Blümchen auf dem Neustadt 
            Markt
           B. St. Fjøllfross
            Das Brandenburger Wochenblatt, 
            die BRAWO, ein kleines Anzeigenblatt mit stark regionalem Charakter 
            fragt in seiner Ausgabe vom 24. April 2005 auf Seite 4 sechs Bürger 
            der Chur- und Hauptstadt Brandenburg an der Havel, was sie sich denn 
            für den Neustadt Markt wünschten. Das mag für einen 
            Außenstehenden, mit den Brandenburger Verhältnissen nicht 
            eben Vertrauten, etwas befremdlich anmuten. Deshalb sei erklärt, 
            daß es sich bei diesem Markt um den zentralen Platz der Neustadt 
            Brandenburg handelt, über den einst die mittelalterliche Fernhandelsroute 
            von Magdeburg nach Kiew führte, an dem sich die Straße 
            nach Süden über den Fläming mit Anschluß an die 
            großen Messezentren Leipzig und Nürnberg und die Straße 
            zur verschwisterten Altstadt Brandenburg trafen. An diesem Platz schlug 
            das Herz der Neustadt Brandenburg. Hier stand dermaleinst bis zu seiner 
            sinnlosen Zerstörung im Jahre 1945 das schöne, große, 
            gotische Rathaus, vor ihm wachend der schönste Roland Deutschlands. 
            Dieses Ensemble, begleitet vom Storbeckschen- oder Kurfürstenhaus, 
            war der der Blickfang und Endpunkt der Steinstraße und der St.Annenstraße, 
            der beiden wichtigsten Verkehrs- und Handelsstraßen der Stadt, 
            das Schaufenster dieses einst so bedeutendsten Gemeinwesens der Mark. 
            
            Man war stolz, Brandenburger zu sein! Man war wer! Und dieses Gefühl 
            der Heimatverbundenheit ist das Blut, das durch eine Stadt fließt 
            und sie zum Erblühen bringt.
            Nun hat es mit Brandenburg seit dem Ende des Dreißigjährigen 
            Krieges ein beinahe stetiges Bergab in die Bedeutungslosigkeit genommen, 
            das nur nach der Gründerzeit bis zur Machtergreifung durch die 
            Nazis noch mal ein kräftiges Zwischenhoch verzeichnen konnte. 
            
            Den letzten Rest gaben das Kriegsende, die nachfolgende, von stetigem 
            Mangel begleitete kommunistische Herrschaft und die bemerkenswerte 
            Unfähigkeit der Nachwendepolitik, aus der vorhandenen, überreichen 
            Substanz noch etwas wirklich Dolles zu machen.
            „Das Loch“ auf dem Neustadt Markt, eine überwuchernde 
            Tiefbauinvestruine, die nach langem, zermürbendem Streit mit 
            einem umstrittenen Bauherren für beinahe weltweite, zumindest 
            aber deutschlandweite, negative Bekanntschaft der Stadt Brandenburg 
            sorgte, stand Pate für all die vielen anderen fundamentalen Fehler, 
            die bei der Revitalisierung der geschundenen Civitas gemacht wurden. 
            Dieses Loch war symptomatisch für die Zerrissenheit der Stadtverordnetenversammlung, 
            ein gähnendes Symbol der Kluft zwischen Stadtvätern und 
            Bürgermeister, der völligen Konzeptionslosigkeit und nicht 
            zuletzt auch für Filz und Unfähigkeit.
            Die Firma Wertkonzept wartete mit einem sehr ansprechenden Vorschlag 
            auf, der eine Bebauung des Marktes mit einem modernen Gebäude 
            in architektonischer Anlehnung an das alte Rathaus vorsah. Der Landbote 
            berichtete darüber auf seiner Seite „Verschwundene Schätze 
            der Stadt Brandenburg“ im Kapitel „Das Rathaus der Neustadt“.
            Dieser schlüssige und dem historischen Anspruch der Chur- und 
            Hauptstadt durchaus gerecht werdende Plan wurde nicht einmal ernsthaft 
            diskutiert.
            Nun fragt die BRAWO, wie obern erwähnt, die sechs Zeitgenossen, 
            was ihnen denn am Markt fehlen würde. Diese Frage schließt 
            sich inhaltlich an einen Artikel an, der auf der Titelseite verkündet, 
            daß der Neustädtische Markt wieder ein „Lichtobjekt“ 
            erhalten solle. 
            Doch vorerst wird uns erst einmal schwarz vor Augen.
            Denn was jetzt kommt, das zieht uns die Schuhe aus. Es erscheint uns 
            als der Schlüssel zum Verständnis, warum es mit dieser Stadt 
            nicht vorangeht, warum ihr die arbeitsfähige und leistungsstarke 
            Jugend und Bevölkerung davonrennt, warum sich die Stadt stets 
            um eine Spitzenposition in der Arbeitslosenquote bewirbt.
            Wir wissen nicht, ob die BRAWO nur diejenigen Stimmen hat zu Worte 
            kommen lassen, die der redaktionell gewünschten Tendenz entsprachen, 
            oder ob die Brandenburger wirklich mehrheitlich in dasselbe Horn stießen. 
            Sei es wie es sei: es ist zum Irrsinnigwerden!
            Was ihnen also fehlt, den Mitbürgern? Lassen wir sie zu Worte 
            kommen: Etwas mehr Farbe fehlt ihnen, Blumenrabatten, größere 
            Bäume, eine Weltzeituhr (In Brandenburg, oho! Damit wir wissen, 
            um welche Zeit die Farmer in Auckland bei der Mittagslektüre 
            über unseren Kleingartengeist grinsen…), eine Toilette 
            wäre schön – aber die paßt nicht hin, weil der 
            Platz in seiner gegenwärtigen Form schon perfekt(!!!) ist – 
            und immer wieder wird der Ruf nach einem Brunnen, einer Uhr und Blumenkübeln 
            laut. 
