Baaks

zurück zum Landboten

 

Die Wahl in Nordrhein-Westfalen 2005

B. St. Fjøllfross
1912 rammte die Titanic und ging unter. Es war tragisch. Dann brannte der Zeppelin „Hindenburg“ beim Landemanöver in Lakehurst ab. Was für eine Katastrophe! Und nun die 2005er Wahl zum Landtag in Nordrhein-Westfalen: Die SPD wurde in ihrer ureigenen Hochburg abgewatscht, daß die Heide wackelt. 35% aller Wähler gaben ihr nur noch ihr Vertrauen. 43% erwärmten sich für die CDU.
Da die Nordrhein-Westfalen-Wahl als Indikator für die politische Landschaft in Deutschland angesehen wird, steht es schlecht für die Arbeiterpartei bei den Bundeswahlen zur nächsten Legislaturperiode. Schwarz hat gesiegt. Es wäre aber interessant zu wissen warum.
Es sind Allgemeinplätze, daß die CDU auch nicht in der Lage sein wird, Investoren nach Deutschland zu locken, die den alten Wohlstand der Siebziger und Achtziger zurückbringen. Doch die Sehnsucht nach solchen Wundertätern scheint übermächtig zu sein. Die Rechten können das Tor für die „Heuschrecken“ nur noch weiter öffnen, als das bislang unter dem Druck des sich globalisierenden Kapitals eh schon geschah. „Shareholder Value“ heißt das Zauberwort, das künftig die Richtlinien der Politik bestimmt. Da ist kein Platz mehr für soziale Sentimentalitäten. Der Raubtierkapitalismus bekam eine zweite Chance und er verstand sie zu nutzen. Es gibt Leute, die dagegen schimpfen, wenn sie ihm die Steigbügel halten und andere, die auf den fahrenden Zug aufspringen. Aufhalten wird ihn niemand. Nicht in absehbarer Zeit.
Ist es also diese Erkenntnis, eine Art nüchterner Pragmatismus, der viele traditionelle SPD-Wähler ins gegnerische Lager treibt? Oder sind die Leute kurz von Gedächtnis? Oder wünschen sie lieber das Ende mit Schrecken als den Schrecken ohne Ende?
Es ist faszinierend zu beobachten, wie das Wählervolk ähnlich einer Schafherde blökend von einer Ecke der Hürde in die andere rennt, fortwährend die Richtung wechselt und in einem irrwitzigen Wahnanfall glaubt, durch dieses Hin- und Hergerenne dem Schlachtermesser zu entgehen.
Gerade der amtierende Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika demonstriert uns auf beeindruckende Art und Weise, daß das Geschwätz von der Demokratie westlicher Prägung nur noch einem hohlen Baumstamm vergleichbar scheint, dessen Rinde noch intakt aussehen mag, dessen Inneres aber bereits faulig und marode ist.
Die „demokratisch gewählten“ Vertreter des Souveräns „Volk“ haben als Erfüllungsgehilfen des expansionssüchtigen Kapitals zu dienen. Bestenfalls mögen sie ein wenig Opposition spielen. Nur bestimmen, das dürfen sie nur noch in Bezug auf Nebensächlichkeiten. Hier liegt der Hase im Pfeffer! Auf das geographische Netz der Längen und Breiten unseres Planeten wurde seit einigen Jahren ein riesiges Monopoly-Spielfeld gemalt. Und nun ziehen die Figuren – und nichts und niemand kann sie daran mehr hindern
Nationale Ökonomien haben ihre Lebensberechtigung längst eingebüßt, so wie die abgeschotteten Wirtschaftseinheiten mittelalterlicher Kleinstädte ohne nennenswerten Fernhandel. Deren Stadtmauern fungierten im achtzehnten Jahrhundert noch eine Weile als Akzisegrenzen ehe sie niedergerissen wurden, oder sie durften bis auf den heutigen Tag ein pittoreskes Schattendasein weiterführen. Adäquat dazu werden auch nationale Wirtschaftssysteme kaum mehr durch Zoll- oder Staatsgrenzen geschützt.
Die Gesetze des Marktes diktieren nunmehr global. Keine SPD und keine CDU können diesem Umstand suffizient wehren. Es kommt zu Angleichungsprozessen, die vormals Bummelletzte geringfügig aufholen lassen, während die einstigen Musterknaben großzügig Federn lassen. Träumereien an nordrhein-westfälischen Kaminen ändern an dieser nüchternen Tatsache nichts.
