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Gaddafi – Tod eines Tyrannen
Wer das Schwert zieht... oder das elende Ende des Mörders von Lockerbie

B. St. Fjøllfross
Der junge Bajun war Thälmann-Pionier in einer Schule mit erweitertem Russischunterricht in der DDR und er war etwa elf Jahre alt. Die Aktuelle Kamera, die Nachrichtensendung des DDR-Fernsehens, brachte einen Bericht über den Besuch Muammar al Gaddafis im deutschen Arbeiter- und Bauernstaat. Es waren dieselben Bilder wie in den Tagen, als Arafat die Gangway hinabstieg und dem ihn mit leuchtenden Augen erwartenden Erich Honecker in die Arme fiel. Wie immer stand ein Kordon Junge Pioniere bereit, mit ihren weißen Hemden und den blauen Halstüchern. Ein Mädchen – es muss immer ein süßes, kleines Mädel sein, damit sich die mächtigen Schweinehunde dieser Welt mit dem Mantel der Unschuld dieses Kindes bedecken können – überreichte dem libyschen Chef-Terroristen einen Blumenstrauß und betete brav sein Sprüchlein herunter. Den Knaben schüttelte es vor unverhohlenem Ekel. Er dankte seinen Göttern dafür, dass er wohl nie in diese kompromittierende Situation käme, verkündete aber überflüssiger Weise öffentlich, dass er sich eher die Hand abhauen würde, als sie den Strolchen Gaddafi und Arafat zu reichen. Das wurde übel konnotiert. Zumal er sich der letzten wöchentlichen "Soli-Sammlung" wieder einmal demonstrativ verweigert hatte. Es ging wie immer um die Finanzierung von "Medikamenten, Zelten und Decken für die notleidende palästinensische Bevölkerung". "Ihr müsst mich doch wohl für besonders blöde halten", röhrte Jung-Bajun in das Klassenzimmer. "Maschinenpistolen wollt ihr kaufen, damit die Palästinenser Juden erschießen können!" "Juden" sagte er. Nicht "israelische, zionistische Imperialisten". "Juden" – das war das Zauberwort, das auch die vernagelten Bolschewisten zum Schweigen brachte. Sie konnten sich winden und drehen, wie sie wollen, die Erben des kommunistischen Widerstands – Auschwitz saß auch ihnen im Nacken. Da kamen sie nicht raus. Auch wenn sie sich vom Dritten Reich noch so zu distanzieren suchen und den russischen Befreiern noch so sehr hinterher hechelten, dass es den Anschein hatte, sie seien selbst halbe Russen.
Also ließen sie ihn in Ruhe. Fragten ihn nicht einmal mehr bei der nächsten Sammlung. Überhörten ihn, wenn er auf dem Schulflur die HaTikwa summte oder pfiff. Aber gegen die Judenhasser durfte er denn doch nicht agitieren. Und von dem Waffenlager Barth bei Rostock, in dem das Teufelszeug lag, welches die Bolschewisten gegen harte Devisen in den Nahen Osten und auch an ihre Todfeinde verscherbelten, hatte er gehört, aber beweisen konnte er es nicht. Also, nicht so weit aus dem Fenster lehnen und Maul halten! So war das damals, als Gaddafi noch durch die Welt stolzierte wie ein eitler, vollkommen geistesgestörter Pfau.
Nun ist der verhasste Lump tot, der psychopathische Wüstensohn. Schauerliche Bilder gehen um die Welt. Eine misshandelte Leiche wird von einem fanatisierten Mob getreten und gestoßen. Es erinnert an den Tod Mussolinis, der mit seiner geliebten Petacchi kopfüber von einer Mailänder Tankstelle baumelte. Es erinnert an den struppigen Saddam, diesen verstörten alten Mann, der nichts mehr gemeinsam hatte mit dem Vater der Mutter aller Schlachten. Er erinnert an den Roten Vampir Nicolae Ceausescu.
Na, Baschar al-Assad, wie geht's Dir beim Betrachten solcher Bilder? Warum geht der syrische Henker nicht jetzt? Glaubt er, sein Volk würde Hama jemals vergessen? Von Glück kann er reden, wenn er uns in einn paar Wochen nicht durch Gitterstäbe anschaut wie Mubarak in Kairo. Warum können die Despoten nie gehen, solange es noch Zeit ist? Warum müssen sie die Spannungen stets und ständig auf einen apokalyptischen Gipfel treiben. Es ist ein Weg, an dessen Rändern tausende Tote und an dessen Ende ihre eigenen verstümmelten Leichen im Dreck liegen.
Jahrtausend um Jahrtausend Menschheitsgeschichte – immer dasselbe! Gewalt gebiert Gewalt und der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer, wie schon Goya lehrte. Hätte man Gaddafi lebend fassen und ihn vor ein Gericht stellen sollen? Was hätte das gebracht? Gaddafi hätte noch einmal ein Podium gehabt um sich selbst als Retter Libyens zu stilisieren und seine Ankläger als zu Ratten und Hunde, zionistische Agenten und was sonst noch zu diffamieren. Auf keinen einzigen Anklagepunkt wäre er eingegangen und hätte nur in gewohnter Manier seine Haßtiraden gebellt. Das Urteil hätte das libysche Volk erneut gespalten. Was also tun mit so einem Menschen? Kein Nürnberg, kein Haag wird sie je schrecken. Wir wissen es auch nicht...
Das Schicksal meinte es gut mit dem kleinen Kotofeij. Er musste nie auf dem Rollfeld des Flughafens Berlin-Schönefeld antreten um sich die Finger schmutzig zu machen. Heute sieht er im Fernsehgerät der Redaktion wieder Bilder von Gaddafi. Keine kleinen, artigen Pionier-Mädchen machen Meldung vor dem Monster.
Die Tötung von Menschen, und seien sie Monster, lehnt Herr Bajun ab. Betroffen verfolgt er, wie erwachsene Männer den Leib des bösen Greises umherstoßen und schlagen. Man hört den Kulturredakteur leise murmeln: "Sic transiet gloria mundi!" Doch niemand lernt aus der Sache. Man hofiert den Tyrannen, solange er den Ölhahn in der Hand hat. Man bekämpft ihn, sobald man es lohnenswert findet, man äußert sich despektierlich über den toten Verbrecher. Das hat einen schalen Beigeschmack. Jeder Esel kann billig nach einem toten Löwen treten. Doch man dreht ungerührt weiter nach dem gleichen Skript das Drama von Damaskus, von Sanaa, von Amman, von Pjöngjang. Herr Bajun wendet sich angewidert ab. Er kann solche Bilder so wenig goutieren, wie die anderen, die von der Aktuellen Kamera damals im Jahre 1975. Und er weiß für gewiß, die Schüsse, die von freudigen Rebellen in den Himmel über Sirte abgegeben werden, werden unter solchen Auspizien nicht die letzten sein, die durch Libyen peitschen. Die Frage der Verteilung des libyschen Öls wird dafür sorgen, dass die Lageristen von Barth weiter in Lohn und Brot bleiben.

20. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009
21.10.2011