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Metastasen in der Zeitungslandschaft
Warum man eine fahrlässige Wortwahl in der Berichterstattung vermeiden sollte


Jules-Francois Savinien Lemarcou. Havelsee. In Belgien spricht man gewöhnlich Flämisch oder französisch. Die Gräuel, welche deutsche Truppen gleich zweimal bei ihrem westlichen Nachbarn im zwanzigsten Jahrhundert angerichtet haben, haben der deutschen Zunge in der Heimat Poirots nicht eben zu großer Beliebtheit verholfen.

In Eupen jedoch gibt Monsieur Verdin die deutschsprachige Tageszeitung „Grenzecho“ heraus, was für alle Teutonen, denen ihre kleines, großes Nachbarvolk nicht egal ist, eine hervorragende Gelegenheit darbietet, mehr über das Geschehen rund um Europas Hauptstadt zu erfahren.

Die Kollegen arbeiten seriös, ausgewogen und doch schossen sie am Mittwoch, dem 13. März 2024 einen kapitalen Bock. So titelten sie: Antwerpen: „Corona-Impfstofftechnologie jetzt im Kampf gegen Krebs“ und fuhren im einleitenden Absatz fort: „An der Universität Antwerpen ist es Forschern gelungen, die hinter den Corona-Impfstoffen stehende Technologie erfolgreich gegen Krebstumore einzusetzen. Tests mit zweihundert Patienten zeigen vielversprechende Ergebnisse und könnten neue Möglichkeiten im Kampf gegen die Krankheit bieten, wie die flämische Tageszeitung „Het Nieuwsblad“ am Dienstag berichtet.

Der Kollege Bajun las den Beitrag und kommentierte ihn mit massiver Kritik. Wie das so üblich ist in der demokratischen Medienwelt unserer Gegenwart, die Anmerkungen Herrn Bajuns wurden – nie mehr gesehen. Schade. Worum ging es?

Herr Bajun, der seinerzeit seine Inauguraldissertation beim Ersten Oberarzt der Universitätsfrauenklinik der Charité der Humboldt-Universität zu Berlin und nachmaligem Chef der Frauenklinik des Oskar-Ziethen-Krankenhauses von Berlin-Lichtenberg verfasste, stieß sich an dem Wort „Krebs“.

Herrn Bajuns Arbeit war auf onkologischem Gebiete angesiedelt, er untersuchte Veränderungen des Endokriniums im Zusammenhang mit einem Uterus myomatosus. So ein wenig meint er noch etwas von dieser „Volkskrankheit“ zu verstehen. Moment mal! … von dieser?

Das war es, was Herr Bajun monierte. Er schrieb den Belgiern, dass er eine solch reißerische und plakative, pauschalisierende Wortwahl als sehr kritikwürdig empfinde. Sie appelliere an den Unverstand der Laien. „Es gibt nicht „den Krebs“, so schrieb es Herr Bajun den Belgiern in den Papierkorb. Er erläuterte, dass es stattdessen „eine beinahe unüberschaubare Vielfalt an Neoplasien, Raumforderungen, zellulären Entartungen, Tumoren etc. gäbe, die nach Gestalt und Typus, Grad der Entwicklung, ihrer Ansprechbarkeit und Lokalisation unterschiedlicher nicht sein könnten“ Er fragte: „Sprechen die von Ihnen gepriesenen Vaccine gleichsinnig ein Cervix-Ca, ein Glioblastom, ein Caput-Ca des Pankreas, Leukämie oder ein Melanom an?“

Man könnte das als Haarspalterei aus dem medizinischen Elfenbeinturm auffassen. Viele Laien werden das gewiss auch tun. Doch gerade diese hatte Herr Bajun im Sinne, als er zur Feder griff. Denn wie viele arme Menschen, die sich mit einer möglicherweise infausten Prognose hinsichtlich ihrer Krebserkrankung konfrontiert sehen und die sich an jeden Strohhalm klammern, werden jetzt möglicherweise aufjauchzen: Siehe da, die Teufelskerle aus Antwerpen winken mit der Rettung!

Es mag ja sein, dass das Corona-Serum in dem ein oder anderen Fall einen neuen Impuls in der Onkologie zu setzten vermag – aber wenn das so ist, dann dürfen wir doch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vermuten, dass das Spektrum der erfolgreich zu adressierenden raumfordernden Entartungen hinsichtlich seines Stammgewebes, seiner Zytopathomorphologie und aller anderen spezifizierenden Kriterien sehr eng gefasst ist.

Uns ist natürlich die Denkweise der belgischen Kollegen nicht fremd. Sie wollen mit ihrem Beitrag verstanden werden. Zeitgenossen, die einen Parvenü für eine afrikanische Affenart halten, blättern um, sobald ihnen das Wort Neoplasie in die Augen springt. Die Beherrschung journalistischen Handwerks setzt jedoch voraus, dass auch komplizierte Sachverhalte für die Adressaten erfassbar transportiert werden können, ohne dabei in fahrlässige Verallgemeinerungen abzugleiten.

Andererseits – und wir sind nicht blöde – müssen die kommerziell arbeitenden Kollegen immer auch den Abkauf der von ihnen verantworteten Organe im Blick behalten. Eine Schlagzeile, die eine neue Waffe gegen „den Krebs“ ankündigt, sollte einige Exemplare mehr über die Kiosktheke gehen lassen, als wenn dort zu lesen wäre: „Neuer Ansatz in der Meningeom-Thearpie gefunden“. Das ist dann eine probate Überschrift für die Nauka i Schizn, das American Journal of Medicine, die Nature, die Scientific American und wie sie alle heißen.

Die besondere Verantwortungslosigkeit und journalistische Fehlleistung besteht also darin, mit einer sensationellen Meldung Hoffnungen zu wecken, deren Wechsel bestenfalls von einem verschwindenden Bruchteil der betroffenen Patientengruppe einzulösen wären. Wenn der Laie also dem Irrglauben verfällt, egal, welches Organ, welcher Körperteil befallen ist – Krebs ist Krebs und hat man einen Zaubertrank gegen diese Krankheit gefunden, rottet man sie insgesamt aus – dann wird es brandgefährlich.

An dieser Stelle gerät auch die Seriosität der Gazette in Mitleidenschaft und wie leicht man sich mit einem journalistischen Eigentor für Jahrzehnte um Kopf und Kragen schreiben kann, das demonstrierte seinerzeit das deutsche Nachrichtenmagazin „Der Stern“. Leichter erholt sich ein Patient von einem Prostatakarzinom als eine Zeitung von solch einem Fiasko.

Wir hätten die belgischen Kollegen gerne dahingehend unterstützt, dass sie ihr tadelloser Ruf unangekratzt bleibt. Leider wird man Herrn Bajuns Kommentar jenseits der Grenze nicht mit dieser wohlwollenden Intention aufgefasst haben. Na ja, was soll von den Boches auch schon Vernünftiges rüberkommen? Wir verstehen’s ja.

29. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2003
13.03.2024