Baaks

zurück zum Landboten

 

Reform und Überlebenskampf
Wolfgang Glaeser begleitete die NDPD durch die Wende

von Michael L. Hübner
Zu ihren besten Zeiten zählte die NDPD 232.505 Mitglieder, Ende der Achtziger waren es noch knapp die Hälfte. Viele von ihnen hatten sich einst, wie der 1940 in Brandenburg an der Havel geborene Glaeser, regelrecht in die Blockparteien gerettet, um dem Zugriff der SED zu entgehen. Mit der Kandidatur Glaesers wollte sich die SED zu ihrem 7. Parteitag 1967 ein Geschenk machen. Als es ernst wurde, traf der spätere Parteichef der Nationaldemokraten zufällig seinen alten Mathelehrer. Der war in der NDPD, konnte helfen und mittels einer rückdatierten Aufnahme drehte Gläser den Kommunisten eine Nase. Die aber hatten über ihre stalinistischen Vertrauensleute, wie den in der Sowjetunion gewendeten Wehrmachtsmajor Heinrich Homann auch die Blockparteien fest an der Leine. Insofern war das demokratische Spektrum eine Farce – genau wie die Wahlen in der DDR. Diese liefen nach Ulbrichts Motto ab: Es muss alles demokratisch aussehen, aber die Macht bleibt bei der SED. Die Wahlen im Mai 1989 aber brachten das Fass zum überlaufen. Dem studierten Geografie- und Sportlehrer und langjährigen Schwimmtrainer an der KJS Brandenburg Glaeser sowie weiteren zur „Wahlparty“ eingeladenen Vertretern der Parteien und Massenorganisationen schwante nichts Gutes, als SED-Kreisleiter Winfried Mitzlaff, Oberbürgermeister Mühe und Egon Crohn zur Wahlauswertung in einem Hinterzimmer der Kreisleitung verschwanden. Und richtig: Strahlend entschwebte Mitzlaff schließlich seinem Besprechungsraum und verkündete 98,7 Prozent für Stadt und 98,71 % für den Landkreis. Der vorgesehene Jubel blieb den Gästen im Halse stecken. Betreten sah man sich an und verließ peu a peu die Kreisleitung. Klar war, dass die Arbeiter- und Bauerndemokratie den letzten Rest ihrer Glaubwürdigkeit verspielt hatte. Dabei konnte Gläser beobachten, dass bereits vor der Wahl die potentiellen Nichtwähler aus dem Wahlvolk herausgerechnet wurden, um hinterher die Wahlbeteiligung höher aussehen zu lassen. Tausende Stimmen der Briefwähler verschwanden auf ungeklärte Weise. Durchgestrichene Stimmzettel wurden nicht etwa per se ungültig erklärt, sondern großzügig „interpretiert“. Ausgezählte Stimmzettel verschwanden zeitnah im Reißwolf. Gewährsleute Glaesers berichteten aus 5 der 96 Wahlbezirke eine Nichtwählerzahl von 112 Personen. Für die Gesamtheit der 96 Wahlbezirke wurde dann offiziell eine Nichtwählerzahl von 114 festgestellt! Damit sich das alles nicht zu schnell herumspricht, waren zur Wahlzeit einige Privattelefonanschlüsse lahm gelegt worden. Glaeser der seit 1985 hauptamtlich für die NDPD arbeitete, war klar: Jetzt bricht der Laden zusammen! Wenn seine eigene Partei überleben wollte, musste sie sich strikt reformieren. Beim 14. Parteitag der NDPD am 20./21.1.1990 in Berlin trauten ihm 64% der Parteifreunde diese Fähigkeit zu und wählten den völlig unvorbereiteten Gläser, der radikal die Abkehr vom Staatssozialismus forderte, zum Parteichef. Sehr zum Ärger des Stellvertreters und Altstalinisten Hartmann, der sich selbst bereits als neuen Boss sah und den alten Kurs gerne weitergefahren hätte. Hartmann mobbte Glaeser, was das Zeug hielt. Nach zwei Tagen verkündete dieser dem geschockten Präsidium, dass er eine solche Art und Weise nicht nötig habe und daher seinen Posten zur Verfügung stelle. So kam er zurück in seine Heimat, für die er 1991 sogar Genscher auf den Neustadt Markt holte, während seine Partei bei den Volkskammerwahlen im März 1990 mit 0,39% kräftig abgewatscht wurde. In der Havelstadt vertritt er die FDP, welche 1990 die NDPD, die LDP, die Ost-FDP und die Forumspartei in sich vereinigt hatte an exponierten Stellen. Seit 1991 ist Glaeser im Kreis- und im Landesvorstand tätig sowie Delegierter zum Bundesparteitag. Für die geschichtliche Bildung der Jugend engagiert sich der Liberale sehr, denn es wurmt ihn, dass selbst die bayerische Jugend offenbar mehr über die DDR weiß, als die jungen Brandenburger. Mangelnder Bildung aber ist es geschuldet, dass selbst eine westdeutsche Spitzenpolitikerin Vorzeige-Demokraten wie Wolfgang Glaeser lediglich aufgrund eines ehemaligen, irreführenden Blockpartei-Namens an den Rand des demokratischen Spektrums schoben und auszugrenzen versuchten.

14. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009
13.07.2009