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        zum Landboten 
        
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      Herr 
        Houellebecq, ein Faun und seine Weihnachtsbotschaft 
       Jules-Francois Savinien 
        Lemarcou 
        Ein Faun liest die „Plattform“ 
        von Michel Houellebecq. Ein Skandalbuch? Daß ich nicht lache! Es 
        ist das Credo des Landboten, welches hier verhandelt wird. Nicht mehr 
        und nicht weniger. Hier treffen sich Menschen, die zum Schreiben nicht 
        den Federkiel ins Tintenfaß tauchen, sondern den Finger erst in 
        den Salznapf und dann in die blutige Wunde. Solange, bis man vor Schmerz 
        schreit. Man? Ja, die anderen und man selbst – weil man ein untrennbarer 
        Teil der „Anderen“ ist. Wozu das gut sein soll? Weil es ein 
        reinigendes Feuer ist, was da brennt; was einem die rostige Schicht aus 
        Selbstbelügung und Selbstbetrug hinwegsengt. Betrug – und sei 
        es der an sich selbst – lindert bestenfalls den Augenblick. Die 
        Zinsen aber, die er für diese ominöse und sehr suspekte Dienstleistung 
        einfordert – die sind jedesmal schwindelerregend. 
        Wir kommen ins Nachdenken. Wir, das sind die alten attischen Faune, die 
        wir von den Byzantinern, den frühen Frömmlern, die sich Christen 
        nannten, samt unseren Vätern Dionysos und Pan aus unseren Hainen 
        vertreiben wurden.  
        Paulus, dieser in alle Ewigkeit verdammte Demagoge der guten Absichten, 
        dieser Frauenhasser und Stammvater aller bigotten, katholischen Mucker 
        und prüden Calvinisten, Paulus hat seinen armen Opfern einen Teufel 
        an die Wand gemalt, den er uns nachempfand: Hörner trugen wir und 
        Bocksfüße. Jawohl! Das taten wir wirklich. Denn mit den Zickenböcken 
        verband uns unsere Neugier auf die Welt, unsere ungehemmte Lebenslust 
        und unsere freie Sexualität! Das war den Moralisten, die es sicher 
        gut meinten, zutiefst suspekt. Sexualität, dieser mächtigste 
        Magnetismus seit den Zeiten der zweigeschlechtlichen Evolution, wurde 
        von ihnen als die Ursache erfahren für alle Aggressivität in 
        der menschlichen Gemeinschaft. Das ist so abwegig nicht: der Kampf um 
        einen begehrten Sexualpartner war schon immer ein Spielfeld der Aggression. 
        Wie er auch immer ausging, zu den Verlierern gehörte in aller Regel 
        die Gemeinschaft, die am Ende dieser Rangelei oft mindestens ein wertvolles 
        Mitglied, wenn nicht derer viele, verloren geben mußte. Daher die 
        Entwicklung der rigiden Moralentwicklung, die strengen Gesetze in puncto 
        Sexualität, die ihren Ursprung in den Zelten der arabisch-semitischen 
        Beduinen vor dreitausend Jahren fand. 
        Andere Gesellschaften gingen mit dem natürlichsten Trieb der Welt 
        adäquater um und fuhren nicht schlecht dabei. Seien es die alten 
        Inder, die alten Japaner, Etrusker, Hawaiianer, Tahitianer, Ägypter, 
        Chinesen, Hellenen, Griechen – ach, die Reihe ließe sich beinahe 
        beliebig fortsetzen. Auch unsere Vormütter und -väter im Alten 
        Europa verehrten heilige Kessel und Speere als durchaus nicht mißzudeutende 
        Vagina- und Phallussymbole, betrieben freizügige Fruchtbarkeitskulte, 
        feierten wie die alten Babylonier rituelle Vereinigungen zwischen Frau 
        und Mann. In diesen Feiern lag eine lebensbejahende Philosophie, die auch 
        genug Respekt vor der andersgearteten Kreatur aufzubringen in der Lage 
        war. Baum und Tier gehörten zum Kanon des Lebens und erfuhren entsprechende 
        Wertschätzung.  
