schützengräben von damals überwuchert. Der Name Schwejk aber lebt weiter.

Ihm droht nur Gefahr durch tumbe Verfilmungen, etwa mit einem Heinz Rühmann in der Hauptrolle. Ihm droht nur Gefahr durch die breite Masse, zu deren Wiederherstellung der Würde er doch einst verfasst wurde. Wenn sich zwei einfache Soldaten gegenseitig vorwerfen, der andere sei blöd wie Schwejk, dann – dann erst droht ein legendärer Rohrkrepierer die Stellung Hašeks zu vernichten!

Dem Preußischen Landboten aber bleibt nur das Gebet: „Heiliger Jaroslav, der Du sitzest im himmlischen „Zum Kelch“ zur Rechten Kischs und saufest Dir gerade an böhmischem Pilsner die Hucke voll, gib uns die Gnade Deiner Sprache, verleihe uns die Macht Deiner Worte, gib uns Dein immenses Fachwissen, auf dass wir Deinen Krieg gegen die brutale Mikrobe der menschlichen Dummheit weiterkämpfen können!“ Jaroslav Hašek – sie haben Dich bis aufs Blut gequält und dann hast Du zurück geschlagen! Erbarmungslos – ein Krieger des Geistes! Du konntest das Unkraut der bestialischen Blödheit – und damit ist beileibe nicht der angebliche Schwachsinn Schwejks gemeint – nicht ausrotten. Es wächst unentwegt nach. Aber Du hast ihm die Stirn geboten – Du und dein Freund Josef Lada. Dieser kongeniale Zeichner, ohne den Dein Werk nicht denkbar und nicht vollständig wäre.

Auch wir können nicht gewinnen. Das kann bestenfalls der Komet. Oder – noch effektiver – der dumme Nackte Affe selbst, indem er die eigene Gattung zielstrebig ausradiert.

Aber es wäre uns die größte Ehre, uns zu dem Regiment mustern zu lassen, dem Jaroslav Hašek bis buchstäblich zu seinem Tode diente. Und es ist weiß Gott NICHT die Rede vom 91. Infanterieregiment in Budweis.

 
B
12. Volumen

© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2012

08.07.2015