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Deportation in die Hölle
Studiobühne Brandenburg führt Mitterers „Sibirien“ auf


Harald Arnold und Solveig Schomers

Kotofeij K. Bajun
Ein beklemmenderes Stück dürfte es wohl in der Geschichte des Brandenburger Theaters selten gegeben haben. Es ist die Geschichte eines alten Mannes, der nach einer Hüft-OP nicht zurück in den Kreis seiner Familie kommt, sondern von dieser nahtlos ins Altenheim abgeschoben wird. Der Mann stand im Leben, war ein ganzer Kerl, hat den Nazis die Stirn geboten, als seine Frau keinen Ariernachweis erbringen konnte. Er ist mit der Wehrmacht nach Russland marschiert und die siegreiche Rote Armee wusste ihm Dank dafür und verfrachtete ihn in ein kasachisches Kriegsgefangenenlager. Auch das überstand er. Er wurde Beamter, kämpfte sich hoch – bis das Alter ihn einholte. Die Apokalypse begann...
Was Hofschauspieler Harald Arnold am 2. März 2012 in der Brandenburger Studiobühne in anderthalb Stunden zeigte, das griff ans Herz, das trieb den Schweiß auf die Stirne. Über Arnolds Mimenkunst lässt sich kaum noch etwas sagen, es sei, man habe ein Lyra bei der Hand. Denn die Kunst, die der letzte rezente Vertreter des Brandenburger Ensembles seinem Publikum bietet, sollte nur noch besungen zu werden. Insofern regen wir an, in Analogie zum Iffland-Ring eine Devotionalie zu kreieren, die mit dem Namen Arnolds verbunden den Nachwuchstalenten um Christiane Ziehl als ständiger Ansporn zu Höchstleistungen leuchtet.
Was der Autor Felix Mitterer dort komponierte, das ist alles wahr, Note für Note. Da ist kein einziger falscher, übertriebener oder unsachlicher Zungenschlag weder im Sujet noch in Arnolds Spiel. Die grauenhafte Authentizität drückt einem die Kehle zu. Es ist die Art, wie die Gesellschaft mit ihren Alten umgeht. Um mit Thomas Müntzers Worten zu sprechen: Die Eltern aber machen das selbst, dass ihnen die Kinder feind werden. Die Ursache des Aufruhrs wollen sie nicht wegtun. Wie kann es die Länge gut werden? Es geht nicht gut. Es ist, wie Arnold im Stück deklamiert: Man bezahlt für alles im Leben! Der Protagonist ist Choleriker und er ist über seine Zeit hinaus. Und er ist verloren. Gibt es eine Hölle? Aber natürlich. Ganz sicher sogar. Weitaus sicherer als ein ominöses Paradies. Es ist die Hölle des langsamen Sterbens in einem entseelten Altenheim. Haben wir es nicht tausendfach gesehen? Die Alten, die, als sie noch jung waren, ihre Kinder durch die Trümmer des Krieges gebracht hatten und die, als ihnen das Senium die Kraft nahm, von diesen ihren Kindern selbst zu Kindern degradiert und gleichsam entmündigt wurden. Und Harald Arnold brachte diese Botschaft rüber, Zeile für Zeile, Silbe für Silbe, Buchstabe für Buchstabe. Es ist so würdelos. Es ist so demütigend, es ist so qualvoll. Herr, ich bitte sterben zu dürfen! Aber sie dürfen nicht sterben. Sie haben zu leiden, tagaus tagein, jahrelang. Häufig abgestumpftes Pflegepersonal verwaltet dieses Sterben und läuft dabei seelisch selbst auf dem Zahnfleisch. Jüngere Menschen mit Helfersyndrom fallen in die Altenheime ein und bespaßen die armen, von Gott und der Welt verlassenen Kreaturen auf Teufel komm raus. Diese aber sehen ihren verbliebenen Lebenszweck nur noch darin, ihre zugepissten Sessel im Foyer gegen ihre Leidensgenossen mit Klauen und Zähnen zu verteidigen, gegenseitig zu hetzen und sich gegen ihre Kinder – wenn sie denn auf Besuch kommen – aufzuführen wie die Hundewelpen. Arnold bringt alles, alles auf den Punkt – die störrische Auflehnung, das Rechten, das Zanken, die Unduldsamkeit, das Flehen, den Wahn. Am Ende rinnt alles durch die Finger..., wie Sand in einer Sanduhr. Unaufhaltsam. In seinem Sohn Robert hatte Harald Arnold einen kompetenten Regisseur, in Jana Denhoven eine einfühlsame Kostüm- und Bühnenbildnerin, die verstanden hat. Die alles verstanden hat. Aber die Dame, vor der wir ehrfurchtsvoll in die Knie gehen, das ist Solveig Schomers von Junges Zimmertheater. Sie war beinahe stumm – aber die Art, wie sie das war! Jede Bewegung stimmte, jede Haltungsnuance, jedes noch so winzige Timbre in der Stimme. Sie war Schatten, Kontrapunkt, Mitspielerin – sie war alles. Ohne dieses Mädchen wäre es nicht gegangen. Wir haben sie mit unseren Augen verfolgt, selbst wenn der große Arnold sprach. Wir haben sie gewogen und gemessen und für exzellent befunden. Jeder Einsatz minutiös auf die Botschaft des Stücks abgestimmt und mit unbeweglicher, ja unbeteiligter Miene vorgetragen. All das entmenscht Sterile dieser furchtbaren Sterbemaschine Altenheim nahm diese junge Frau in sich auf und reflektierte sie, ganz Profi in ihrem Geschäft – und das mit ihren jungen Jahren. Beinahe ausverkauft war die Studiobühne – das Thema hatte es in sich. Der nächste Tag wird Armin Müller-Stahl ins Brandenburger Theater spülen. Das Große Haus ist schon jetzt bis auf den letzten Platz besetzt. Der Mann ist das Leben, ist Saft und Kraft. Das interessiert die Leute. Wie Harald Arnold zu seiner imaginären Schwiegertochter sagte: Du bist noch nicht dran mit Sterben – noch nicht! Besser kann man es nicht formulieren.

 
B
10. Volumen

© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2012

03.03.2012