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        Till Eulenspiegel *? im Braunschweigischen +um 1350 zu Mölln Prototyp des Narren K. K. Bajun In diesem niederdeutschen Landsmann 
          begegnet uns der Archetyp des Narren schlechthin. Eigentlich sollte 
          er die Rubrik "Persönlichkeiten" der Baaksenseite anführen. 
          Ist er doch ihr gottgegebener Pate.
 Sein überliefertes Leben bestand darin, daß er die Leute 
          genau beobachtend genau dort packte, wo es ihnen wirklich weh tat: bei 
          ihrer Nachlässigkeit und ihrer Dummheit. Er hielt ihnen unbarmherzig 
          den Spiegel vor und zwang sie, sich mit den Folgen ihrer geistigen Bequemlichkeit 
          auseinanderzusetzen. Also die wahre Passion eines Narren.
 Denn das Wort „Narr“ kommt vom lateinischen narrare und 
          bedeutet: erzählen. Der Narr ist also nicht irgendein gestörter 
          Hampelmann, der sich durch die Gegend kaspert. Er ist Mensch, der in 
          unkonventioneller Art und Weise den Leuten etwas zu erzählen hat. 
          Meist über ihre Schwächen, die ihnen im Alltag immer wieder 
          ein Bein stellen, über die sie unentwegt stolpern und andere mitreißen. 
          Der Narr und der gesetzte Weise sind in dem, was sie ihrer Umwelt zu 
          geben haben, die nächsten Verwandten. Nur, daß der seriöse 
          Lehrer das Thema direkt und ohne Umwege anspricht und mit ernster Mine 
          vermittelt. Er hofft, daß ihm die Lernenden im Eigeninteresse 
          zuhören und versuchen, das Gehörte zu abstrahieren, oder aber 
          in ihr Denk- und Verhaltensrepertoire einbauen.
 Der Narr beschreitet einen anderen Weg. Er läßt die Menschen 
          bewußt ins Messer laufen, verhöhnt ihre Schwächen zum 
          Gespött anderer oder warnt in lustiger oder halbernster Form. Der 
          pädagogische Effekt ergibt sich dabei aus der Intensität der 
          Pointe, die der Narr mit seinem Treiben setzt. In früheren Zeiten 
          prägte sich diese Pointe im Volksbewußtsein oft tiefer ein, 
          als die gebetsmühlenhafte Wiederholung gesellschaftlicher Verhaltensnormen 
          durch die Alten.
 Schadenfreude – schönste Freude! Viele der großen Schalksnarren, 
          die Ulenspiegeln in seinen Taten folgten, sei es der Hodscha Nasreddin 
          bei den Muselmännern, Herschel Ostropoler bei den Juden, der Pfaffe 
          vom Calenberg oder Hans Clauert bei den brandenburgischen Märkern, 
          agierten oft nach dieser Maxime. Eine solche Pointe wurde zum Schwank 
          und als solcher erfuhr er eine rasende Verbreitung. In ihm war für 
          jeden Hörer die Botschaft deutlich erkennbar: achte auf deine Gedanken, 
          Worte und Taten! Bist du deren Meister nicht, werden sie dir unbarmherzig 
          auf die Füße fallen.
 Sicher, vieles, was Eulenspiegel zugeschrieben wurde, hat er nicht getan. 
          Bei der Zusammenstellung seiner Taten wurden von dem entsprechenden 
          Autor der Urschrift (wahrscheinlich ein Braunschweiger Bürger) 
          etliche Histörchen mit hineingekehrt, die gerade im Schwange waren 
          und so recht geeignet waren, das entstehende Buch zu bereichern. Das 
          war ein allgemein übliches Verfahren. Schließlich ging es 
          hier um den Unterhaltung- und damit Verkaufswert des Büchleins 
          und nicht um einen historischen Tatsachenbericht. Der im deutschen Sprachraum 
          legendäre Jörg Wickram verfolgte dagegen mit seinem im 16. 
          Jahrhundert herausgegebenen „Rollwagenbüchlein“ das 
          Konzept verschiedener Akteure, während bei den vorgenannten großen 
          Narren die Handlung explizit auf den Protagonisten fokussiert bleibt.
 Wie eingangs schon erwähnt, erforderte die Narretei von Format 
          eine präzise Beobachtungsgabe und einen wachen, scharfen und schlagfertigen 
          Verstand. Eulenspiegel mußte also nicht nur in der Lage gewesen 
          sein, die Situation oft im Bruchteil einer Sekunde zu erfassen, sondern 
          auch die Möglichkeiten, die sich aus ihr ergaben.
