Baaks

zurück zum Landboten

 

Eisberg voraus!
Schwanengesang im Kanzleramt

B. St. Fjøllfross Warum macht sie das? Bundeskanzlerin Frau Dr. Merkel ist eine der versiertesten Politikerinnen dieser Welt. Dennoch bringt sie im Zuge der Flüchtlingskrise alles ins Wanken, was ihr je innerhalb der politischen Landschaft Europas etwas bedeutete: Die Einheit des Alten Kontinents, die demokratische Stabilität Deutschlands, die Positionierung ihrer christdemokratischen Partei im Volk und letztendlich auch die sichere Zukunft der Flüchtlinge.

Die Analyse dieses Verhaltens verbietet einfache Antworten. Die Hintergründe sind mit Sicherheit sehr vielschichtig und genauso differenziert zu betrachten. Eine Erklärung, die sich am vordergründigsten aufdrängt, speist sich aus dem historischen Kontext des 20. Jahrhunderts. Das deutsche Volk, jahrhundertelang daran gehindert, sich zu zentralisieren und damit ein gesundes Selbstbewusstsein und gleichsinnig eine eigene, ausgewogene Mitte im Herzen Europas zu gewinnen, pendelt in Extrembewegungen um dieses nicht zu erreichende Zentrum. Der Vereinigungsirrsinn von 1870/71, der Erste Weltkrieg und die unsagbaren Verbrechen im Dritten Reich waren eine direkte Folge dieser fürchterlichen Amplituden.

Frau Dr. Merkel nun scheint in der natürlichen Gegenbewegung zu diesen Ausschlägen Deutschland als das Mutterland der Humanität verkaufen zu wollen. Wie immer, ist auch hier das Gegenteil von Gut nicht Böse, sondern Gutgemeint. Denn die Kanzlerin begeht den Kardinalfehler vieler Regierungen, die im Nachgang als grandios gescheitert galten: Sie überfordert ihr Volk. Frau Dr. Merkel fordert mit ihren Maßnahmen diesem deutschen Volk einen Reifegrad ab, den es in der Masse einfach nicht hat. Und nicht haben kann! Denn, wie bereits erwähnt, dieses deutsche Volk wurde jahrhundertelang von seinen Nachbarn an einem gesunden Reifeprozess gehindert, was sich für diese Nachbarn seit 1870 fürchterlich rächte.

Mit ihrem Ukas, die Flüchtlinge unkontrolliert und ohne Begrenzung ins Land zu lassen, setzt die Kanzlerin eine unheilvolle Kettenreaktion in Gang. Erwies sich Deutschland bis vor ganz kurzer Zeit noch als Bollwerk einer stabilen Demokratie, so änderte sich dieses unter dem Eindruck der modernen Völkerwanderung schlagartig. Der gewaltige Rechtsruck zeigte, dass es sich, wie vom Preußischen Landboten seit langem postuliert, um eine Wohlstandsdemokratie handelt, die einer ernsthaften Belastung nicht standhält. Da nutzen auch keine Erfahrungen aus der Geschichte. Das Volk ist nun mal doof, nur an den Vergnügungen und Erfordernissen des Alltags interessiert und gegen historische Warnungen völlig resistent!

Genauso resistent aber erweist sich die deutsche Regierungschefin gegen die Erkenntnisse aus der Vergangenheit, die beschreiben, wie sich eine Dynamik innerhalb einer Gesellschaft verselbständigen kann und ein etabliertes System zu kippen vermag. Es wäre töricht anzunehmen, das sei ihr nicht bewusst. Also muss man den Blick auf Nebenkriegsschauplätze lenken, auf denen sich die Kanzlerin ebenfalls zu jeder Zeit behaupten muss.

Eine Spitzenposition steht immer unter Beschuss. Es vergeht kein einziger Moment, in dem sich nicht Kräfte aus den unterschiedlichsten Richtungen daran machen, den Inhaber dieses Gipfels von selbigem zu verdrängen. Dabei folgt das Drehbuch des Verhaltenskanons, der vorschreibt, was man als Spitzenpolitiker tun oder nicht tun darf, einem ganz eigenen, für Außenstehende nur selten zu durchschauendem Protokoll. Hier geht es mitunter um Nuancen: Eine falsche Geste, ein unglückliches Wort, eine unzeitige Korrektur, ein zu langes Beharren auf einer fehlerhaften Annahme – und das Schicksal des Entscheidungsträgers kann sich dramatisch wenden.

Um Frau Dr. Merkels Impetus zu verstehen, sollte man also, wie es das Indianersprichwort verlangt, wenigstens eine Meile in ihren Mokassins gelaufen sein. Sie wollte aus ihrem christlich-abendländischen Ethos heraus helfen, als sie für die 800.000 in Ungarn festsitzenden Flüchtlinge die Grenzen unkontrolliert öffnete. Dabei aber verlor sie Maß und Ziel und das Postulat des Paracelsus „Dosis facit venenum!“ Natürlich stellen ein, zwei Millionen Zuzügler für das Deutsche Reich keine existenzgefährdende Belastung dar. Weicht jedoch die subjektive Wahrnehmung des Volkskörpers von der nüchternen stochastischen Aussage ab, dann wird es schnell haarig. Denn nicht Tabellen enthalten revolutionäre Spannungen, sondern außer Kontrolle geratene Volksmassen.

