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Sittenstrolch und Schreibtischtäter
was sie trennt – was sie verbindet

Don M. Barbagrigia
Olaf H. ist ein Schweinehund, der seine bürgerlichen Rechte und seine Daseinsberechtigung in den Dreck getreten hat, gleich neben die Leiche des kleinen, von ihm bestialisch ermordeten Mirko aus Grefrath. Mirko war nicht das letzte Kind, das solchen Monstern zum Opfer gefallen ist. Wieder und wieder und wieder werden wir die Zeitung aufschlagen, das Radio anstellen, den Fernseher anschalten und lesen, hören und sehen, dass ein Kind vermisst wird, dass wieder verzweifelte Eltern hoffen, ihr Kind sei „nur“ entführt worden und sie würden es doch noch eines Tages in die Arme schließen können. Wir werden traurig und entsetzt zur Kenntnis nehmen, dass wieder eine kranke Canaille ihre Triebe an einem wehrlosen, kleinen Menschen abreagiert hat. Es ist ein nicht enden wollender Albtraum, begründet in der Fehlerquote, die allem Lebendigen anhaftet. Es ist die Gesetzmäßigkeit, welche Menschen krebskrank werden und menschliche Krebsgeschwüre die Gesellschaft bedrohen lässt. Man kann sie nicht ausrotten, wie sehr man sich dies auch wünschen würde. Immer muss erst ein Mädchen, ein Junge oder eine junge Frau an Leben und Gesundheit geschädigt werden, ehe man dieser Krebsgeschwüre habhaft wird und die Menschen wenigstens halbwegs schützen kann. Es ist fatal. Es ist zermürbend.
Doch noch ein weiterer Aspekt drängt sich bei dieser Katastrophe auf. Dem Richter R. des Berliner Familiengerichts Tempelhof-Kreuzberg wurde von einem verzweifelten Vater im Jahre 1997 „faschistoides“ Verhalten vorgeworfen. Prompt nahm der Richter die Äußerung zu den Akten, um sie im ferneren Verlauf des Verfahrens gegen den Mann zu verwenden. Für den war es gleichgültig, ob der Richter R. als bürgerlich etablierter Beamter eines Rechtsstaates auftrat oder aber ob er in einer SS-Uniform an der Rampe von Auschwitz gestanden hätte. Das Ergebnis war dasselbe: Tot war die Ehefrau, fort für alle Zeiten war die sechsjährige Tochter. Keine Nachricht über diese Apokalypse fand den Weg in die deutsche Medienlandschaft. Kein Gottesdienst betrauerte diesen Verlust. Keine Menschenmenge ließ weiße Luftballons mit den Namen Evelyn und Anna in den Himmel steigen. Kein Präses einer evangelischen Kirche und kein sonstwie gearteter Seelsorger kümmerte sich um den in seinem Elend völlig alleingelassenen Mann. Worin lag der Unterschied? Gewiss nicht in dem ungeheuren Leid, welches dem Totalverlust der eigenen Familie entwuchs.
Der Unterschied liegt in einer anerzogenen moralischen Bewertung durch das Volk: Olaf H. ist ein Verbrecher, der den Zehnjährigen vergewaltigte und ermordete, weil er seine eigene perverse Lust befriedigen und im Anschluss seine widerliche Tat verschleiern wollte. Richter R. und den ihm zuarbeitenden Angestellten des Stadtbezirks-Jugendamtes L. von Groß-Berlin wird dagegen schon in Ansehung von Amt und Bestallung in ihren Handlungen eine Uneigennützigkeit unterstellt. Wenn ihre Entscheidungen in die Katastrophe führen, dann attestiert man diesen Leuten schlimmstenfalls Inkompetenz, die im Zusammenspiel mit den hehren Absichten entschuldigend wirkt. Zudem haben diese Leute ja auch niemanden angefasst. Sie holen keine kleinen Mädchen von ihrem Pony-Wagen und keine kleinen Jungs von ihrem Fahrrad. Sie sind Schreibtischtäter. Ihre tragische Effizienz aber ist dieselbe. Das Grauen, das sie mit ihren Gutachten, Äußerungen zur Sache, Stellungnahmen, Verfügungen, Urteilen und vor allem mit ihren Unterschriften verursachen, steht dem in nichts nach, was Mirkos Eltern nun durchstehen müssen. Und so, wie es nunmehr schon Dutzende und Aberdutzende Angehörige gibt, die ihre ermordeten Kinder, Geschwister, Enkel nur noch auf dem Kirchhof besuchen können, so zählt die Gemeinschaft der von überforderten, von krankhaften Helfersyndromen in die völlige fachliche Inkompetenz manövrierten Beamten und Angestellten zerstörten Familien schon nach Hunderten, wenn nicht sogar Tausenden.
