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Anarchie auf zwei Rädern

zum folgenden sehr ernsten Thema berichtete der Preußische Landbote bereits in seinem Artikel Eine Brandenburger Fahrradfahrt – Protokoll des Irrsinns. Leider blieb die Problematik höchstaktuell.

B.St.Fjøllfross

Die Ölpreise schießen unaufhaltsam nach oben. Autofahren wird für die Privathaushalte teurer. Wer wird davon voraussichtlich profitieren? Natürlich: Die Fahrradindustrie! Das ist grundsätzlich auch zu begrüßen. Aber jetzt kommen die Probleme.
Wenngleich die Bundesrepublik Deutschland in den vergangenen Jahren viel für den Ausbau der Fahrradwege getan hat, so ist doch die vorhandene Infrastruktur den Anforderungen, die gegenwärtig in sich verstärkendem Maße auf sie zurollen, nicht mehr gewachsen. Das beginnt bei den schmalen und oft desolaten Fahrradwegen und endet bei der höchst mangelhaften juristischen Vorarbeit zur Bewertung von Verkehrssünden, begangen durch Fahrradfahrer.
Wir nehmen als Beispiel den Fahrradweg, der die Bundesstraße 1 zwischen Plaue/Havel und Brandenburg/Havel begleitet, an einem gewöhnlichen Freitagabend. Dieser Weg wird selbst für Velozipedisten, die sich, sowohl was die Ausstattung ihrer Zweiräder als auch die vorgelegte Fahrweise betrifft, an die StVO halten, zur Todesfalle.
Das wir dieses harte Wort benutzten, ist keinesfalls Polemik. Das meinen wir so. Übertrieben? Entsinnen Sie sich noch Ihres Unterrichts in Festkörperphysik, Mechanik? Sich addierende gegenläufige Geschwindigkeiten? F=m*a? Wenn zwei Körper von etwa siebzig Kilogramm in Gestalt zweier Fahrradfahrer mit jeweils 20km/h aufeinanderprallen, dann entsprechen die Wirkungen für den Einzelnen einem Aufprall von 40km/h. Aber 40km/h – was ist das schon, nicht wahr? Sie, die Sie es gewohnt sind, in Ihrem Auto mit 160km/h über die Autobahn zu fliegen und einen Fahrer vor Ihnen auf der Landstraße, der sich mit 80km/h an die Regeln hält, als Schnecke beschimpfen, Sie lachen über 40km/h? Da könnte man nebenher Blumen pflücken? Dann holen Sie mal Ihren angestaubten Drahtesel aus dem Keller und los geht’s! Treten Sie in die Pedale! Immer feste! Versuchen Sie, auf glatter Strecke 40 „Sachen“ hinzubekommen. Ihnen wird die Lunge aus dem Halse hängen und Sie bekommen ein ganz neues Gefühl für diese Geschwindigkeit. Wenn Sie es nicht schaffen, nehmen Sie einen Berg und Rückenwind zur Hilfe. Und wenn Sie die Vierziger-Marke geknackt haben, dann fahren Sie einfach mal mit dieser Geschwindigkeit gegen einen Baum oder eine Mauer. Oder nur auf den Acker neben Ihnen. Haben Sie’s drauf? Nein? Schade! Denn wir hätten gern gewußt, ob Sie hinterher immer noch gelacht hätten. Unsere Wette gilt hundert zu eins: Sie hätten nicht. Denn F=m*a besagt, daß Ihnen der Baum oder Mauer mit einer dreiviertel Tonne Gewicht begegnen, die sich plötzlich über Ihren zerbrechlichen Leib auszubreiten beginnt. Zugegeben, das ist jetzt sehr volkstümlich ausgedrückt. Aber es trifft den Kern dessen, was in dem Augenblick des Zusammenpralls vor sich geht, und warum Sie hinterher so blutig und zermanscht aussehen, und warum sich zwischen ihren Zähnen, die Ihnen nach dem Aufprall noch die Treue hielten, zwischen all dem blutigen Schaum so unartikulierte Stöhnlaute entquillen. Schreien würden Sie ja gerne, aber leider, dazu fehlt Ihnen die Kraft. Und die halbe Lunge fehlt Ihnen womöglich auch. Der Notarzt der Sie aufpolkt, wir den Begriff „Pneumothorax“ in sein Protokoll schreiben.
Sie werden jetzt verstehen, warum wir so großzügig gegen Ihr Gelächter gewettet haben...
Bei dieser Geschwindigkeit werden Fahrradfahrer auf unbeleuchteten Fahrrädern des Nachts zu Bomben, Lenkerenden zu Spießen, Rahmen und Speichen zu Knochenbrechern.
Ein Fahrradfahrer, der besoffen und/oder mit einer defekten Beleuchtungsanlage durch die Nacht fährt; ist ein potentieller Mörder. Und wieder keine Polemik! Denn das Strafgesetzbuch definiert Mord als planvolle Tötung eines anderen Menschen aus niedrigen Motiven. Planvoll ist alles, was nicht als unbeabsichtigt anzusehen ist. Der Fahrradfahrer, der sich im fahruntüchtigen Zustand auf sein Gefährt setzt und losradelt, tut dies in vollem Bewußtsein. Das niedrige Motiv ist genau in dieser Verhaltensweise zu suchen, die die Gefährdung anderer aus Gründen der Faulheit, Ignoranz und Bequemlichkeit in Kauf nimmt.
