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Potsdam und Wannsee
Der Fluch der kollektiven Amnesie

Kotofeij K. Bajun. Werder (Havel). Es ist kein schlimmerer Fluch denkbar als der, ohnmächtig wie Kassandra zu warnen und nicht gehört zu werden und daneben stehen zum müssen, unfähig, der fatalen Entwicklung auch nur im Mindesten wehren zu können.

Nun erfuhr also die Wannsee-Konferenz eine zweite Auflage. Der Ungeist von Potsdam regt sich wieder, noch ehe die Garnisonkirche auch nur ansatzweise wieder aufgebaut wäre, deren Ruine exemplarisch für das verheerende Treiben dieses Ungeists stand. Sicherlich – die Akteure von Potsdam sind noch nicht in der wirkmächtigen Position wie ihre einstigen Vorgänger. Noch nicht.

Mit Fug und Recht aber wähnen sie sich in einem Fahrstuhl, der sie geschwind aufwärts trägt und ihnen, wie einst ihren braunen Vorgängern, den Weg zur Machtergreifung ebnet.

Hat die Demokratie vorgebaut? Ist sie wehrhaft genug oder liefert sie sich ihren Feinden so wie 1933 ein weiteres Mal kampflos aus? Braucht ein Kanzler Höcke die Passagen aus des Babelsberger Bockes Tagebuch nur mittels Kopieren und Einfügen übernehmen, in welchem sich der nachmalige Reichspropagandaminister darüber ausließ, wie billig er sich doch der Werkzeuge bedienen konnte, die ihm das zahnlose parlamentarische System der Weimarer Republik zum freien Gebrauch anbot?

Ja, in den späten Achtzigern des Zwanzigsten Jahrhunderts probierte es auch schon mal eine Art Vorläuferpartei der AfD, die Republikaner unter SS-Unterscharführer Franz Schönhuber. Der Versuch scheiterte kläglich. Abgeordnete, die es mit ein paar Sitzen in ein Berliner Stadtbezirksparlament schafften, wurden aus diesem alsbald wegen absoluter Unfähigkeit und Inkompetenz entfernt. Das Einzige, womit diese Abgeordneten glänzten, war ihre Abwesenheit.

Die AfD hat dazugelernt. Sie kann auf einen soliden Fundus gut ausgebildeter und engagierter Fachleute zurückgreifen, welche die parlamentarische Klaviatur so lange ausreichend gut zu bespielen in der Lage sind, als dieses bis zu einem erfolgten Umbau der Gesellschaft in eine erneute Diktatur nötig ist.

Wie das funktioniert, bildet sich derzeit im Nachbarland Polen ab. Der Flurschaden, den die PiS dort nach den Jahren ihrer Herrschaft in der demokratisch verfassten Landschaft hinterlassen hat, ist eine so schwere Hypothek für die derzeit regierende Koalitionsmannschaft, dass ein Erfolg des Rückbaus zur stabilen und pluralistischen Demokratie keineswegs garantiert ist.

Die Katastrophe, den die derzeit Deutschland in den Untergang regierende „Ampel“ angerichtet hat und die sie zur effektivsten Wahlkampfhelferin der Rechtsaußenkräfte qualifizierte, ist so immens, hat in der deutschen Bevölkerung eine so abgrundtiefe Wut hinterlassen, dass es quasi mit dem Teufel zugehen müsste, wenn den ultrarechten Kräften bei einer Regierungsübernahme auf Länder- und Bundesebene ein kräftiger demokratischer Wind aus der Mitte der Gesellschaft entgegen bliese.

Deportation von Migranten nach Nordafrika? Die Afrikaner würden den Deutschen ‘was husten und auch die internationale Gemeinschaft würde sicher mit harten Sanktionen reagieren. Denn im Ausland hat man die Gräuel, die vom Dritten Reich zu verantworten sind, keineswegs so leichthin vergessen, wie das bei den ultrarechten Kadern der Fall zu sein scheint.

Diese Gedankenspiele können sich an Realitätsferne durchaus mit grüner Politik vergleichen. Wer aber würde eine solche Regierung daran hindern, die inländischen Konzentrationslager zu reaktivieren? Wer würde sie hindern, den Migranten in großer Zahl die Alimentation zu streichen? Was würde dann geschehen? Würde der erwünschte Effekt eintreten und die sozial durchs Raster fallenden Migranten würden sich still in ihr Schicksal ergeben und leise verhungern oder wären soziale Unruhen die Folge, die von jedem Gewaltszenario begleitet würden, welche in den Herkunftsländern der Migranten Alltag sind? Denn – wo sollten sie denn hin – die nunmehr einkommenslosen Migranten? Welches Land würde ihnen noch Zuflucht gewähren?

Weitergedacht! Was ist mit den Migranten, die hier sozial bestens und oft schon in zweiter oder dritter Generation integriert sind? Was ist mit den Ingenieuren, Ärzten, Rechtsanwälten, Lehrern … die eventuell noch in anderen Ländern vermittels ihrer Kenntnisse und Fertigkeiten unterzukommen vermöchten?

