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Karneval
Verkehrte Welt? Ein Fest der steifen Ordnung

Michael L. Hübner
Am 11. November, pünktlich um 11.11 Uhr ging sie wieder los – die Narrenzeit. Auch in Brandenburg an der Havel wurde der Karneval nach rheinischem Ritus eingeläutet. Und wie sich das für die Tripolis der Chur- und Hauptstadt gehört: Es gibt deren zwei große Vereine, welche sich der närrischen Belange annehmen. Das ist der Brandenburger Karnevals-Club BKC 1964 e.V und das ist der aus dem Karnevalsclub des Handels hervorgegangene, in seiner Tradition bis in die Dreißiger des 20. Jahrhunderts zurückreichende und damit etwas ältere KCH, der Karnevals-Club Havelnarren. E pluribus unum? Denkste! Hier wird auf den Kopf gestellt, was auf dem Kopf gestellt sein sollte und – siehe da – es bewegt sich alles wieder in den gewohnten Bahnen. Klingt verworren? Dann wollen wir uns mal daranmachen, das Knäuel zu entwirren.
Was ist denn des Narren Metier von altersher? Er soll das Etablierte in Frage stellen, um die Schwachstellen des Systems offenzulegen. Er soll die Perspektive wechseln und damit dem gemeinen Volk den Blick dafür schärfen, dass es immer Alternativen zum Althergebrachten gibt. Er soll – wie wir das schon postulierten – die Welt auf den Kopf stellen. Till Eulenspiegel, Stammvater aller Narren, hat uns die Statuten des Narrentums vorgelebt.
Ein echter Narr muss zwingend ein weiser Mensch sein, der das Eingeschliffene eines Systems geistig durchdrungen hat. Damit muss er die Souveränität auch über seine eigenen Schwächen erlangt haben, also stark genug sein, auch und gerade über sich selbst zu lachen, da er doch ein Teil des von ihm karikierten Systems und kein neutraler Beobachter von außen ist. Es reicht nicht hin, den Smoking abzulegen und in das grelle, bunte und alberne Kostüm eines Dummen August zu schlüpfen, um einen Kontrapunkt zu setzen und der Welt den närrischen Spiegel vors Gesicht zu halten. Narr sein heißt, die Welt in ihrer Albernheit zu überwinden – und das tagtäglich, rund um die Uhr, nicht beschränkt auf die Tage zwischen dem 11.11. und dem Aschermittwoch, die man die Fünfte Jahreszeit heißt. Denn just in diesem Augenblick, da man die Narrenkappe zu einem festgelegten Zeitpunkt überstülpt, schafft man ein neues Etablissement. Dieses gibt sich nur betont anders – entwickelt sich aber, im Kern der Dynamik seines veralberten weltlichen Gegenparts folgend, just zu ebenjenem.
Ist es also des Narren Handwerk, eingefahrene Beziehungsgeflechte mit den aus ihnen entstehenden Querelen zu verhöhnen und sie damit aufzubrechen, so ist nichts trauriger, als wenn der Beobachter zu konstatieren gezwungen ist, dass diese Strukturen des Alltags die Flotte der Narrenschiffe längst geentert und deren Brücken mit festem Griff übernommen haben. Item: es gibt kaum noch echtes Narrentum, die kommerzielle Tristesse hat den närrischen Gegner, dem sie einst zu ihrem eigenen Heil das Privileg der Narrenfreiheit zugesichert hat, niedergerungen, sich seines Kostüms bemächtigt und gaukelt nun den Menschen auf der Straße die Zeit der Ausnahme und des Abweichens von der Regel vor, da doch alles unter Deck in seinen alten, angestammten Bahnen verläuft.
Karnevalsvereine sind Wirtschaftsunternehmen. Sie haben ein Budget und sie müssen Gewinn machen. Punkt. Das ist die Einfallspforte des Alltags. Hier ist die Grenze dessen, über das die etablierten Narren zu lachen vermögen. Der andere Karnevals-Club der Havelmetropole ist nicht der Bruder im Geiste – er ist der Feind. Während beide närrischen Vereine die Mächtigen aufs Korn nehmen, hört man in der Bütt kein Wort über das eigene Gezänk mit dem leidigen Nachbarn. Bestenfalls, dass man gegen den närrischen Bruder aus der Bütt heraus giftig stichelt, wo man ihn doch am liebsten ignorieren würde. Denn: Solange man sticheln muss, solange existiert der andere zum eigenen Leidwesen. Erst wenn der Nachbar besiegt und begraben ist, kann man ihn getrost ignorieren.