Und jetzt legen wir noch einen drauf. Wenn es denn aus diesen Gründen zu einem fatalen Unfall gekommen ist, der den Verlust des Lebens eines Unschuldigen zur Folge hatte, dann sind die Verwaltungen und Dienstellen der Legislative, der Rechtssprechung und der Exekutive unbedingt mit in die Verantwortung zu nehmen. Daß heißt ganz deutlich, das Ordnungsamt der Kommune, die Polizei, die nicht präsent genug ist und nicht durchgreift, der Staatsanwalt, der nicht unnachsichtig anklagt, der Richter, der nicht hart genug urteilt und der Parlamentär, der zu lasche Gesetzte vorlegt, deren Durchführung ihm scheißegal ist – sie alle sind schuldig der passiven Beihilfe zum Mord!
Gesetze werden immer wieder umgangen oder zumindest leicht überschritten. Wo „50“ erlaubt sind, wird regelmäßig „60“ gefahren. Das wissen wir alle. Und wenn der Gesetzgeber will, daß an einer bestimmten Stelle wirklich „50“ gefahren wird, tut er gut daran, die Geschwindigkeitsbegrenzung von vornherein auf „40“ festzulegen. Ein alter Hut!
Also hoch mit dem Strafmaß, mit dem Verfolgungsdruck, mit den Sanktionen bei Leuten, die immer noch meinen, ein Fahrradfahrer bewege sich in einem rechtsfreien Raum und eine defekte Beleuchtungsanlage sei ein läßliches Kavaliersdelikt! Es muß einen TÜV und eine Kennzeichnungspflicht für Fahrräder geben!
Sie werfen uns vor, wir unterliefen mit solchen Forderungen die zaghaften Bemühungen der Bundes- und Kommunalpolitik, die Leute aus den Autos auf die Fahrräder zu locken? Nee, im Gegenteil! Wir versuchen die anständigen Fahrradfahrer zu schützen. Wir versuchen zu verhindern, daß sich Leute, die ihren Drahtesel wieder flott gemacht haben, nach kurzen Fahrraderfahrungen wieder in die sicheren Metallzellen ihrer Automobile zurückflüchten, weil sie sich dort geschützter wähnen.
Es ist unbestreitbar, daß das Rowdytum der Autofahrer untereinander in keiner Weise vergleichbar ist, mit der Rücksichtslosigkeit von manchen Fahrradbenutzern.
Warum sieht man so selten selbst jugendliche Auto- oder Motorradfahrer auf Bürgersteigen umherrasen, dafür aber um so mehr Fahrradbenutzer? Ganz recht: Weil Autos und Motorräder Kennzeichen haben, und Anzeigen oft teure und unangenehme Eingriffe darstellen.
Eine Anzeige braucht ein Zweiradpilot selten zu fürchten. Husch, weg ist er und ward nicht mehr gesehen.
Der oben beschriebene Freitagabend brachte für den Geschädigten, der uns den Anlaß zu diesem Artikel lieferte, einen Kurzbesuch auf der Rettungsstelle des Klinikums Brandenburg. Dort wurden ihm die multiplen Schürfwunden versorgt, die er sich zuzog, als ihm zwei junge Männer ohne Licht entgegenrasten. Auf dem Rückweg bekam er noch eine Prellung am linken Oberarm, als ein weiterer Mann offensichtlich angetrunken oder bekifft mit glasigem Blick stramm die linke Fahrradwegseite für sich beanspruchte. Ausweichen unmöglich. Beide Unfälle hätte weitaus schlimmer ausgehen können. Für alle Beteiligten.
Deshalb an dieser Stelle unsere Aufforderung an die Verantwortlichen für die Sicherung des Straßenverkehrs: werdet endlich im geforderten Maße aktiv und meißelt den Opferschutz in das Bewußtsein der Bevölkerung ein!
Von den Medien erwarten wir: Setzt das Thema auf die Tagesagenda! GZSZ, Lindenstraße Richterin Salesch und Richter Holt und wie ihr alle heißen mögt. Ihr erreicht das Volk, daß des Lesens und Denkens unwillig und unkundig ist. Aus dem aber dennoch Täter wie Opfer hervorgehen. Eure Botschaften kommen bei den Fernsehsüchtigen an – dann sendet sie aus! Erzieht! Das ist der einzige Auftrag, der eure Existenz rechtfertigt. Dafür kassiert ihr Steuern und Fernsehgebühren! Und zwar auch von den Opfern, die eure Nachlässigkeit oder der Mangel an Interesse nicht zu schützen vermochte.



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Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2005