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Vorwärts immer, rückwärts nimmer
Bildungsministerin verteidigt auf 1. Kreisreise die inklusive Schule

Michael L. Hübner
Die erste Kreisreise führte die brandenburgische Bildungsministerin Dr. Martina Münch nun auch in die Havelstadt, in der sie unter anderem die Wilhelm-Busch-Schule besuchte. Kernpunkt einer anschließenden Diskussionsrunde war natürlich das Mammutprojekt der inklusiven Bildung. Dabei geht es um nichts weniger als die sukzessive Abschaffung von Förderschulen für Kinder, die auf Grund von Behinderungen, sozialen oder Lernschwächen bislang nicht oder nur schwer in das allgemeine Schulsystem einzugliedern waren. Die Ministerin als exponierte Vertreterin dieses Verfahrens focht vehement gegen jede Skepsis an, die ihr von durchaus sachkundigen Teilnehmern des Gedankenaustausches entgegengebracht wurde. Dass den Buchstaben entsprechender UN-Beschlüsse Rechnung getragen werden muss, Behinderte schrittweise in den modernen gesellschaftlichen Alltag zu integrieren, wurde von niemandem in Frage gestellt. Wohl aber wurden Bedenken formuliert, die in der Vergangenheit sowohl von Pädagogen als auch von besorgten Eltern immer wieder auf die Agenda gesetzt wurden: Dass es nämlich keineswegs den Lernzielen einer Schulklasse zuträglich sei, lernschwache und verhaltensauffällige Kinder dem normalen Schulbetrieb zuzuordnen. Der Verweis auf die Vorreiterrolle anderer Länder und Staaten konnte da wenig überzeugen, denn deren Voraussetzungen lassen sich nicht einmal im nationalen Maßstab auf die Bedingungen vor Ort eins zu eins übertragen. Als Pilotschule fungiert für den inklusiven Lehrbetrieb seit dem Schuljahr 2010/11 die von der Ministerin besuchte Wilhelm-Busch-Schule, in deren sehr engagiertem Rektor Dirk Ulrich das Projekt einen Befürworter fand. Ulrich selbst sieht sich als kritischen Begleiter des in der Bevölkerung nicht unumstrittenen Vorhabens. Da geplant ist, das System der inklusiven Beschulung ab 2015 landesweit auszudehnen, sollen die nachfolgenden Lehreinrichtungen dann von den Erfahrungen der Wilhelm-Busch-Schule profitieren. Ebenso wird der inklusive Unterricht nach den Worten der Ministerin nunmehr auch in den Ausbildungsplan für den Lehrernachwuchs übernommen. Auf Nachfrage des Preußischen Landboten, ob denn bei der Planung des Projekts auch ökonomische Erwägungen eine Rolle gespielt hätten und in wie weit die Auflassung der Förderschulen zu entsprechenden Einsparungen im Landeshaushalt führten, gab Dr. Martina Münch zu erkennen, dass das Budgets des Bildungsministeriums keineswegs entlastet würde. Im Gegenteil müsse man in der Anfangsphase noch zusetzen. Zudem wollte der Preußische Landbote wissen, ob es denn eine Rückfahrkarte, eine Art Plan B gäbe, falls das Projekt nicht den an seinen Erfolg geknüpften Erwartungen entspräche. Das sei nicht nötig, verneinte die Ministerin. Während der Einführungsphase würde man schon ausreichend Gelegenheit haben, sich den Erfordernissen der inklusiven Schule lernend zu nähern. Einen Ozeanriesen ohne Rettungsboote auf Große Fahrt zu schicken, hält man landauf landab für gewagt. In Fragen der Bildung wird offensichtlich mit anderem Maß gemessen. Im übrigen stützte sich die Chefin des Bildungsministeriums unter anderem auf eine behauptete breite Front der Zustimmung von Eltern und Pädagogen. Die Frage des Preußischen Landboten, welche Erhebung dieser Einschätzung zugrunde läge, wie hoch der prozentuale Anteil der zustimmenden Eltern und Lehrer sei und welche zitierfähigen Quellen sich diesbezüglich benennen ließen, erfuhr jedoch keine konkrete Antwort. Die auf der Regierungsebene durchaus registrierte, kontrovers geführte Diskussion um die Inklusion wurde mit Ressentiments erklärt, die sich aus mangelnder Erfahrung, Angstbehaftung, Unwissenheit und Vorurteilen speisten. Ob eine solche Argumentation den Bedenken vieler Eltern, Lehrer und Berufsausbilder standhält, die sich mit einem teilweise katastrophalen Wissensfundus der Schulabgänger konfrontiert sehen, wird die Zukunft erweisen. Das einzige Kriterium der Wahrheit ist und bleibt nun mal die Praxis.


Oberbürgermeisterin Dr. Dietlind Tiemann und Bildungsministerin Dr. Martina Münch (v.li.)

21. Volumen
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20.01.2012