            Wir möchten ergänzen: Stellt ein Schild auf: „Hier 
            können Familien Kaffee kochen!“ Eine Litfaßsäule, 
            die über die Aktivitäten des örtlichen Kaninchenzüchtervereins 
            informiert, mittig plaziert, würde Effekt machen! Zwischen den 
            Blumenkübeln und dem Springbrunnen sollte die „Gartenlaube“ 
            respektive ihre Nachfolger verkauft werden, die man dann zu Hörnchen 
            und Capuccino konsumieren kann – im Schatten lauschiger Linden, 
            versteht sich. Und wenn am Rande noch ein paar Bausatzmodelle für 
            Ferraris im Maßstab 1:25 angeboten würden, die allen einen 
            Vitrinentrost böten, die sich das echte Gefährt nicht leisten 
            können, dann würde das ganz dem Geist der vorgetragenen 
            Bescheidenheit entsprechen.
            Hat man diese Leute mürbe gemacht? Hat man ihnen die Visionen 
            herausgeödet? Hat man diese Menschen zerbrochen? Ist das der 
            Tatendrang eines Ernst Paul Lehmann, der Brüder Reichstein, eines 
            Vater Franz? Ist das der Geist, der Opel, ARADO und die Mitteldeutschen 
            Stahlwerke nach Brandenburg zog, der über dem Breitlingsee das 
            erste Großraum-Amphibienflugzeug der Welt aufsteigen ließ?
            Liebe Fee, erfüll uns doch den Wunsch und mach uns ganz klein, 
            damit uns niemand mehr entdeckt und wahrnimmt! Sie haben alle lange 
            genug über uns gelacht.
            Wir brauchen kein erwachendes, erstarkendes Brandenburg. Wir brauchen 
            ein Schneckenhaus, in das wir uns verkrümeln können, um 
            ungestört unsere Wunden zu lecken, die man uns so lange schlug.
            Was soll eine Besinnung auf einstige Größe? Was soll ein 
            architektonisches Fanal, das die Brücke zwischen dieser Größe 
            und unseren Glauben an die Wiedereroberung dieser Bedeutung schlägt? 
            Wir wollen doch gar nicht. Schmalspur reicht uns. Hauptsache, uns 
            tritt keiner auf die Füße. Wir beten mit Nicole: Gebt uns, 
            Freya, Triglaf, Mutter Gottes, Frau Oberbürgermeisterin, liebe 
            Stadtverordentenversammlung: ein bißchen Frieden, ein bißchen 
            Freude… Nicht zu viel, hört ihr, um Gottes Willen: nicht 
            zu viel!
            Die Olympiasiegerin im Kanusport und Ehrenbürgerin der Stadt 
            Brandenburg, Frau Birgit Fischer, darf sich – so verkündet 
            das Titelblatt derselben BRAWO freudestrahlend – nunmehr „Spargelspitze 
            2005“ nennen. Auch eine Art der Schaffung von Identifikationsobjekten: 
            Einer Sportikone wird unser kleines, hübsch bescheidenes Kostüm 
            der Selbstdarstellung übergeholfen, so ein niedlicher titularer 
            Deminutiv, der sich an der Lächerlichkeit der Maskerade des zirkusobligatorischen 
            Dummen August orientiert. Wir lachen nicht über uns – verstehen 
            Sie das nicht falsch! Wir meinen das richtig ernst. Keine Visionen, 
            kein Zupacken – klitzekleines Stückwerk, das auf Außenstehende 
            nur noch komisch wirkt. Es ist zum Heulen!
            Ihr Mütter und Väter der Stadt am Havelstrom, vergebt uns! 
            Vergebt uns, daß wir euer Erbe vernachlässigen, verfallen 
            lassen und mißachten, wie das Plauer Schloß und den Neustädtischen 
            Markt – weil uns vor der Größe eurer Leistung bange 
            ist. 
            Wir sind Zwerge auf den Schultern von Giganten, wie Newton einst sagte 
            – und wir haben alle Hände voll zu tun, uns festzuhalten. 
            Damit wir nicht runterfallen! Da bleibt keine Zeit für einen 
            Blick in die Ferne...
            Was wir uns für den Neustadt Markt wünschen? Daß diese 
            Stadt zu sich selbst fände, sich endlich ihrer bewußt werde. 
            Wir wünschen ihr eine Gemeinde, deren Herz heiß und innig 
            für die Stadt Brandenburg an der Havel pocht. Wir wünschen 
            dieser Gemeinde Kraft zu einem visionären Verstand und genug 
            Heimatverbundenheit, um diesen Visionen Gestalt zu verleihen! Wir 
            wünschen dem Neustadt Markt eine attraktive Zukunft, weg von 
            der gestaltlosen und leeren Öde, teilweise umkränzt von 
            tristen Ruinen und leerstehenden Gebäuden, die das Verhältnis 
            der Bürger zu ihrer Heimatstadt nur allzu deutlich spiegelt. 
            Wir wünschen diesem Platz, daß er zu einem zentralen Träger 
            von Stolz, Zuversicht und Identifikation werde. Eine schöne Damenhand 
            wird immer von einem edlen Ring geziert. Gebt ihr diesen Ring! Gebt 
            dem Neustädtischen Markt von Brandenburg sein schönes Rathaus 
            zurück - ganz gleich, ob nach alter oder neuer Manier aufgeführt 
            - aber die Form sollte es schon sein.