Auf dem Lande war es ruhiger
          Marion Brückmann erinnert sich an die 
          Umbrüche der Wendejahre
        
        Michael L. Hübner
          Dort, wo sich Beetzsee und Riewendsee treffen, auf dem halben Weg nach 
          Nauen, im idyllischen Päwesin, wuchs Marion Brückmann auf. 
          Es war eine unspektakuläre und vielleicht gerade deshalb zauberhafte 
          Kindheit. Wenn man ihr zuhört, dann schweifen die Gedanken beinahe 
          sehnsüchtig zu Ehm Welks “Heiden von Kummerow”. Das 
          Leben im Dorfe wurde von der LPG bestimmt, die Landwirtschaft gab in 
          Päwesin den Ton an. Was lag näher, als bei der LPG den Beruf 
          eines Landwirtschaftskaufmanns zu erlernen! Nach der Lehre fand Marion 
          Brückmann in der Kreisbuchungsstation für Landwirtschaftsbetriebe 
          für ein Jahr einen Arbeitsplatz in der Brandenburger Altstadt. 
          Im Anschluss besuchte sie die Agraringenieurschule Beelitz und ließ 
          sich dort zum Ingenieurökonom ausbilden. Zurückgekehrt erhielt 
          sie den Posten eines Revisors an der Bank für Land- und Nahrungsgüterwirtschaft. 
          Brandenburger wissen – das war die Bank in dem schönen, nun 
          vor sich hin dämmernden Bauhausgebäude am Rosenhag, Ecke Plauer 
          Straße. Im September 1978 wechselte sie dann zum VEB Metallaufbereitung 
          in die Potsdamer Straße, das einsame rote Backsteinhochhaus am 
          Ortseingang mit der großen Fahrzeugwaage auf der Grundstückseinfahrt. 
          Was immer in der DDR schief laufen mochte, Familie Brückmann war 
          davon wenig betroffen. Das Leben war ausgefüllt, der Beruf machte 
          Freude, der 1975 geborene Sohn wuchs und gedieh. Das Haus der Eltern 
          lag in einem wahren Paradies, was wollte man mehr. Nein, Marion Brückmann 
          sah sicherlich keine Veranlassung, mit einem Transparent durch die Steinstraße 
          zu laufen und gesellschaftliche Veränderungen einzufordern. An 
          ihr wäre jeder operative Einsatz der MfS verschwendet gewesen. 
          Genossin war sie dennoch nicht, wozu auch? Sie machte ihren Job. Den 
          machte sie gut. Darüber hinaus gab es wenig Anlass, sich in die 
          gesamtgesellschaftlichen Konflikte einzumengen. Als dann aber die Revolution 
          ihre Ziele erreicht hatte und die Gerontokraten von Wandlitz ihre Hüte 
          hatten nehmen müssen, da standen schon die in den Startlöchern, 
          welche die ostdeutschen Filetstücke der Industrie für sich 
          zu sichern planten. Rede- und Reisefreiheit waren das eine. Nun aber 
          kam noch die Freiheit dazu, auf der Straße liegen zu dürfen, 
          egal wieviele Jahre man schon ordentlich gearbeitet hatte. Quasi von 
          heute auf morgen wurde Marion Brückmanns Sprachschatz um die Vokabel 
          „Kurzarbeit Null Stunden“ bereichert. Und auch die Tätigkeit 
          im neu gegründeten Betriebsrat schützte sie nicht vor der 
          Kündigung. Bei der Abwicklung ihres Betriebes namens der Thyssen 
          Sonnenberg GmbH durfte sie noch mithelfen. Dann war Schluss. Ihre Person 
          kam ins Gespräch, als die IG Metall in der Havelstadt ein eigenes 
          Regionalbüro aufzubauen plante. Sie hatte sich durch ihre Mitwirkung 
          beim mit der Treuhand ausgehandelten Sozialplan für die entlassenen 
          Mitarbeiter empfohlen. Das Problem der Arbeitslosigkeit ließ sie 
          nicht los. Sie wollte etwas tun für die, die keine Arbeit mehr 
          finden konnten. Und so gründete sie mit Gleichgesinnten den Verein 
          zur Förderung des Umweltschutzes. Das klingt zunächst einmal 
          paradox. Aber anders ließ sich in der bundesdeutschen fiskalischen 
          Bürokratie keine Förderungsfähigkeit herstellen. Die 
          Arbeitslosen, die über diesen Verein ABM-Maßnahmen erhielten, 
          engagierten sich ja dann auch tatsächlich in Umweltschutzprojekten. 
          Das bunte Spektrum der Träger aber wurde politisch gewollt nach 
          und nach ausgedünnt, was dazu führte, dass auch dieser Verein 
          1999 aufgeben und seine Mitarbeiter entlassen musste. Arbeitslosigkeit 
          bedeutete für Marion Brückmann keineswegs Untätigkeit. 
          Bei der 1994 anstehenden Bürgermeisterwahl in Päwesin kandidierte 
          sie und – gewann! Ein Jahr lang saß sie auf dem Stuhl, den 
          vor ihr 1946 schon der große Wilhelm Fraenger innehatte, bevor 
          ihn OB Lange in Brandenburg an der Havel zu seinem Kulturstadtrat berief. 
          Die Wende sieht sie weniger euphorisch, als es bei entsprechenden Festansprachen 
          immer wieder durchklingt. Sie sieht auch die Schattenseiten der Entwicklung: 
          „Was nutzt mir das Überangebot in den Reisebüros oder 
          den Supermärkten, wenn ich kein Geld in der Tasche habe?“, 
          und „Das falsche Wort an der falschen Stelle hat einem früher 
          Schwierigkeiten bereitet und – das tut es heute auch noch. Nur 
          die Stelle hat sich eben geändert.“ Nüchtern resümiert 
          hier eine Frau, deren Erfahrungen und deren unermüdliches Engagement 
          gerade für die Schwachen der neuen Gesellschaft nicht mehr viel 
          Raum für schwülstige Sonntagsreden lassen. Gerade, weil es 
          auch Frauen nach der Wende schwer hatten, war Marion Brückmann 
          auch viele Jahre im Vorstand des Demokratischen Frauenbundes tätig. 
          Ehrenamtlich, versteht sich. Denn – das ist eine fundamentale 
          Lehre aus der Wendezeit : Freiheit kostet – vor allem Geld!