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Dr. Oskar Panizza

*12. November 1853 in Kissingen +30.September 1921 in Bayreuth

Dr.med.Oskar Panizza

Nein, der Tod, der soll uns nicht geniren. Komme er, wann er will! Aber das Leben, so lange wir's haben, das wollen wir festhalten; und ausnützen; und wollen uns abringen und uns abkämpfen; damit vielleicht, wenn es geht, eine Spur unseres Daseins zurückbleibe; ein Fußstapf auf dem Boden, wo wir gewandelt, sichtbar werde. Wie dann der Tod, wenn es aus ist, Hand an uns legt, das ist gleich.

Der Psychiater und Schriftsteller Dr.Oskar PANIZZA wird wohl am ehesten durch ein Zitat des Großen Tucholsky charakterisiert:

Panizza war der frechste, kühnste, geistreichste und revolutionärste Prophet seines Landes.

1869 finden wir ihn als Gymnasiasten in Schweinfurt. Er beschäftigte sich intensiv mit Musik.

Nach der aktiven Wehrdienstzeit nahm Panizza 1976 an der Münchener Universität ein Medizinstudium auf, daß er 1880 mit der Promotion zum Dr.med. beschloß.

Es folgten Assistenzjahre an der Kreisirrenanstalt zu Bayreuth. In diese Kreisirrenanstalt wurde Panizza später eingewiesen. Er begann in seinen späteren Lebensjahren an einer Erkrankung aus dem schizoiden Formenkreis zu leiden. Für ihn als einen mit der Materie der Geisteskrankheiten vertrauten Mann mußte die Erkenntnis, Halluzinationen ausgeliefert zu sein, besonders schlimm ausfallen.

Seinen Gegnern hingegen kam diese fürchterliche Erkrankung gerade recht. Bot sie doch einen hervorragend despektierlichen Rahmen, in dessen Kontext man das literarische Schaffen Panizzas bequem einordnen konnte. "Der Mann war irre, demzufolge war sein Geschreibsel das eines Wahnsinnigen und somit nicht das Papier und die Tinte wert..." So dachten sie, an denen Panizza das Messer seines überlegenen und scharfen Geistes, seiner überragenden und schlüssigen Wortkunst schliff.

Wen dieser Mann zum Ziel seiner literarischen Attacken machte, der hatte nichts mehr zu lachen! Und er kannte und haßte sie: die prätentiösen und bigotten Mucker, die den katholischen Glauben zu einem ritualisierten Mummenschanz verkommen ließen; die geldgeilen Profiteure, denen das Elend ihrer ausgebeuteten Mitmenschen nur soviel galt, als es den Grundstock ihres Vermögens bedeutete; die Honoratioren, denen Schein alles und Sein nichts bedeutete. Dieses ganze unwürdige Kaspertheater, das bis auf die heutige Zeit nur das Bühnenbild gewechselt hat, kotzte ihn an. Und er zeichnete es, entblößte es mit einer fulminanten Wortgewalt, zog dessen Protagonisten unbarmherzig ins Licht - und dafür haßten sie ihn.

Denn dieser Mann pöbelte nicht einfach in der Gegend herum. Dieser Mann wußte präzise um den Kern der Dinge, über die er schrieb. Und man las es aus jeder seiner Zeilen. Eloquenz, verspielte Wortwahl, meisterhaftes Beherrschen der Deutschen Sprache tänzelten um den Gegenstand seiner Aufmerksamkeit herum bis ein gezielter Stoß, ein Satz, ein Wort ins Herz traf.

Es kommt aber noch besser: Die meisten Kritiker sind auf dem Auge blind, mit dem sie ihr Spiegelbild sehen sollten. Soll heißen, es mangelt den meisten an entsprechender selbstkritischer Einsicht. Nicht so Panizza. Sowohl seine Krankheit nahm er nüchtern zur Kenntnis als auch die eigenen Schwächen und Unzulänglichkeiten. Über sie konnte er genauso trefflich und witzig resümieren wie über seine Zeitgenossen. Das macht ihn zu einem ernstzunehmenden Beobachter. Aus seiner Feder zum Beispiel stammt eine der exquisitesten Beschreibungen einer sich entwickelnden und dann ausbrechenden Schizophrenie. Die Geschichte heißt "Der Korsettenfritz" und ist sicherlich auch für Publikum vom Fach ergiebiger zu lesen als manches trockene Lehrbuch.

Immer wieder monierten seine Feinde Panizzas eigenwillige Orthographie, die sich selten um die Vorgaben des Dudens scherte, sondern sich eher noch am phonetischen Klangbild der Gegenwartssprache orientierte. Man versuchte allzuoft, das ungewöhnliche seines Erscheinungsbildes als Beweis für die geistige Umnachtung bzw. Entartung Panizzas zu zitieren.

Umsonst! Panizza beherrschte die Sprache und konnte sich seinen eigenwilligen Stil sehr wohl leisten. Er wußte, wie "Psichjater", "Simptom", "wol" oder "sizt" korrekt geschrieben wird. Aber darauf kam es ihm offensichtlich nicht an. Was ihm als Ausdruck von Blödsinnigkeit angedichtet wird, hat sogar den Effekt, daß man, (liest man seine Werke und ist als geübter Leser auf die Erscheinung der Wörter als Ganzes ähnlich fixiert wie ein Japaner auf seine Schriftzeichen(Kan-jin),) gezwungen ist, sehr sorgsam zu lesen. Das verhindert eine oberflächliche Auseinandersetzung mit den Gedanken des Autors und zwingt nachgerade zum gründlichen Durchdenken des angebotenen Stoffes.