Des Weiteren ist Frau Dr. Merkel nie eine Antagonistin, sondern eher eine Apologetin der deutschen Industrie gewesen. Ohne den Segen der deutschen Wirtschaft hätte die deutsche Bundeskanzlerin nicht mal einen einzigen Flüchtling ins Land geholt, ohne spätestens drei Wochen später selbst auf der Flucht zu sein.

Was aber verspricht sich die deutsche Wirtschaft von diesen Menschen aus dem fernen Ausland? Billige Arbeitskräfte natürlich, mit denen sich geraume Zeit den frechen deutschen Arbeitnehmern das Maul stopfen lässt, wenn sie die permanenten Lohnkürzungen, den erhöhten Druck am Arbeitsplatz und das elende Auseinanderklappen der Wohlstandsschere nicht mehr akzeptieren wollen. Die Flüchtlingsmasse ist ein politisches Druckmittel, die Flüchtlinge selbst sind Geiseln der deutschen Wirtschaft, sonst gar nichts.

Wenn konsequenterweise im Zuge dieser Flüchtlingspolitik die Radikalisierung der doofen Deutschen exponentiell zunimmt, so ist das für die Wirtschaft noch lange kein Grund zum Jammern. Kräfte wie die AfD machen keinen besonders arbeitnehmerfreundlichen Eindruck, so, wie auch schon die NSDAP nur plakativ so tat, als sei ihr am Wohle der einfachen Arbeiter und Angestellten gelegen. Demokratische Regierungsformen sind nüchtern betrachtet für den neoliberalen Kapitalismus eh nur lästiger und teurer Mummenschanz. Ständig müssen sich die Lobbyisten auf neue sowie sich rasch verändernde Bedingungen und Gesprächspartner einstellen. Ein Ärgernis, welches in einer Diktatur keine Rolle spielt. Das ist eine boshafte These, gewiss! Aber hinter den Kulissen zählt nur der blanke Dollar und der kennt keinen Platz für romantisch-moralische Erwägungen.

Der Schachspieler fürchtet die sogenannte Springergabel. Das bedeutet, ganz egal, was man als nächstes zieht, ein Schaden ist nicht mehr abzuwenden. Der Spieler kann nur noch zusehen, wie er das bevorstehende Debakel minimiert. In eine solche Falle scheint Frau Dr. Merkel hinein getappt zu sein. Den Wählerverlust bei den Landtagswahlen im März kreiden ihre innerparteilichen Gegner ihr an – wenn noch nicht in der Öffentlichkeit, so doch bereits hinter den Kulissen.

Die gleichzeitige Stärkung der demokratiefeindlichen AfD nehmen ihr noch weitaus mehr Opponenten übel: Deren Vertreter repräsentieren beinahe das gesamte demokratische Spektrum. Sie lasten ihr nun zu Recht an, dass sie das fragile Konstrukt Europa, welches von ihrem politischen Ziehvater Dr. Kohl mit aufgebaut wurde, fahrlässig zum Einsturz bringt, ehe es denn Gelegenheit hatte, sich in moderaten Schritten zu verfestigen.

Auch die Aufgabe der Stellung Deutschlands als demokratisches und liberales Leuchtfeuer in einem zunehmend weiter nach Rechts rückenden Europa ist fatal. Als Zugabe bekam die Kanzlerin eine teilweise zu Recht verunsicherte und angespannte Bevölkerung. Denn, es ist nicht von der Hand zu weisen, dass unzählige Menschen ins Land kamen, deren Personalien oder Hintergrund niemand kennt. Mögen auf tausend Mann auch 999 Anständige kommen – der eine Terrorist reicht aus! Und es gibt keine Kontrolle mehr. Leitende Bundesbeamte äußern sich hinter vorgehaltener Hand: „Wir kriegen die Paste nicht mehr in die Tube zurück!“ Das ist definitiv ein Grund zur Besorgnis.

Eine Umkehr ist nicht mehr möglich. Andere Staaten haben das Problem für Frau Dr. Merkel vorläufig gelöst, indem sie ihre Außengrenzen dicht machten. Diese temporäre Entlastung kann sich die Kanzlerin demzufolge nicht auf die Fahne schreiben. Auch das wird ihr negativ angerechnet. Die Dame ist auf Dauer nicht mehr zu halten. Doch es ist niemand in Sicht, der sie auf dem Sessel des deutschen Regierungschefs ersetzen könnte. Und an der Basis brodelt es gefährlich.

Erste bürgerkriegsähnliche Zustände waren vor allem in Sachsen bereits zu konstatieren. Der Mob beginnt sich auf seine Weise zu artikulieren. Für Deutschland brechen schwere Zeiten an. Man darf bezweifeln, dass es dieses Land ist, auf das die Flüchtlinge ihre Hoffnungen und Sehnsüchte fokussierten. Für sie wird sich diese Verheißung möglicherweise als tragische Chimäre erweisen. Für uns Eingesessene allerdings kann es noch schlimmer werden. Denn wir haben keine andere Heimat. Wenn wieder Fackeln durch das Brandenburger Tor getragen werden, dann sind wir die Flüchtlinge!

24. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009
20.03.2016