 Er packte dort zu, wo ihm sein Gegenüber am verwundbarsten erschien: 
          an seiner Eitelkeit, seinem unüberlegten Geplapper, seiner Gier, 
          der Oberflächlichkeit oder der zur Schau getragenen, bornierten 
          und arroganten Schlauheit, die jedoch des realen Hintergrundes entbehrte.
 Und er packte hart zu. Unnachgiebig! Wem er sein „Hic fuit“ 
          (hier war er gewesen) mit Kreide an die Haustür gemalt hatte oder 
          seine Eule mit dem Spiegel, der war meist um eine Erfahrung reicher 
          um einiges an Hab und Gut ärmer und meist wohlversorgt mit dem 
          Spott der Nachbarn.
 Über wen aber die Nachbarn lachen, wer sich blamiert sieht – 
          er möge daran schuld sein oder nicht – der gerät meist 
          darüber in Rage. In den seltensten Fällen führt dieses 
          Erlebnis zu inneren Einkehr beim Betroffenen, zur Einsicht oder gar 
          zur Besserung. Man erinnere sich: die Leute, die dem Narren aufgesessen 
          waren, hatten das in aller Regel ihrer eigenen Blödheit zu verdanken 
          – nicht so sehr der Bosheit des Narren.
 Es entspricht jedoch nicht dem Wesenszug des normalen Nackten Affen, 
          daraus die entsprechenden Schlußfolgerungen zu ziehen. Vielmehr 
          schreit die gekränkte Seele nach Rache. Nach einer für alle 
          sichtbaren Vergeltung. Das gestörte seelische Gleichgewicht, die 
          soziale Demontage des Vorgeführten durch den Nachbarspott (dieser 
          Umstand spielte in den kleineren und eng beieinander lebenden sozialen 
          Einheiten des Mittelalters eine enorme Rolle für den einzelnen 
          Menschen) verlangten nach einem Ausgleich. Die personifizierte Ursache 
          des Torts konnte leicht benannt werden. Es war der Narr! Ihn zu schlagen 
          hieß von den wahren Gründen für die Blamage erfolgreich 
          ablenken.
 Daraus folgt, daß Eulenspiegel zu seinem rastlosen Wanderdasein 
          nachgerade gezwungen war, das ihn zeit seines Lebens kreuz und quer 
          durch Europa führte. Es war nicht ratsam für ihn, an einen 
          Ort zurückzukehren, dem er einmal seinen Stempel aufgedrückt 
          hatte.
 Dennoch, sein Ruf eilte ihm voraus. Kannte man ihn nicht von Angesicht 
          – über seine wunderlichen Taten hatte man gewiß schon 
          gehört. Mit seinem Namen konnte jedermann etwas anfangen. So entstehen 
          Legenden. Von Bremen bis Nürnberg, von Antwerpen bis Paris, von 
          Prag bis Rom – Eulenspiegels Füße hatten den Kontinent 
          durchmessen.
 In einer namhaften Hansestadt hat sich Eulenspiegel gar vom Galgen losschwatzen 
          müssen, indem er in seinem ihm zustehenden letzten Wunsche den 
          hochmögenden Rat darauf einschwor, seinem Leichnam nach der Hinrichtung 
          an drei aufeinanderfolgenden Tagen den Hintern zu küssen. Einen 
          Regionalfürsten im Lüneburgschen, der ihm seinen ersten Possen 
          zwar durchgehen ließ, ihm aber bei Todesstrafe verbot, je wieder 
          sein Land zu betreten, kam er nur dadurch aus, daß er blitzartig 
          sein Pferd schlachtete und sich in den Kadaver stellte, von den himmelwärts 
          ragenden Beinen des toten Tieres umgeben, wie von den Pfosten eines 
          Hauses. Seine Rettung bestand also in der Berufung auf die altgermanische 
          Sitte des Hausfriedens. (Der Herzog, wäre er denn genauso ein grober 
          Schalksnarr gewesen, hätte leichthin die neu geschaffene Enklave 
          akzeptieren und durch seine Soldaten umstellen lassen können. Die 
          Folgen für Eulenspiegel lassen sich an fünf Fingern abzählen. 
          Der Narr war also darauf angewiesen, anderen über zu sein und das 
          letzte Wort zu behalten.) Diese Begebenheiten, die uns vielleicht heute 
          lachen machen, zeigen doch aber, daß der fahrende Vagant Eulenspiegel 
          oft nicht viel Luft zum Atmen hatte, weil ihm der Strick allzu eng um 
          den Hals gemessen war. Es waren derer viele, die er im Laufe des Lebens 
          gegen sich aufgebracht hatte und die ihm deshalb recht gram waren.
