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Weihnachtsinterview
mit dem Chefredakteur des Preußischen Landboten,
Herrn B. St. Fjølllfross


Hueb: Herr Fjøllfross, welche Gedanken verbinden Sie mit dem Heiligen Abend?

Fjø: In erster Linie denke ich an ein jüdisches Mädchen, eine Tochter aus dem Hause Davids. Sie hieß Maryam und hat vor über zweitausend Jahren unter großen Schmerzen an einem weiß Gott unhygienischen und ungünstigen Ort beinahe beistandslos einen kleinen Knaben zur Welt gebracht. Wahrscheinlich litt sie barbarische Schmerzen, wie wohl fast jede Gebärende. Geht man davon aus, dass sich diese Niederkunft wirklich um diese Jahreszeit abspielte und spätere Christen das Geburtsdatum nicht aus ideologischen Gründen bewusst auf die Wintersonnenwende schoben um die Mystik des Geschehens noch überzeugender zu gestalten, dann hatten beide, Mutter und Kind, mit ganz erheblichen Torturen zu kämpfen. Ein Wunder, dass beide überlebten.

Das prophetische Gelaber eines Engels war höchst überflüssig – eine praktische Unterstützung der Mutter wäre weit vorteilhafter gewesen. Desgleichen der Besuch von drei Propheten aus dem Morgenlande – ein wahres Geschenk für beide wäre eine komfortable Unterkunft gewesen, in der sich Mutter und Kind von den Strapazen der Geburt hätten erholen können. Was sollte dieser lächerliche Unfug mit Weihrauch und Myrrhe? Es zeigt mir, dass Menschen schon immer zur Idiotie neigten.

Dann zog dieses arme Mädchen ihren Jungen auf, den sie wahrscheinlich liebte, wie die überwiegende Anzahl der Mütter ihre Kinder liebt. Sie konnte es nicht verhindern, dass aus ihrem Jungen ein revolutionärer Schwarmgeist wird, der sich um seiner Ideen willen zum Märtyrer berufen fühlt und sich darum mit dem Satan schlechthin anlegt: dem Geld und der damit verbundenen Macht und der übermächtigen Menschlichen Dummheit!

Die drei lassen ihre menschlichen Büttel zurück schlagen und dann muss sie das furchtbarste aller Schicksale erleiden und zusehen, wie ihr Sohn, den sie unter Qualen gebar und unter Mühen aufzog, mit barbarischer Bosheit vor ihren Augen an ein Kreuz genagelt wurde, auf dass er unter entsetzlichen Martern stürbe.

Die Last, die sie dabei zu tragen hatte, war noch um einiges größer, als die ihres Jungen. Sicher, die Schmerzen, die das Hinrichtungsinstrument verursachte, blieben ihr erspart. Die des Sohnes waren irgendwann vorüber, als ihn ein gnädiger Tod erlöste. Ihr aber blieb dieser Albtraum, dieser gnadenlose Horror ein Leben lang erhalten. Diese Bilder, von denen sie mutmaßlich Tag und Nacht gepeinigt wurde. Wer vermag dieses Leid zu ermessen: Eine Mutter muss ihrem Sohn bei seinem entsetzlichen Sterben zusehen. Mehr Bestialität geht wohl nicht. Es zeigt, was Menschen anderen Menschen anzutun bereit und gewillt sind.

Und dann kommen dieselben Leute, die ihr ihren Sohn nahmen und ans Kreuz nagelten, hängen sich ein anderes Mäntelchen um, erheben sie zu einer Ersatzgottheit und plärren sie pausenlos um dieses und jenes an und sie soll geben und geben und geben und schützen und schützen und schützen.

Dann steigt in mir der blanke Ekel vor diesem widerlichen Gezücht empor.

Hueb: Das sind schon schwarze Gedanken angesichts eines christlichen Hochfestes …

Fjø: Was hätten Sie denn gern? Dass ich Coca-Cola-rot-weiße Weihnachtsglöckchen bimmeln lasse?

Hueb: Gestatten Sie mir die Indiskretion, Sie danach zu fragen, was Ihre Gattin unter dem Weihnachtsbaume vorfand? Sie sprachen ja vorhin von "einem Jahr Zeit" und echter Wertschätzung ...

Fjø: Warum nicht? Ihr brachte der Weihnachtsmann eine offene Krone aus 585er Gold. Sie können es auch einen Stirnreif nennen. Zum Tage unserer Hochzeit vor etlichen Jahren bekam sie unsere Eheringe. Das war schon ein kleines Vermögen. Daher musste ich bei meinem schmalen Salair doch eine Weile sparen, bis ich eine geschickte Goldschmiedin aus der Chur- und Hauptstadt bitten konnte, diese Krone nach Maß anzufertigen. Der Hintergrund ist der, dass ich auf unserer kleinen Hochzeitsfeier meiner Frau einen Lehnseid nach Salischem Recht zu beiden Handen mit Handgabe und Kommendation geschworen habe. Das machte sie also zu einer Feudalherrin und als solche hat sie das Recht auf eine Krone. Zu diesem Weihnachten war das gute Stück nach Maß Ihres Hauptes nun endlich fertig.