        Erst das verhängnisvolle Christentum, dem es gefiel, den jüdischen 
        Monotheismus zu sublimieren, rückte den Menschen fatalerweise in 
        den Mittelpunkt der Welt. Niemand wird ernsthaft die Verdienste dieses 
        Monotheismus’ um den Lebenserhalt des wohl gequältesten Volkes 
        der Welt bestreiten wollen. In der Hand der expansiven Christen jedoch 
        wurde er zu einer Waffe, die statt der verheißenden Erlösung 
        der Menschheit den sicheren Untergang bringen wird. Selbst jetzt, wo der 
        Einfluß des Christentums und seiner Moralvorstellungen im Schwinden 
        begriffen ist – die Prägung des Menschen auf den schrankenlosen 
        Egoismus seiner Gattung sitzt zu tief. Mütterchen Natur duldet eine 
        solche Egomanie nicht lange. Mit sich wird der Nackte Affe die meisten 
        seiner Mitkreaturen in den Abgrund reißen, bis auch die letzte Spur 
        von ihm in nur wenigen tausend Jahren getilgt sein wird, und ein von verlogener 
        Moral befreites Leben sich nach Darwin’schen Prinzipien neu zu organisieren 
        vermag. 
        Wir werden die menschenfreundlichen Aspekte und Ansprüche des wahren 
        Christentums immer ehren. Dennoch wird diese Religion uns, in deren Herzen 
        die Tempel der alten Götter noch immer fest und solide stehen, fremd 
        bleiben und unheimlich.  
        Ein Faun lebt in dieser Welt, nicht in einer ominösen jenseitigen. 
        Das Wesen der Nymphe trachtet auf die Freuden des Hier und Jetzt. Was 
        danach kommt, kommt danach und ist eine Sache von später. Das Gedrohe 
        mit Höllenpein und ewigem Feuer schreckt uns nicht. Denn es ist ein 
        horribler Nonsens, geschaffen, um die Lebenden in Zucht und Zaum zu halten. 
        Wir versagen dem Christengott unseren Respekt nicht. Aber den falschen 
        Propheten, die in Seinem Namen auftreten und sich unentwegt für die 
        wahren ausgeben und kein anderes Geschäft betreiben, als ihren Mitmenschen 
        das Leben zu verhageln, denen schwören wir von ganzem Herzen ab. 
        Sollen sie sich in ihren Himmel scheren, oder in ihre Hölle, was 
        uns Eines zu sein dünkt. Wir aber wollen lustig und bocksfüßig 
        und fröhlich meckernd durch unsere Haine springen und uns freuen, 
        wenn sich Zweie oder unseretwegen auch mehrere so von Herzen verwöhnen. 
        Und wenn es nur Einer ist, oder Eine, die sich selbst für ein paar 
        Minuten diese Freuden bereitet, dann wollen ihr die Wange streicheln hinterher, 
        und sprechen: Brav so, frisch drauflos gelebt, mit allen Sinnen und Freuden, 
        die euch gegeben sind, solange ihr es vermögt! Denn darin liegt der 
        eigentliche Sinn dieses Lebens – daß man Freude an ihm habe. 
        Das nun ist unsere heidnische Weihnachtsbotschaft. Möge sie lauter 
        und heller klingen, als jede Glocke, die zu Buße und Reue ruft und 
        mit jedem Glockenschlag das Wort „Sünde“ in die Welt 
        hinausblökt.  
        Den Widerhall unserer Botschaft aber vernehmen wir mit Freuden aus der 
        irischen Grafschaft Cork, in welcher der Dichter Houellebecq seine Zelte 
        aufgeschlagen hat. Wir sind nicht die einzigen, die so denken. Und das 
        tut gut. 
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