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Die Rotkäppchen-Verschwörung
Eine geniale Märchen-Adaption aus den U.S.A.

Kotofeij K. Bajun. Havelsee. Herr Katz sagte einmal, die Amerikaner und ihre Kulturleistungen wären zu neunzig Prozent nicht zu gebrauchen – aber die verbliebenen zehn Prozent wären genial und unerreicht. Diese Faustformel ließe sich auf so ziemlich jeden Bereich ihrer kulturellen Errungenschaften anwenden: vom Straßenkreuzer über ihre Literatur, bildende Kunst bis hin zur Cineastik.

Letztere brachte vor nunmehr siebzehn Jahren ein Werk hervor, das seinesgleichen sucht, dass wir mit einer „Standing Ovation“ beklatschen, das zu besprechen dem Landboten eine Ehre ist.

Es handelt sich um die animierte Adaption und Neuinterpretation des Märchens vom Rotkäppchen. Die Amerikaner tauften das Original „Hoodwinked“. Auf Deutsch würde man sagen „Reingelegt!“. Die Deutschen aber wählten einen anderen Filmtitel, einen, der mehr Bezug zum Inhalt bietet: „Die Rotkäppchen-Verschwörung“.

Ja, der Film ist bereits 2005 erschienen. Das war im dritten Jahrgang des Landboten. Siebzehn Jahre danach mit einer Besprechung aufzuwarten, mag etwas zäh erscheinen. Pardon! Wir können uns nur entschuldigen und sage: „Besser spät als nie!“

Also: Der Film bietet sich seiner Aufmachung und Gestaltung entsprechend als Kinderfilm an. Das ist er zweifelsohne auch und gerade für diese Zielgruppe verdient er das Prädikat „Besonders wertvoll“. Er hätte mit Oscars übersät werden müssen, wenn denn dieser Preis irgendetwas anderes als abgekarteten Kommerz zum Ausdruck brächte.

Es gab eine Nominierung beim Saturn Award als bester Animationsfilm – das war’s. In einem Land wie den U.S.A. – und es dürfte bekannt sein, welche Haltung der Preußische Landbote dieser Nation gegenüber einnimmt – ist das eher ein Ausweis überragender Qualität.

Das Anliegen dieses Streifens ist nämlich nicht die plumpe Nacherzählung eines Märchens, gepaart mit einigen belanglosen Slapsticks, puritanisch-verlogener Erotik und bösen Ingredienzien. Er kommt zumindest nicht primär daher mit öden Verfolgungsjagden á la Tom und Jerry, Grizzly und die Lemminge, Coyoten-Carl und Roadrunner etc. Er lehrt seine kleinen Zuschauer etwas ungeheuer Wichtiges – und diesen Lehrauftrag erfüllt er sogar Leuten gegenüber, welche sich ihrem Alter entsprechend erwachsen dünken, geistig jedoch noch immer auf einer infantilen Weltsicht stagnieren.

Dieser Film unterrichtet geradezu ohne aufdringlich schulmeisternd zu wirken. Es geht darum, näher hinzuschauen. Es geht darum, die Dinge aus möglichst vielen Perspektiven zu betrachten und nicht dem ersten, augenscheinlichen Eindruck zu vertrauen. Es geht um nicht weniger als um die schärfste Waffe gegen die Mikrobe der Menschlichen Dummheit – den Konstruktivismus, eine multidirektionale und multifokale Betrachtungsweise, um Objektivität und das Hinterfragen von vermeintlichen Realitäten.

Ein Objekt aus einer Vielzahl von Perspektiven zu betrachten, die Frage nach dem WARUM zu stellen, zuzuhören – vor allem und immer wieder ZUZUHÖREN, genau zuzuhören, nicht nur das gesprochene Wort zu registrieren, sondern alles, was dazwischen mitschwingt – nur so kommt man der Wahrheit am nächsten.

Das Leid, welches durch intellektuell minderwertige Schüsse aus der Hüfte entstanden ist, wie sie uns Chief Grizzly präsentiert und wie es wohl jedem unserer verehrten Leserschaft genugsam auch aus der eigenen Biographie oder dem eigenen Erleben bekannt ist, zählt nach Myriaden von qualvollen Erfahrungen.

