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Ein Schweinchen auf großer Reise
Frau Kathrin Schärer setzt mit „Johanna im Zug“ neue Maßstäbe in der Kinderbuchliteratur


mit freundlicher Genehmigung des Atlantis Verlag Zürich

Kotofeij K. Bajun
Man denkt, man hätte schon alles gesehen. Man denkt, die Ideen zu einem hübschen, einem anspruchsvollen, einem ins Herz gehenden Kinderbuch wären ausgereizt. Da kommt nichts mehr. Doch. Da kommt etwas... mit der Post aus der Schweiz, vom Atlantis-Verlag, und wessen Seele - und wohne sie auch in einem etwas betagteren irdischen Hause wie dem Meinigen – für ein schönes Kinderbuch ins Schwärmen geraten kann, dem werden die Hände zittern, wie sie mir zitterten, dem werden Tränen über die Wangen laufen, wie sie mir über die Wange liefen. Das hier ist etwas anderes, etwas Neues: Hier interagiert die Autorin Frau Kathrin Schärer – Madame, ich ziehe den Hut ganz tief vor Ihnen – mit einem von ihr gezeichneten Schweinefräulein – Herrgott, was muss die Frau das Borstenvieh gerne haben! Das kleine Schweinchen fährt mit einem großen Zug, nein, zuerst, fährt es gar nicht. Es ist überhaupt noch nicht da. Ein großes weißes Blatt liegt da, unbemalt, unbeschrieben, eingerahmt von den so was von echt gezeichneten Utensilien auf dem herrlich verkramten und detailversessenen Schreibtisch der Autorin. Sind das Ihre Hände, gnädige Frau? Akzeptieren Sie einen ganz warmen und langen Handkuss? Zur Linken liegen drei Folianten: Max Frisch – ach, es hätte doch auch der Wilhelm Tell für die Schule sein können, der den Schweizer Nationalmythos einst so herzerfrischend demontierte, wie Sie die herkömmlichen Vorstellungen von einem Kinderbuch. Darunter der obligate Dürrenmatt, darunter der aktuelle Dauerbrenner von Mercer: Nachtzug nach Lissabon. Interessiert euch das, Kinder? Nein? Macht nichts. Später vielleicht. Uns Journalisten schon. Es wirft so ein interessantes Seitenlicht auf die Autorin. Muss einen klugen Kopf auf den Schultern haben, einen sensiblen, einen, der so genau hinsieht, wie sie zeichnet. Und es gibt etwas, da können nicht viele Erwachsene hineinsehen – und das sind eure Kinderseelen. Eine solche Kinderseele besitzt ihr Säulein Johanna, die Liebliche, die einen Fleck haben will auf der Schulter, wie eine Bunte Bentheimerin. Ja, so ein ganz klein wenig eitel ist sie. Ist ja schließlich ein Schweine-Mädchen mit neugierigen Öhrchen, die sie auch mal im brausenden Fahrtwind flattern lässt, mit Augen, in die man sich verlieben muss, mit einem erwartungsfroh in die Welt gruffelnden Rüsselchen. Diese kleine Johanna entdeckt diese Welt, ihre Welt – und sie will etwas von ihr. Sie möchte ein Kleidchen, mit Streifen und quergestreift soll's auch sein. „Nun mach schon, mal mir eines“, fordert sie ihre Zeichnerin auf – und die tut ihr den Gefallen mit geschulter Hand. Und man blättert um und kann nicht anders als umblättern. Das Telephon klingelt, na und? Lass klingeln. Der Chefredakteur ruft, jedenfalls bewegen sich seine Lippen. Man hört es nicht, ist auch egal. Hier und jetzt ist nur eines wichtig: Dieses Buch, diese Reise eines kleinen Schweinchens mit einem Zug aus einem Büchlein heraus und wieder in die Seiten hinein. Sie reden miteinander, die Autorin und ihr Schweinchen Johanna. Wir aber lauschen, wir reden mit, wir sind gefangen im Geschehen, wir Erwachsenen, vierzig Jahre über das Alter derer hinaus, für die das Büchlein mutmaßlich geschrieben und gezeichnet wurde. Frau Schärer und Johanna reden miteinander und verändern somit seitenweise gemeinsam die Realität. Frau Schärer hat noch keine Ahnung, wie das Säulein-Fräulein heißen soll. Na, nicht so schlimm, die schlaue Zicke aus dem Nachbarabteil weiß Rat. Konfektion geklärt, Name geklärt, aber die Welt ist doch so viel größer. Der Zug fährt durch einen Tunnel, das Reiseschwein sieht sich im Abteilfenster gespiegelt. Es schreit: „Juhuuu!“ und ist glücklich. Johanna ist kein Glücksschwein. Sie ist ein glückliches Schwein. Das ist ein Unterschied und ein ganz gewichtiger dazu! Sie macht uns glücklich – nicht als Maskottchen, sondern als ein Mädchen, das die Welt liebt und uns verhärmte Gesellen mit hineinzieht in die von ihr geliebte Welt. Sie ist aktiv – das ist ihr Geheimnis! Sie spielt mit der allmächtigen, der gravitätischen Zeit, lässt sie unbefangen vor- und rückwärts laufen, wenn es gilt, einer misslichen Situation zu begegnen. Sie begegnet misslichen Situationen. Die bleiben ihr nicht erspart. Sie wird beklaut, erschreckt... Frau Schärer lässt das Schweinchen keinesfalls durch eine süßlich-verlogene, heile Welt schweben. Fesselnde Authentizität. Und doch ein Übermaß an Herzensgüte – sowohl bei der Autorin als auch bei ihrem Schweinchen, dem die Dame neben dem Kleidchen und dem Namen eine Selbstbestimmtheit, eine Souveränität mitgab, wie sie nur ganz wenige literarische Figuren je für sich beanspruchen durften und wie sie jedem Kinde zu wünschen ist.
Apropos Kinder..., „wollt ihr woll die Finger von Papas Buch weglassen! Das ist meines! Ihr bekommt Taschengeld, ihr Rangen! Lauft halt einmal weniger in dieses Fastfood-Restaurant und geht dafür auf die andere Straßenseite zum Herrn Buchhändler! Der gibt Euch mit Freuden ein Exemplar, in dem ihr blättern könnt, soviel hier wollt. Nicht in diesem! Das legt sich Papa schön in die Vitrine, hinter Glas, zu „Mrs. Marlowe's Mäusen“, das auch ein sehr schönes Kinderbuch ist.“
Und da kann ich's sehen, von meinem Schreibtisch aus. Und kann mich mit meinem Schweinchen Johanna unterhalten, wenn der Herr Chefredakteur wieder mal grantelt und dann habe ich ein festgefrorenes Grinsen zwischen den Ohren und der Chef wundert sich eins. Lass ihn! Wann immer es geht, wollen wir zusammen auf Reisen gehen, Johanna, nicht wahr? Eine angenehmere Reisegefährtin kann man sich nämlich einfach nicht wünschen.
Und Kinders, wenn ihr bei dem Herrn Buchhändler nach Papas schönem neuen Büchlein fragt, es heißt : „Johanna im Zug“ von Frau Kathrin Schärer und ist bei atlantis in Zürich unter der ISBN 978-3-7152-0582-3 erschienen. Was eine ISBN ist? Der Herr Buchhändler weiß es. Und nun fragt nicht so lange, los jetzt!

 
B
8. Volumen

© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009
06.11.2009