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Sarrazin in Brandenburg
streitbarer SPD-Mann füllte das BT

Voltaire wird das Zitat zugeschrieben: "Ich bin nicht Ihrer Ansicht, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass Sie Ihre Meinung vertreten können!" Keine Formulierung beleuchtet krasser den Gegensatz zwischen demokratischer Prämisse und Toleranz auf der einen Seite und der Anwesenheit von zwei Hundertschaften Polizei auf der anderen Seite, die Brandenburg an der Havel für einen Nachmittag in Beschlag nahmen. Zwei Hundertschaften Polizei für einen 67jährigen SPD-Genossen, der auf Einladung des Vereins Kunstgenuss ohne Not e . V. ins Brandenburger Theater kam, um aus seinem neuesten Buch "Europa braucht den Euro nicht" vorzutragen! Dass die Ideen des streitbaren Sozialdemokraten Dr. Thilo Sarrazin alles andere als Konformitätsstatus genießen, stellte bereits die Leidensfähigkeit der eigenen Genossen auf eine harte Probe, deren lokale Spitzenvertreter sich denn auch an diesem Abend im Theater rar machten. Das einfache Volk war da anderer Ansicht: Es füllte das Große Haus beinahe bis auf den letzten Platz und hörte dem Polarisierer Sarrazin gebannt zu. Dieser, der als Berliner Finanzsenator dem Pleitebären 2009 erstmalig einen ausgeglichenen Haushalt ohne erneute Nettokreditaufnahme bescherte, profilierte sich als ausgewiesener Wirtschafts- und Finanzfachmann von europäischem Rang. Sarrazin las zwar nur ein paar Sätze aus seinem mit vielen Merkfähnchen gespickten Buche, erläuterte jedoch in freiem Referat schlüssig und von nachvollziehbarer Logik auch für die wirtschaftsunkundigen Laien die derzeitige Situation des krisengeschüttelten Kontinents. Dabei zeigte er unbarmherzig die begangenen Fehler, ihre Ursachen und die sich aus ihnen ergebenen Perspektiven auf. Widerspruch erntete er keinen. Vergessen die Blasphemie, als Sarrazin den Hartz-IV-Beziehern vorrechnete, wie komfortabel es sich von dem Bettel leben ließe. Das Brandenburger Theater gestaltete sich zu einer Oase für den vielfach angefeindeten Sarrazin. Auch als Intendant Kneisel die Fragerunde ins Publikum öffnete, blieben die vierhundert Hörer zurückhaltend. Eine Dame, welche die Anwesenheit des ehemaligen Bundesbankers für eine persönliche Anlageberatung nutzte, erhielt von ihm zwei Ratschläge: Zum einen stünde es dem Wähler frei, eine europapolitisch kompetente Bundesregierung zu wählen. Diesen Punkt revidierte Sarrazin jedoch umgehend selbst – es seien auch für ihn erkennbar keine aussichtsreichen Kandidaten am Start. Zum zweiten empfahl er eine Vermögensdrittelung in Gold, umlaufenden Werten und langfristigen Beteiligungen – eine Binsenweisheit, welche der westfälischen Finanzexpertin Glikl bas Judah Leib bereits vor dreihundert Jahren lediglich ein dezentes Gähnen entlockt hätte. PreußenSpiegels Nachfrage, ob denn Sarrazin nicht das völkerverbindende Element des Euro anerkenne und was er glaube, wie man in Peking und Washington einen Zusammenbruch der Eurozone deuten würde, beantwortete der kantige Streiter gerade heraus: Er sei nicht prinzipiell gegen den Euro, nur müsse dafür zuvor ein tragfähiger europäischer gesamtstaatlicher Unterbau geschaffen werden, der garantiere, dass auch die Südstaaten sich den über Jahrzehnte bewährten Stabilitätsprinzipien der Bundesbank anschlössen. Die Größe eines Wirtschaftsraumes aber bedinge keineswegs zwingend dessen Effizienz, wohl aber der Verzicht auf eine Staatsfinanzierung durch die Notenpresse. So sei die kleine Schweiz zeit ihres Bestehens wirtschaftlich mächtiger gewesen als die Sowjetunion. Man hörte es und nahm die Behauptung staunend auf. Es fehlte bei der Veranstaltung einfach jemand, der mit gleichwertiger Kompetenz und Sachverstand hätte dagegen halten können. Fazit: Kein Kontra – zweimal Zwischenapplaus, ein paar signierte Bücher und eine lautstarke Gegendemonstration an der Grabenpromenade von Hitzköpfen, welche Weisheit und Erkenntnis bereits für sich gepachtet hatten, was sie der Notwendigkeit enthob, dem Anderen zuzuhören. Von den bedenkenswerten Thesen des Nonkonformisten Sarrazin, der wie sein unangepasster Genosse Horst Buschkowsky von Neukölln wacker wider den Stachel löckt und mit provokanten Thesen die Prinzipien der oft genug verheuchelten Poltischen Korrektheit ad absurdum führt, war jedoch an diesem Abend nichts zu hören. Für die Bühne ein glatter Durchläufer, begleitet von einem riesigen Polizeiaufgebot – was jedoch indizierte, dass man in Preußen, dem Vaterland der Toleranz, Ursache hat, über mehr nachzudenken als nur über die Zukunft einer Gemeinschaftswährung.

22. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009
03.10.2012