Hueb: Einen Lehnseid? Ist das nicht etwas aus der Mode?

Fjø: (lacht) Sehen Sie, mein lieber Hübner, eine Freundschaft kann zerbrechen, eine Verlobung gelöst, eine Ehe geschieden werden. Aber an einen Lehenseid kommt selbst Gott nicht heran. Das ist härter als Diamant und hat in etwa die Konsistenz des Kerns eines Neutronensterns. Ein Mann, Gentleman und Ritter ist genau so viel wert, wie sein Wort. Wird dieses Wort gebrochen, hört der Mann auf zu existieren. Was bleibt, ist ein Haufen überflüssiger Biomasse. Ein Lehnseid aber ist das Wort zu unverbrüchlicher Treue eines Ritters in kristalliner Form. Was sollte daran veralten?

Hueb: Also sollte Weihnachten, gemessen an dem Exempel, das Sie soeben gaben, doch ein Fest der Freude, des Friedens und der Versöhnung sein.

Fjø: Ja, … sollte sein … Was ist es aber leider allzuoft realiter? Dieselben Krämer und Wechsler, welche der Rabbi dereinst aus dem Jerusalemer Tempel zu jagen versuchte, machen jetzt ein Bombengeschäft mit seiner Geburt und zu Ostern mit seinem furchtbaren Tode. Es ist ein widerlicher Tanz ums goldene Kalb geworden, ein Scheiß-Kommerz – nur, dass diesmal kein Moses aufsteht, um dem Treiben ein Ende zu bereiten. Leider besitze ich keine Kristallkugel. Es interessierte mich schon, wie viele Familien, denen es übers Jahr gelungen ist, den Schein aus der Distanz zu wahren, beim diesjährigen Weihnachtsfest einander ans Fell gehen und dann endgültig zerbrechen, wie viele sich ihren Hass und ihr Desinteresse durch banale oder gar beleidigende Geschenke glauben auf sublime Weise kommunizieren zu können. Diese ganzen Ankäufe von Tinnef in letzter Minute, nur um nicht ohne ein obligatorisches Geschenk dazustehen ... Man will sich selbst nicht aus der Rolle fallend blamieren. Es geht gar nicht um den Anderen. Ginge es um den, man hätte ein ganzes Jahr Zeit, ein passendes Geschenk zu organisieren, zu basteln, sich zu überlegen ... eines, dass auf den Anderen abgestimmt ist und ihm wahre Wertschätzung vermittelt!

Hueb: ... wovon Sie in unserem Vorgespräch bereits berichteten ... Jetzt werden Sie aber zu gallig. Das grenzt ja schon an das Credo eines Misanthropen. Es gibt doch auch genügend andere Beispiele. Nicht zu vergessen, dass Sie soeben selbst sagten, dass für das Weihnachtsgeschenk für Ihre Frau einiges an Mammon den Besitzer gewechselt hat. Hätte es nicht auch eine liebevoll gestaltete, selbst gebastelte Weihnachtskarte getan und Sie hätten die Krone zum Anlass eines Jubiläums des geleisteten Homagialeids überreicht? Wo war da das explizite Gedenken an die Predigt auf dem Berge?

Fjø: Das mag sein. Das will ich nicht in Abrede stellen. Dennoch sehe ich die Welt von meinem Standpunkt aus – und der lautet: Wer den Rebben Jeshua ben Maryam liebt, und das tue ich, der denkt seiner zu jeder Stunde, die Gott werden lässt. Seiner und seiner Mutter. Der behält seine Worte als innere Richtschnur im Herzen und richtet sein alltägliches Handeln danach aus. Der- oder diejenige verzichtet darauf, den armen Mann und seine arme Mutter jedes Weihnachten zu verhöhnen, indem man religiöse Rituale praktiziert um den Hunger nach eigenen romantischen Vorstellungen zu stillen.

Mir wird übel, wenn ich erwachsene Leute sehe, die sich zur Weihnachtszeit mit albernem Kopfschmuck versehen und jedes Jahr aufs neue eine weiße Weihnacht herbei betteln, um mit Schlitten und Pferdchen und Glöckchen durch den verschneiten Winterwald einem knisternden Kaminfeuer entgegenzufahren, vor dem sie dann fromm staunenden Kinderchen ihre verlogene Weihnachtsgeschichte gravitätisch vortragen können, ehe sich diese nach Aufsagen und Absingen von Gedichten und Liedchen auf ihre Geschenke stürzen können.