Haben die Menschen in zwölftausend Jahren Zivilisationsgeschichte etwas dazu gelernt? Mitnichten. Dabei lebt jeder einzelne Krimi – und die machen mittlerweile gefühlte achtzig Prozent des Fernsehangebots aus – von unerwarteten Wendungen. Der Gärtner war der Mörder.

Doch über den Unterhaltungswert hinaus bieten solche Krimis dem gewöhnlichen Konsumenten recht wenig. Einer praktischen Transmission hinüber ins reale Leben begegnet man beim Publikum nur selten. Just hier liegt das enorme Potential der Rotkäppchen-Verschwörung.

Dabei liegen diese Erkenntnisse seit Jahrtausenden vor. Schon immer gab es kluge Köpfe, welche die Grunderkenntnisse aus der Rotkäppchen-Verschwörung thematisierten, formulierten, lehrten.

Aber es ist, wie der Dr. med. Lothar Hübner einst sagte: „Mit dem Einzelnen kann man reden. Die Masse hingegen – und die beginnt bei einer Akkumulation von drei nackten Affen – ist doof, denkfaul und verlangt rasche, bequeme und unkomplizierte Lösungen. Das ist es, was sie so gefährlich macht.“

Deswegen unterstreicht das angloamerikanische Geschworenen-System ja auch die Richtigkeit des Satzes: Das Gegenteil von Gut ist nicht Böse, sondern Gutgemeint.

Die größere Anzahl von „Richtern“, deren Pluralität vor der Willkür und der Fehlbarkeit eines einzelnen schützen soll, gefährdet den Delinquenten weit mehr als der Richterspruch jenes Einzelnen. Bei letzterem hat der Delinquent quasi eine hälftige Chance zu einem gerechten Urteil zu gelangen. Bei der Masse geht seine Aussicht darauf gegen Null. Es sei denn, er ist wirklich ein Verbrecher. Dann ist beinahe jeder Möglichkeit Raum geboten, dass er freigesprochen wird.

Ja, sicher, die Theorie der Schwarmintelligenz sagt etwas anderes aus. Sie besagt, dass die Masse intelligenter ist als das Individuum. Das mag bei einer konzertierten Beurteilung eines Sachverhalts auch mitunter stimmen, da unterschiedliche Aspekte aus unterschiedlichen Richtungen auf einem Punkt fokussiert werden. Schwarmintelligenz weist aber in aller Regel instinktive Züge auf, keine determinierten Entscheidungsleistungen.

Insofern spiegelt der Film „Die Rotkäppchen-Verschwörung“ fundamentale Erkenntnisse. Wer immer vom jungen Zielpublikum über genügend intellektuelle Ressourcen verfügt, die Botschaft quasi zu inhalieren, adäquat in die eigenen Denk- und Verhaltensmuster einzubauen, bekommt mit dieser wunderbaren Animation einen wert- und nachhaltigeren Lehrstoff vermittelt, als in zwölf Jahren Schulzeit. Das hält fürs ganze Leben und bewahrt vor vielem Unglück.

Vielen Märchen sind tiefenpsychologische Botschaften unterlegt. So auch dem vom Rotkäppchen, dessen sexualisierte und entwicklungstheoretische Aussagen unübersehbar sind. Die Märchenadaption durch Frau und Herrn Edwards sowie Herrn Leech hingegen vermittelt Frontalunterricht vom Feinsten.

Mit dem Nachfolgeopus „Das Rotkäppchen-Ultimatum“ von 2011 zerstören die genialen Filmemacher allerdings ihre eigene Legende, weil sie den Rat des Sherlock Holmes nicht beherzigten, dass des wahren Künstlers Kunst darin bestehe zu wissen, wann man aufhören müsse.

Der im ersten Film kongeniale Ansatz mit seinem edukativen Plot versandet in der Fortsetzung zugunsten eines billigen und gewöhnlichen, an den Haaren herbeigezogenen Märchen-Krimis für Kinder, platt und einfallslos.

Zu einem taugt diese Fortsetzung dennoch: Nichts zeichnet einen schärferen Kontrast zu der ursprünglichen Originalität und dem hohen Qualitätsanspruch des ersten Teils.

Insofern schließt der Landbote seine Hymne auf die Rotkäppchen-Verschwörung mit den Worten: „Und wenn die Idee der Rotkäppchen-Verschwörung noch nicht gestorben ist – dann möge sie noch lange weiterwirken!“

 
B
13. Volumen

© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2012

26.05.2021