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Faszinierende Gotik
Magdeburger Ausstellung noch bis St. Nikolaus geöffnet

Kotofeij K. Bajun
Das Wochenende im Magdeburger Kulturhistorischen Museum zu verbringen, war wohl nur für die Gruppe der Klaustrophobiker nicht die erste Wahl. Für den Rest de Bevölkerung anscheinend schon, denn so ein ungeheures Gedränge, so ein Besucherstrom gereichte auch denen internationalen Musentempeln in den Metropolen dieser Welt zur Ehre. Nur ein Tag wie dieser, und das Stadtmuseum der Magdeburger Tochter Brandenburg an der Havel hätte für das Jahr ausgesorgt. Was aber zog denn nun die Legionen der Neugierigen in die Stadt unseres Herrn Kaisers Otto? Eine Ausstellung war es: „Aufbruch in die Gotik – der Magdeburger Dom und die späte Stauferzeit“. Wir erinnern uns, Gotik, war das nicht diese Kunstepoche, die der Romanik folgte? Statt der zwar in all ihrer Schlichtheit bildschönen, dafür aber wuchtigen und nur mit kleinen Fensterchen versehenen Kirchen und Profangebäude nunmehr verspielt, beinahe zerbrechlich wirkende, himmelsstürmende Kathedralen. Gotteshäuser mit einem Außenskelett, die ersten Wolkenkratzer der Europäer. Gotik, Gotik... Tantarellas, Estampidas, Ductias – ja die Alten wussten zu musizieren, zu tanzen, fröhlich zu sein und ihre Musik hatte mitunter sogar mehr Bumms, mehr Feuer, und sprühte dabei vor lieblicher Unwiderstehlichkeit, als ein Rolling-Stones-Concert unserer Tage. Hier stolpern wir schon über das erste Geheimnis, warum sich die Besuchermassen gegenseitig die Luft zum Atmen nehmen: Eine wunderbare Einführung in die Welt der spätmittelalterlichen Musik, Trinkhörner zu Kopfhörern umgestaltet, man kann sich auch als musikalischer Laie ein kleines gotisches Orchester zusammenstellen – und man hört und hört und sieht das Instrumentarium unserer Ahnen und flucht über die spanische Hoforchestrierung, die unsere Sackpfeife, die Schalmei, den Brummtopf und den Dulcian, die Fidel und die Drehleier sukzessive aus den europäischen Konzertsälen und dem abendländischen Bewusstsein verdrängte. Wer kein Geld für eine Sackpfeife hatte und auch nicht das Geschick, sich eine solche zu bauen, der blies einen kleinen Röhrenknochen aus, versah ihn mit Löchern und – fertig war die kleine Flöte, das wohl älteste Instrument der Menschheit.
Die mittelalterliche Welt aber, diese festgefügte und in Erz gegossene Ständeordnung, war weitaus mehr als Tanz und Vergnügen: Sie war knallharte Realpolitik bei gleichzeitiger tiefster Frömmigkeit. Dass der Magdeburger Erzbischof Günther an einem Heiligen Abend des frühen 15. Jahrhunderts das ganze Dorf Schmerzke in einen lichterloh brennenden Christbaum verwandelte um seinem Gegner Wichard VIII. von Rochow auf Golzow eins auszuwischen, und gleichzeitig aber mit seinem Gotte innigste, tränenbenetzte Zwiesprache in Sack und Asche hielt, war für diese Epoche kein Widerspruch. Der Barbarossa-Vertraute Erzbischof Wichmann, der wohl größte und bedeutendste Kirchenherr der Elbestadt, war gleichzeitig General-Migrations- und Kolonisationsmanager. Heute würde man sagen: ein Wirtschaftskapitän der ersten Liga. Ebenso sein Nachnachfolger, der Käfernburger Albrecht, der die ottonische Südkirche als erste gotische Kathedrale Deutschlands errichtete und das gleich in Dimensionen, die sie noch heute zur zweitgrößten ihrer Art im Reiche macht. Wie machten die das? Die Ausstellung gibt erschöpfend Auskunft. Exponate, weltberühmte darunter, zeigen das Leben der Gotik von der Stadtarmut bis in die Spitzen der mittelalterlichen Verwaltung. Gleich neben dem