In dieser Nacht, genannt die Heilige, hat ein armes Mädchen unter Schmerzen einen kleinen Jungen geboren und beide gingen einem furchtbaren Schicksal entgegen. Der Sinn der Weihnacht ist es, innezuhalten und sich dessen so gewahr zu werden, dass die Erkenntnis wieder ein Jahr vorhält und sein eigenes Leben demzufolge so zu gestalten, dass man kein gedankenloser Teil des Mobs wird, der dieses Schicksal mit zu verantworten hat. Denn davor schützt auch keine Gnade der späten Geburt. Die Geschichte lehrt uns, dass sich Folterknechte, Sadisten, Mordbrenner und Völkermörder Christen nannten, gegen welche das römische Exekutionskommando von Golgatha und der damalige hebräische Mob vergleichsweise harmlos waren. Man kann getrost die Konquistadoren, Sklavenhalter, Inquisitoren, Betreiberinnen von katholischen Heimen für „gefallene Mädchen“ und so weiter dazu rechnen. Oder nehmen wir den Magdeburger Herrn Erzbischof Günther II. von Schwarzburg, der, um ein paar Diskrepanzen mit den märkischen Raubrittern von Rochow klarzustellen, am Heiligen Abend 1409 mal so eben das Dorf Schmerzke vor den Toren der Brandenburger Neustadt in einen einzigen Weihnachtsbaum verwandelte und abfackelte. Sehr christlich zum Geburtstag seines Herrn und Heilands, die Armen, denen sich der Rebbe in besonderem Maße zuwandte, an einem bitterkalten Wintertag obdachlos zu machen, dem Hunger auszuliefern oder mit den Pfeilen, Armbrustbolzen, Piken und Schwertern seiner Söldner gleich ins Paradies zu expedieren! Aber er hatte ja auch drei Jahre früher kein Problem damit, die Köthener Jakobskirche – einen Tempel seines Gottes also – zu Klump bombardieren zu lassen. Noch mehr Beispiele gefällig?

Hueb: Mit bitterbösem Sarkasmus wird man die Welt doch aber auch nicht zu einem besseren Ort machen.

Fjø: Schlagen Sie eine Strategie vor, mit der wir das erreichen! In Gandhis Fußstapfen etwa? Das funktionierte nur solange, wie in der englischen Seele ein Begriff von Anstand und Moral existierte. Glauben Sie, die SS hätte sich von Gandhis Attitüde beeindrucken lassen? Inwieweit sich das deutsche Volk gegen den KZ-Staat, seinen Terror und seine Vernichtungslager auflehnte, lehrt Sie die Geschichte. Das bedarf von meiner Seite her keiner weiterführenden Argumentation.

Hueb: Sollte der Weihnachtsmann nicht wenigstens für die Kinder da sein? Sollte man sie denn etwa auch mit dem Grauen konfrontieren, das dem Christkindlein an der Wiege gesungen wurde?

Fjø: Gott bewahre! Nein! Für alle Kinder sei Weihnachten ein verzaubertes Fest! Des ungeachtet kann man Ihnen peu a peu den wahren Geist der Weihnacht nahe bringen und diesen Geist als etwas Unantastbares vermitteln, so dass möglichst viele von ihnen dagegen immun werden, dieses Fest zu einem seelenlosen Kommerz-Rummel verkommen zu lassen, wenn es ihnen denn eines Tages vergönnt ist, ihre eigenen Weihnachten zu gestalten.

Darüber hinaus halte ich es für nicht verkehrt, ihnen von Anfang an zu vermitteln, wer an diesem Tage das Geburtstagskind ist und daher im absoluten Mittelpunkt zu stehen hat. Die Geschenke an die Kinder sind schön und gut, Traditionen sind schön und gut, sinnentleerte Rituale aber sind der Anfang jeglichen Übels.

Rituale, Herr Hübner, sind ein Herrschaftsinstrument zur Lenkung der Massen und sonst gar nichts. Denen, die sie mitmachen wie eine Schafherde, mögen sie etwas Halt im unübersichtlich und chaotisch anmutenden Alltag verleihen. Denen, die sie installieren und ihre Ausführung überwachen, dienen sie zur Kontrolle dieser Schafherde.

Es gibt nur ein Geschenk zu Weihnachten, das zählt: Es ist dies das Geschenk, auf welches das Geburtstagskind, unser Reb Jeshua ben Maryam aus Nazareth ein Anrecht hat. Es ist das Geschenk an ihn, seine Worte, seinen Willen und sein Wollen zu verinnerlichen und sich zu Herzen zu nehmen. Es ist die Umsetzung dessen, was der Prophet Micha schon im Alten Testament kurz, knapp und griffig formulierte: Es ist dir gesagt Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert. Nämlich dieses: Gottes Wort halten, Liebe üben und demütig sein vor Deinem Gott. (Micha 6.8.)

[Aus dem Hintergrund der Redaktion ertönt das „Aa-mejn“ der Herren Druckepennig und Katz.]

Fjø: (mit dem Daumen auf die beiden Gentlemen weisend) „Dem ist nichts hinzuzufügen!“ Womit ich Ihnen eine Frohe Weihnacht zu wünschen die Ehre habe.

Hueb: Herr Chefredakteur, ich danke Ihnen für dieses Gespräch und auch Ihnen eine gesegnete Weihnacht!

28. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2003
25.12.2022