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Chorleiter und Stadthistoriker
Wolfgang Kusior lebt für seine Heimatstadt

Michael L. Hübner
Die Bevölkerung Brandenburgs an der Havel zerfällt in zwei Teile: Brandenburger und Bewohner der Stadt. Wolfgang Kusior ist Brandenburger – mit Leib und Seele. Der 1934 in Brandenburg an der Havel geborene Diplomhistoriker wuchs im Milieu des sogenannten Bildungsproletariats auf. Das waren die Arbeiter, die sich nicht mit ihren acht Klassen Volksschule abfinden wollten, die ihnen eine staatliche Ausbildung zugestand. Die gaben schon mal den Sparpfennig für ein Konversationslexikon aus, malten, sangen, wanderten. Das war des jungen Wolfgangs Welt: sozialdemokratisch bis ins Mark. Diese Herkunft kostete ihn denn auch 1944 den Platz an der Saldria. Jungens wurden vorgezogen, die das „richtige“, das bürgerliche Elternhaus aufwiesen. Nach dem Kriege ergriffen seine Leute, die Arbeiter, die Macht. Wolfgang, der weder dem Sport noch dem Militär etwas abgewinnen konnte, wurde Berufssoldat – aus Leidenschaft für den neuen Staat, den Staat der Arbeiter und Bauern. Nein, ein Kompaniechef wäre wohl aus dem Feingeist Kusior nie geworden. Aber Kulturoffiziere wurden damals ja auch gebraucht. Und so leitete der Major Wolfgang Kusior im Mot. Schützen Regiment Hohenstücken seine singenden Soldaten. So ganz zufrieden waren seine Chefs hingegen nicht mit dem Genossen Major. Sein Klassenstandpunkt schien ihnen nicht gefestigt genug. Zu liberal verkehrte er mit den Soldaten. 1977 entließ ihn dann vorzeitig die Fahne. Das war der erste große Bruch in seinem Leben. Doch Kultur fördern und Talente entwickeln, das ging auch außerhalb der Kasernenmauern. Zunächst ging er als Lehrer zu Fritz Gerlach an die Bauschule auf dem Gallberg. Nach vier Jahren aber nahm die Betriebsberufsschule des Stahl- und Walzwerkes (SWB) Kusior auf. Von 1981 bis zur Wende war er an der Betriebsakademie Lehrer für Deutsch, Geschichte und Staatsbürgerkunde. Seine Leidenschaft aber gehörte dem Musizieren mit den Lehrlingen. Denn das war seine Welt – die Welt des Gesanges, der Chöre. Dem väterlichen Vorbild folgend ist er seit 1985 Dirigent eines Arbeiter-Chores, des Brandenburger Volkschores nämlich, der seit 1874 die Tradition der Arbeiterkultur fortführt. Aber Kusior wollte mehr tun als singen und unterrichten. Man gründete 1986 den Arbeitskreis Stadtgeschichte im Brandenburger Kulturbund e. V. Hier konnte der agile Brandenburger nun seine ganze Liebe zur Heimatstadt ausleben. Gemeinsam mit Gleichgesinnten wurden Stadtwanderungen und -besichtigungen durchgeführt, historische Bausubstanz aufgenommen, publiziert. Kusior profilierte sich als intimer und ausgewiesener Kenner der alten Chur- und Hauptstadt. Das gab wohl den Ausschlag, als man in der Wendezeit seine Bewerbung für den Direktorats-Posten des Heimatkundemuseums berücksichtigte. Doch nur ein dreiviertel Jahr durfte er auf dem Chefsessel bleiben. Während einer Sitzung ließ er für eine Eigenprotokollierung völlig unbedarft ein Diktaphon mitlaufen. Plötzlich klickte es – die Kassette war am Ende. Eine frisch „gewendete“ Reporterin einer großen lokalen Tageszeitung, die gerade vor kurzem erst die Bezirksparteischule mit der Note „Eins“ absolviert hatte, zeterte jetzt plötzlich von den alten „Roten Socken, die das Spitzeln nicht lassen können“. Die aufgewühlten, chaotischen und teilweise hysterischen Zeiten der Wende machten eine sachliche Bewertung der Lappalie unmöglich. Der ihm wohlgesonnene damalige Kulturbeigeordnete konnte ihn nicht halten. Kusior nahm zum dritten Mal seinen Hut, nachdem er das zeitweilig von ihm geleitete SWB-Traditionskabinett, den Vorläufer des heutigen Industriemuseums, wegen defizitärer Linientreue ebenfalls verlassen musste. Unverdrossen leitete er weiterhin seinen Volkschor und den Arbeitskreis Stadtgeschichte. Bis heute ist sein Engagement beispielhaft: Sechs Bücher und Broschüren zur Brandenburger Stadtgeschichte wurden unter seiner Regie und Autorenschaft publiziert. Trotzdem sieht sich der weit über seine Pensionierung hinaus unermüdlich und rastlos für die Stadt tätige verwitwete Vater dreier Söhne als einen „Gewinner der Wende“. Endlich konnte er vorbehaltlos als das arbeiten, was er einst, bis 1966 an der Humboldt-Uni gelernt hatte – als Historiker. Ein Historiker, der den Spuren seines großen Vorbildes Otto Tschirch folgt, mit dessen Enkelin ihn eine vertraute Freundschaft verband. Kusior, der Mann mit dem links schlagenden Herzen, der sich und seinen Überzeugungen treu geblieben ist, bleibt einer der rührigsten Ehrenamtler und Hüter des Gedächtnisses der wunderbarsten Stadt an der Havel – seines Brandenburg.

13. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009
19.02.2009