Unter der Hand raunen sie sich giftig zu, es sei kein Platz in der Stadt für zwei Vereine. Warum nicht? Weil die Existenz des anderen die Einnahmen an der eigenen Kasse schmälern. Und beim Geld hört jeder Spaß definitiv auf. Da werden auch die Schelme plötzlich todernst und die Rute des Kaspers entblößt einen Kern von Kruppstahl.
Nun sagten wir aber bereits, dass nur derjenige Narr ernstzunehmen ist, der nicht nur über den anderen – sondern eben auch und in erster Linie über sich selbst zu lachen versteht. Das ist sein Ausweis, seine Berechtigung, seine Legitimation, sein Gütesiegel. Der Narr ist kein Narr, wenn er den anderen Buntbekappten von der Bühne zu drängen sucht, ihn ignoriert, sich abschätzig über ihn äußert. Dann ist er nur, vor oder nach dem 11.11., ein gewöhnlicher Krieger, ein Alltagsmensch, der das grausame und wenig altruistische Wesen des Nackten Affen, dem er doch die hässliche Maske vom Gesicht zu reißen sucht, unverfroren fortschreibt, es gewissermaßen perpetuiert.
Der Sinn des Karnevals besteht im Ausbruch aus den Zwängen des Alltags, aus der Enge der Konventionen und im Darstellen der oft niedrigen und brüchigen Motive, welche diese Konventionen erst formulieren und dann zusammenkitten. Bewegen sich aber die etablierten Narren der Gegenwart auf diesem Geleise, so sind sie keine Narren, sondern böse Popanze, in ihrem Wesen noch lächerlicher als die, über welche sie ihren Spott ausgießen.Wie bluternst das Geschäft ist, merkt man in dem Augenblick, da man sie selbst zur Zielscheibe des Hohns erwählt. Kein falscher Narr gewährt dem anderen Narren die verbriefte Narrenfreiheit. Er wird ihn übler mit Hass, Missgunst und Neid bedenken, als das in der von ihm auf den Kopf zu stellenden Welt je geschieht. Nein, die da ihren Anhängern für die Fünfte Jahreszeit den Ausbruch aus der steifen Alltagswelt versprechen, belügen das närrische Volk schon im Ansatz: Es gibt keine zeitweilige Befreiung von den Zwängen des Alltags, so wenig, wie die Narren den Bürgermeister als Vertreter der etablierten Ordnung tatsächlich gefangen nehmen und die Macht im Rathause an sich reißen. Die Stadtkasse, die sie erobern, ist mit Kräuterschnaps gefüllt – nicht mit harten Talern. Das allein spricht für sich. Das ist der wahre Mummenschanz. Der echte Narr stellt die Welt auf den Kopf um zeigen, dass es auch anders geht. Er will die Hirne derer durchpusten, die auf den eingefahrenen Geleisen des Alltags gefesselt ihre Lebensbahn abschreiten. Der falsche Narr aber schafft den Alltagsgemarterten nur eine Illusion des Ausbruchs, eine Scheinwelt. Die Faschingsherde darf ein wenig schunkeln, über Zoten lachen und auch ein bisschen über ihre Obrigkeit – und das war's dann auch. Bei wem sie dies aber tun, bei wem sie sich in Stimmung saufen, an wessen Kasse sie das fällige Entree – diesmal in harter Münze, nicht mit Kräuterschnapsfläschchen – bezahlen – darüber wird im Hintergrund von den so lustig aussehenden Präsidien der Karnevalsvereine erbittert und bösartig gefochten – und zwar mit allem Ernst!
Das Funkenmariechen und die Garden persiflieren mit Holzgewehr und schönen Mädchenbeinen die Zwänge des verhassten Militärs und seines Drills. Doch schon das harte Training für den Auftritt – es ist Arbeit, komisch zu wirken und dabei doch eine Spitzenleistung abzuliefern – persifliert die Parodie. Es werden Landes- und Bundesmeisterschaften im närrischen Tanz ausgefochten. Spaß? Niemals! Da geht es knallhart darum, der Erste zu sein – gerad' wie im richtigen Leben.
Sind wir Spaßbremsen? Mag sein. Wenn es um Späße geht, die einen festgelegten Produktionsprozess durchliefen, einem ausgelatschten Kanon folgen, die strenge Regeln streng beachten und nur auf Kosten der anderen gemacht werden, so können wir herzlich wenig darüber lachen. Wir sind Epikuräer, lebenslustige, das Reglement verachtende Fauns und Nymphen, in den Herzen die Friedfertigkeit der attischen Wälder Elysiums. Wir lustigen Preußen sind die wahren Feinde des etablierten Karnevals! Helau!

20. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009
15.11.2011