Dass der junge Mann damals den Ausdruck „faschistoid“ gebrauchte, bedarf weder einer Entschuldigung noch einer Korrektur. Auch die Inquisitoren des Mittelalters versahen sich nach bestem Wissen und Gewissen mit wissenschaftlichen Fallgutachten, ehe sie eine Hexe verbrannten. Auch die SS-Leute von Auschwitz, die auf der Grundlage der „wissenschaftlich“ begründeten und untermauerten faschistischen Rassengesetze von Nürnberg Menschen ins Gas schickten, arbeiteten in aller Regel nicht aus Selbstsucht oder zur Befriedigung eines krankhaften Egos. Wenngleich letzteres einer solchen Tätigkeit mit Sicherheit zuträglich war. All diese Leute waren im Dienste eines Gemeinwesens besoldet und handelten in dessen Auftrag und wohl formuliertem Interesse. Nichts anderes tut der Familienrichter R, tun seine nachgeordneten Helfershelfer im L.er Jugendamt. Sie bleiben uns den Beweis schuldig, dass ihre Tätigkeit auf einer solider belegten Grundlage steht. Die Ergebnisse ihres Versagens zeugen wider sie. Mit dem Attribut faschistoid ist weder der Richter R. noch das Jugendamt Lichtenberg als faschistisch gebrandmarkt worden. Wohl aber wurde ihre Vorgehensweise in einen Kontext gestellt, der sich mit den Taten der Faschisten aller Couleur durchaus vergleichen lässt. Sie handeln nach der Maßgabe ihrer Reglements und ihres Unverstandes, mit dem sie diese Reglements auf die für sie nicht mehr zu überblickenden Situationen des Alltags applizieren.
Leider wird man sich auch vor diesen Menschen, die das Schicksal vieler Zeitgenossen so nachhaltig beeinflussen, nie schützen können. Sie repräsentieren nur eine andere Sorte, eine Invariante gesellschaftlicher Geschwüre. Was man aber machen kann und was man machen muss, ist, die Taten dieser Menschen vor dem Hintergrund ihrer verbrecherischen Konsequenzen neu zu bewerten und den Strafkanon zu verschärfen, ihn zunächst einmal auch auf solch fahrlässig agiernde Beamte und Angestellte auszuweiten.
Es ist überhaupt eine kardinale Aufgabe, diesen im staatlichen Auftrag Handelnden den Nimbus des Sakrosankten zu nehmen. Es darf auch keine Entschuldigung mehr darstellen, dass man eine Katastrophe ja nicht in böser und eigennütziger Absicht angerichtet habe. Et ceterum censeo...: Hat ein Architekt eine Brücke schlampig gebaut, und sind deshalb Menschen und Tiere zu Tode gekommen, so mag es vielleicht bei der Strafzumessung eine Rolle spielen, aus welcher persönlichen Schwäche heraus er die Nemesis über andere hereinbrechen ließ. Der Tod und das Leid der zu Schaden Gekommenen aber egalisieren die Intentionsfrage beinahe vollständig.
Doch – selten genug von der Justiz belangt, muss ein staatlich beauftragter Menschenschlag in dermaßen verantwortlicher Stellung eine solcherart privilegierte Behandlung geradezu als Einladung zu einem verantwortungsarmen Verhalten begreifen.
Wer diesen Ton als zu rüde empfindet, der möge sich an die Wormser Prozesse erinnern. Die Traumata der Justizopfer von damals dürften bis heute so wenig verheilt sein als das Leid derer, deren Angehörige zu Opfern von Sittenstrolchen wurden. Die Verbrecher in Robe und Talar, sowie ihre Komplizen aus den Jugendämtern sind nie zur Rechenschaft gezogen worden und fühlen sich auch heute noch rotzfrech im Rechte! Olaf H. gehört auf die Anklagebank und von dieser schnurstracks in eine Verwahrung, die dem Verlust seiner Menschenrechte Rechnung trägt. Neben ihm aber wollen wir Heinrich Institoris sitzen sehen, neben diesem Rudolf Höß, neben diesem den Richter R. und die Jugendamts-Angestellte G. und alle ihre Spießgesellen. Das Volk, das seine Trauer um Mirko verarbeitet, indem es weiße Luftballons in den Grefrather Himmel steigen lässt, hat es in der Hand, nicht nur den „privaten“ Verbrechern wie Olaf H. Einhalt zu gebieten. Es kann, es muss auch den institutionalisierten Kriminellen Handschellen anlegen. Im eigenen Interesse – denn der Trauernde von heute kann das Opfer von morgen werden. Die Gefahr ist ist nicht zu unterschätzen.
Wir fühlen den Vorwurf im Raume stehen, wir hätten das Kind Mirco, all seine Leidensgenossen oder deren Eltern vor unseren Karren gespannt. Das können wir nicht zur Gänze von der Hand weisen. Dennoch – was können wir denn für den toten Mirco und all die anderen Kinder und ihre Angehörigen sonst tun? Ihnen das Leben zurückzugeben – das vermag niemand. Aber gegen die von Menschen unter dem Diktat ihrer Selbstsucht und ihres Unverstandes begangenen Verbrechen, die noch oft unendlichen Schmerz über Legionen von Unschuldigen bringen werden, können wir ankämpfen. Und wir werden es tun, solange noch ein Hauch von Atem in uns ist. Das sind wir nicht zuletzt dem kleinen Mirco von Grefrath und der kleinen Anna von Berlin schuldig. Amen

18. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009
08.02.2011