 Es ist hier nicht der Ort, die mannigfaltigen Streiche aufzuführen, 
          mit denen Eulenspiegel von sich reden machte. Man möge sie an entsprechender 
          Stelle nachschlagen. Tatsache jedoch ist, daß viele seiner Possen 
          für moderne Geschmäcker recht grob geraten waren. Es ist heute 
          nicht mehr üblich, über einen Schabernack zu lachen, bei dem 
          der Geschädigte verkrüppelt oder aber mit Fäkalien und 
          anderem Unrat hantiert wird. Auch wenn Tiere unter unwürdigen Bedingungen 
          als Mittel zum Zweck herhalten müssen, regt uns heutige Leser die 
          Geschichte mehr auf, als daß sie uns amüsiert.
 Nun, das Mittelalter war eine verdammt harte Zeit. Um zu überleben, 
          war von den Menschen aller gesellschaftlicher Schichten eine gewisse 
          Raubeinigkeit gefordert. Feinsinnigkeit war gewiß eine Tugend, 
          die sich nur wenige leisten konnten.
 Natürlich erfüllte die Verbreitung der Schwänke in der 
          Bevölkerung eine genau definierte Funktion: Sie diente als Ventil 
          für die Schichten, die sich stets mit den untersten Rängen 
          der Gesellschaftspyramide begnügen mußten. Deren schlichter 
          Mutterwitz, von jeder echten Möglichkeit zur Bildung von vornherein 
          ausgeschlossen, sollte doch letztendlich auch seine Chance bekommen, 
          über das sophistizierte Gehabe der gelehrten Doctores zu triumphieren. 
          Auch der Fürst sollte mal der Angeschmierte sein oder der reiche 
          Kaufherr, der den einfachen Handwerker oder Bauern nicht einmal mit 
          dem Rücken ansah. Diese wiederum wurden zum Zielobjekt, wenn sie 
          sich gar so täppisch oder einfältig verhielten. Wenn Handwerksmeister 
          meinten, ihre Gesellen und Lehrbuben besonders kujonieren und ausbeuten 
          und ihre Kundschaft kräftig übers Ohr hauen zu müssen, 
          dann erschien Eulenspiegel den Geschundenen des Alltags als Held und 
          Rächer. Er, der den Schindern und Betrügern den schlechten 
          Charakter mit doppelt harter Münze ausbezahlte.
 Nichtsdestotrotz dürfen wir den mehrfach erwähnten Umstand 
          nie außer Acht lassen, daß Eulenspiegel nirgends auf Dauer 
          seßhaft werden konnte, zu fortwährender Wanderschaft gezwungen 
          war. Nichtseßhafte, wir sehen es am Deutlichsten bei den Zigeunern, 
          werden von den Etablierten stets mißtrauisch beargwöhnt. 
          Warum? Weil der Nichtseßhafte Schaden am Eigentum des Seßhaften 
          anrichten kann, ohne daß man seiner häufig hätte habhaft 
          werden können um ihn dafür erfolgreich zu belangen. Denn er 
          hat ja nichts, woran man sich im Bedarfsfall schadlos halten kann und 
          er ist meist schnell auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Dazu kam, daß 
          der mittelalterliche Mensch nur eine echte Lebensversicherung hatte: 
          die Integration in eine Gemeinschaft, die im Notfall für ihn einstand. 
          Wer keine Angehörigen mehr hatte, war in aller Regel dumm dran. 
          Wind und Wetter ausgesetzt, im Krankheitsfall ohne jede Hilfe, auf Almosen 
          angewiesen sein – all dies ist einem langen Leben nicht eben zuträglich.
 So kann man denn davon ausgehen, daß Eulenspiegel nicht sehr alt 
          geworden ist.
 Mehr oder minder unzuverlässige Quellen berichten, er sei im Jahre 
          1350 zu Mölln in Niedersachsen an der Pest gestorben. Das klingt 
          plausibel. Dem großen Sterben des fürchterlichen 14. Jahrhunderts, 
          das immer wieder Europa entvölkerte, hatte ein armer Sohn der Landstraße 
          nicht das Geringste entgegenzusetzen. Ohne Geldreserven oder abgeschlossene 
          Landgüter, die einzig und allein eine geringe Aussicht auf Schonung 
          verhießen, waren seine Chancen im Roulette des Lebens mehr als 
          ungünstig.
 Was von ihm blieb, ist sein legendärer Ruf, sein ewig mahnender 
          und um nichts nachdunkelnder Handspiegel, den er seinen Mitmenschen 
          über die Jahrhunderte hinweg in ungebrochener Aktualität vor 
          Gesicht und Seele hält.
 Sicher, genutzt hat es nur wenigen. Aber schon für diese Wenigen 
          hat es sich gelohnt.
 
 
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