bettelarmen Elbfischer, dessen Reusen sich bruchstückhaft erhalten haben, saßen Mönche in einem Kloster und schrieben an Folianten, welche uns noch heute berauschen. Das sind keine schlichten Bücher, das sind unersetzliche Kunstwerke. Und sie sind unsigniert. Auch das gewährt uns Nachgeborenen einen tiefen Einblick in die Geisteshaltung der Gotik, als die gesamte Gesellschaft auf ein sichtbar- unsichtbares Prinzip namens Gott ausgerichtet war. Erst in der Renaissance begannen die Menschen mit ihrem eigenen Namen zu zeichnen. Das eigene Profil wurde immer wichtiger und kleine Ratsherren schmückten nunmehr die gemalten Kalvarienberge, was vorher bestenfalls den byzantinischen Basilei vorbehalten war. Noch aber stand die eigene, bedeutungslose Existenz hinter dem Werk zurück. Es war schon eine ungeheure, eine unfassbare Ehre, daran mitarbeiten zu dürfen, Gott so augenfällig und nachhaltig zu dienen – und so sehen sie denn auch aus, die Skulpturen, Schriften, geosteten Landkarten – versuch keiner, danach seine Urlaubsreise zu planen – die Dome und die Reliquiare. Und man begreift: die Alten hatten ein übergeordnetes Prinzip, was sie bei all dem brutalen Dunkel ihrer Lebenswirklichkeit einte. Damit besaßen sie etwas, was uns, den Luxus-Enkeln heute sehr, sehr schmerzlich fehlt. Ist es das, was diese Besucherscharen von hunnischem Ausmaß in die Hallen den Magdeburger Museums an der Otto-von Guericke-Straße treibt. Die Sehnsucht nach der angeblich Guten Alten Zeit, beispielsweise des Mainzer Hoftages, kann es ja wohl kaum sein. Wer sich diese Exhibition besieht, ist in aller Regel schlau genug zu wissen, dass es diese Zeit nie gab.
Es muss das andere sein, diese Sehnsucht nach einer Haltung, als Menschen über sich hinauswuchsen, hinauswachsen konnten, weil sie sich nicht selbst permanent in den Mittelpunkt stellten, nicht ständig in ihrer Nabelschau gefangen waren.
Löblich am Magdeburger Haus, dessen unbestritten internationales Renommee ihm Exponate von unendlicher Güte und aberwitzigem Wert als Leihgaben anvertraute, ist die kluge und umsichtige Einstellung zu auch internationalem Publikum. Man kann problemlos mit Visa zahlen. Die Eintrittspreise sind gesalzen – na ja, verständlich, die Versicherungskosten der eigenen Exponate und der Leihgaben dürften auch nicht zum Discounter-Preis feil sein – aber einer interessierten 9jährigen gleich 5 Euro abzuknöpfen, wofür das Mädel drei Wochen eisern sparen muss – das ist überdenkenswert. So verprellt man den kulturhistorisch ambitionierten Nachwuchs. Wenigstens hatte das Kind im Kinderdom eine liebevolle, einfallsreiche und sehr engagierte Betreuung erfahren dürfen, als die Unmengen von Vitrinen und davor stehenden Erwachsenenbeinen doch zu viel zu werden begannen. Schade, dass die naturkundliche Sammlung geschlossen war. Trost fand der kenntnisreiche Gast im benachbarten Saal, der ganz dem wohl legendärsten Lehrbuch aller Zeiten, dem De arte venandi cum avibus gewidmet ist. Und wenn die ganze Ausstellung nur aus diesem Raume bestünde, es lohnte allein und für sich die Pilgerfahrt in die Ottonen-Metropole. Als Presseleute beklagen wir natürlich den Umstand, dass es uns nicht gestattet wird, für unsere Berichterstattung blitzlichtfreie photographische Aufnahmen zu machen. Es scheint aber, als wären die Magdeburger auf diesen Multiplikator nicht weiter angewiesen. Also sei's drum!
Bis zum 6. Dezember hat die rekordverdächtige Ausstellung ihre Tor noch geöffnet. Man sollte sie nicht verpassen!

 
B
8. Volumen

© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009
17.11.2009