Die Rache der Angegriffenen fiel sehr rechtstaatlich aus. Zunächst einmal buchtete man Panizza seiner Groteske "Die Himmelstragödie" wegen ins Gefängnis ein, dann entmündigte man ihn und sperrte ihn ins Irrenhaus Bayreuth, seine vormalige Wirkungsstätte.

Willige Gutachter, die einen Menschen psychiatrisieren, nur weil er seinen persönlichen Lebensstil nicht dem aktuell vorherrschenden allgemeinen Verhaltenscodizes unterordnen will, finden sich immer. Sie sind die erbärmlichsten unter den verachtenswerten Vertretern des Menschengeschlechtes. Denn im Gegensatz zur tumben Masse, haben sie sehr wohl das geistige Rüstzeug, das Verwerfliche ihres Handelns zu begreifen.

Doch das nur am Rande.

Bevor Panizza jedoch den Weg in die Irrenanstalt antreten mußte, war er auch noch gezwungen, den bitteren Kelch des Exils in Frankreich und in der Schweiz auszukosten.

Als nicht gesellschaftsfähiger Umgang wurde er von den meisten seiner Zeitgenossen gemieden und litt sehr unter Vereinsamung. Eine Beziehung zu einer Frau, die ihm hätte eine Partnerin und Stütze sein können, blieb ihm ebenfalls versagt. Verbittert konstatierte er: "Eine Frau intereßirt sich immer nur für sich - und ihr solt nur in irgend einer Form, durch euren Leib, durch euren Geist mithelfen, dieses Intereße für sie zur Entfaltung zu bringen..." und "... die Liebe zum Weibe wirft Dich hoch empor zu brausendem Entzücken - und läßt Dich dann mit zerschmettertem Schädel zu Boden fallen..." Ich lasse diese beiden originalen Zitate aus gutem Grunde unkommentiert, da ich befürchte, es mangelt mir an jenem Stoizismus, mit dem Johannes Hus 1415 zu Konstanz den Scheiterhaufen bestieg.

Dennoch, die besten, die klügsten Köpfe hielten es mit Panizza. Unter Ihnen waren Walter Benjamin, Kurt Tucholsky, George Grosz, Gräfin Reventlow, Hannes Ruch, Wedekind, Walther Mehring und viele andere. Seine Person schlug sich in literarischen Werken von Weltformat wieder und große deutsche Dichter setzten ihm in ihren Büchern ein Denkmal. Unter ihnen sogar Thomas Mann in seinem "Doktor Faustus".

Eine sehr schöne und zutreffende Beschreibung entnehmen wir dem oben genannten Hannes Ruch, einem der Mitwirkenden der "Elf Scharfrichter" zu München:

"Dieser erzgescheite Mensch mit dem scharfen Blick geistiger Überlegenheit und großer Welterfahrung, mit dem vitalen Gehirn, dem Hautgout einer dekadenten Weltanschauung und den blasphemischen Kühnheiten...."

Zum Schluß möge Panizza selbst noch einmal zu Worte kommen:

"Wenn ich fortwährend verliere, ist mir doch nicht bange für die Zukunft. Ich glaube, daß man einen derart verbohrten Spieler, der, obwohl er fortwährend verliert, immer noch weiter spielt, einmal beachten wird."

Diesen Satz könnte ich genausogut zu meinem Credo machen. Ich hatte nie das Vergnügen, diesem Großen unter den Schriftstellern des Vaterlandes persönlich zu begegnen - dreiundvierzig Jahre trennen unser beider Lebensspuren in der Unendlichkeit des Nichts - dennoch kann ich mit Stolz behaupten, diese ebenso brillante wie geschundene Seele mit dem Herzen fassen zu können.

Die Dunkelheit bornierter und gefährlicher Dummheit möchte den geistreichen und denkenden Menschen verzweifeln lassen. Aber ganz finster wird es nie - denn wie ein schon erloschener Stern noch immer am Firmament strahlt und den Weg zu weisen vermag, so leuchtet auch die Vita dieses hervorragenden und querdenkenden Geistes auf uns nieder, die wir noch an unserem Verstand festklammern und ihn nicht der allgewaltigen Verblödung überlassen wollen. Es wäre zu wünschen, daß dieser Stern wieder einem größeren Kreise bekannt wird und an Leuchtkraft gewönne, was ihm zu Lebzeiten versagt blieb.

Bruder Panizza, ich widerspreche Dir in einem Punkte Deiner Selbsteinschätzung vehement:

Du hast nicht "umsunst" gelebt!

Werke von Panizza:

  • Düstere Lieder 1886
  • Londoner Lieder 1887
  • Dämmerungsstücke 1890
  • Aus dem Tagebuch eines Hundes 1892
  • Visionen 1893
  • Der teutsche Michel und der römische Papst 1894
  • Der heilige Staatsanwalt 1895
  • Das Liebeskonzil 1895
  • Dialoge im Geiste Huttens 1897
  • Psichopathia criminalis 1898
  • Nero 1899
  • Visionen der Dämmerung 1914

Werke über Panizza:

  • F.Lippert: in memoriam O.P. 1925

 

P 1. Volumen

© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2003