Deutschland laboriert bereits jetzt an einem eklatanten und die Wirtschaft paralysierenden Fachkräftemangel. Diesen würde ein solcher Exodus geradezu explodieren lassen.

Just nach dem Bekanntwerden des Potsdamer Geheimtreffens wurden die Überlegungen zur abermaligen Flucht in vielen Diaspora-Gemeinden Deutschlands schon so laut, dass dem Preußischen Landboten die Ohren klingelten. Selbst deutsche Ehepartner erklärten ihre Bereitschaft, mit ihren Gefährten und Gefährtinnen ausländischer Abkunft gemeinsam das Heimatland zu verlassen. Das ist in der Tat alarmierend.

Wir resümieren:

1.) Gewalt auf deutschen Straße, verursacht durch eine existentielle Bedrohungslage – das kann man sogar nachvollziehen: Schließlich kamen die Leute auf Einladung mehrerer verantwortungsloser deutscher Regierungen, welche politischen Weitblick unbekümmert nationaler und internationaler Geltungssucht opferten.

2.) Fachkräfteabwanderung in Größenordnungen mit nachfolgender schwerer Schädigung der deutschen Wirtschaft. Dass die Dönerläden verschwinden, wäre dabei nur ein geringeres Übel – aber was ist mit den vielen Jobs, für die sich die verwöhnten Deutschen seit Jahrzehnten zu schade sind? Da wird wohl in den Lagerhallen von Amazon bald das Licht ausgehen und die Postunternehmen werden auch nicht mehr wissen, wie’s weitergeht.

3.) Politische Stigmatisierung im Ausland mit entsprechenden Embargos – denn wenn die Dänen, Polen, Italiener, Ungarn, Schweden oder Österreicher harte Saiten in der Migrationspolitik aufziehen, ist das nicht dasselbe in der internationalen Wahrnehmung, als wenn Deutschland entsprechende Maßnahmen ergreift. Man sollte nicht vergessen, auf welcher Nation noch immer und für viele nachfolgende Generationen der Schatten von Auschwitz liegt. Es ist abzuwarten, ob Deutschland diesem zu erwartendem, massiven Kontra noch ein Re entgegenzusetzen hat.

Die einzige Rettung, die eventuell noch in der Europäischen Union läge, wäre gewiss ebenfalls hinfällig, weil es mit den Ultrarechten keine Europäische Union mehr gäbe.

Das Potsdamer Geheimtreffen hat Deutschland in jeglicher Hinsicht schwer geschadet. Es ist unabdingbar, dass sich in Deutschland neue demokratische Kräfte formieren, welche dem politischen und gesellschaftlichen Überalterungsprozess Nachkriegsdeutschlands noch etwas Brauchbares entgegensetzen. Zu einer an den gesellschaftlichen Erfordernissen orientierten Einwanderungspolitik und einer schmerzhaften Konsolidierung der deutschen Wirtschaft gibt es sicher keine vernünftige Alternative.

Aber deswegen eine Partei zu unterstützen, deren tragende Kräfte bereits einmal versagten – man erinnere sich dessen, dass das Reich schon 1935 de facto zahlungsunfähig war und auf den internationalen Anleihemärkten keinen roten Heller mehr locker machen konnte – kann daher nicht das Mittel der Wahl sein. Eine Protestwahl rechtfertigt keine Gefährdung demokratischer Errungenschaften in forcierter Fortschreibung dessen, was einst demokratische Parteien wie die Grünen und die SPD in jüngster Vergangenheit bereits ins Werk zu setzen begannen.

Diesmal braucht es eine Einheitsfront – einen Aufstand der Anständigen. Alles andere, auch Petitionen gegen eine Wahlfähigkeit Herrn Höckes mit Verweis auf das Grundgesetz – sind Petitessen, Pflästerchen, Placebos, welche an den grundlegenden Ursachen der gegenwärtigen Kalamitäten nicht das Geringste ändern. Soll Deutschland die akute Bedrohung ruhig als heilsamen Schock wahrnehmen – aber dann nicht wie eine panische Horde von Lemmingen auf den nächsten Abgrund zurennen! Ein Umdenken ist erforderlich und eine Rückkehr in demokratische, offene, verbotsarme und entbürokratisierte Verhältnisse.

Kurz – es braucht eine Restitution der Innen- und Außenpolitik in der Form, dass eine tragfähige Mehrheit die Gesellschaftsform wieder bejaht, statt sie zu 81 Prozent abzulehnen. Sollte den Deutschen dieser Mut zur Verjüngung ihres Gemeinwesens abhanden gekommen sein, dann ist nicht nur ihr Schicksal besiegelt, sondern auch das des Alten Kontinents, dessen einer Hauptpfeiler das Land im Herzen Europas noch immer ist. Denn dann ist die historische Gelegenheit auf eine bedeutende Stellung im Weltgetriebe auf unabsehbare Zeit verspielt. Bislang gewährte die Göttin des fatum mundi nur dem Reich der Mitte eine zweite Chance – dieser Umstand sollte unbedingt zu denken geben!

29. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2003
19.01.2024