Der Herr Bundeskanzler hat in Konsequenz der ungeheuren Wahlschlappe seiner Partei Neuwahlen für den Herbst angeregt. Manche reden von einem taktischen Manöver, welches auf eine noch keineswegs geschlossene Rechte baut und daraus Kapital zu schlagen sucht. Das ist nun wirklich hanebüchen. Welcher vernünftige Politiker wollte schon gegen eine offensichtliche Mehrheit im Bundesrat regieren, die jeden eigenen Gesetzesvorschlag schon im Keime auszutreten imstande wäre. Würde eine solche Situation nicht den Legislator zum nationalen Deppen machen?
Doch weiter! Die Notbremse, die die SPD mit Hartz IV gezogen hat, war nicht nur ein einziger Reinfall, der weitaus mehr kostete als er einbrachte. Diese „Reform“ auch viel zu spät. Das spüren die Menschen. Da hilft auch nicht der klägliche Verweis des Herrn Bundeskanzlers auf die Langwierigkeit der Reformprozesse, bis sie denn die erwünschten Resultate zeitigen. Das will keiner mehr hören, es mag in der Sache so richtig sein, als es immer will.
Will man also unbedingt eine taktische Erwägung in die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers hineininterpretieren, so bliebe bestenfalls die Erwägung einer Art Kamikaze-Strategie übrig: Laß sie doch ran, die Schwarzen – schneller als mit einer Machtübernahme können sie sich gar nicht selbst demontieren. Für die Menschen wird’s noch härter – also werden sie sich in kürzester Zeit unseres Anspruchs aus Bebels Zeiten entsinnen und wieder lauthals nach uns brüllen.
Und das ist die eigentliche Crux der deutschen Gauen: Es geht schon lange nicht mehr um Aufbau – es geht nur noch darum, den politischen Gegner zu schwächen, um dessen Pfründe besetzen zu können. Die Aufbauliedchen werden als Illumination für den dummen Michel herabgeleiert. Und der rennt brav zur Wahlurne und wirft Ries um Ries sinnlos bedruckten Papiers in das Gefäß.
Die Situation erinnert fatal an die Hilflosigkeit der letzten Tage einer Weimarer Republik. Was danach kam, ist nicht solange her, daß wir es nicht alle genau wüßten.
CDU, SPD, Demokraten, Republikaner – uns erscheint es evident, daß eine große, gemeinsame Aufgabe an den Holzwürmern kleiner persönlicher Karrieren und Eitelkeiten scheitern muß, die in ihrer Gesamtzahl weitaus übermächtiger sind, als der Gedanke an ein nationales Wir-Gefühl. Wobei wir unter nationalen Interessen durchaus paneuropäische und überregionale Ambitionen zusammenfassen.
Denn, beschränken wir uns nur auf Deutschland, dann sieht die Sache noch viel finsterer aus: Deutschlands einziger industriell großzügig verwendbarer Rohstoff bestand im großen und Ganzen aus zwei Komponenten: Das eine waren die genialen Köpfe und das andere die auf den handwerklichen Fleiß ausgerichteten Tugenden, wie Pünktlichkeit, Präzision und Qualität bei innovativen Produkten.
Beide Quellen sind nunmehr versiegt. Was an Vorkriegsgeist vorhanden war, haben die Nazis großflächig umgebracht oder vertrieben – die Juden waren unter anderem Hauptträger deutschen Geisteslebens – und die Alliierten haben die Restbestände nach dem Kriege abgesaugt. Was handwerkliche Spitzenprodukte anlangt, so stellt ein in Taiwan aufgestellter Roboter, dasselbe Produkt weitaus schneller, präziser und kostengünstiger her. Also auch damit ist nicht mehr zu punkten. Was hat die bleiche Mutter Deutschland noch zu bieten?
Rechtssicherheit? Wir mutieren zur Bananenrepublik, oder bestehen an dieser Tendenz seit dem Fall Trinekens, nach dem Fall „Abgeordnetennebeneinkünfte“, nach dem Fall Vorstandsgehälter, nach dem Fall Mannesmann/Vodafone noch ernste Zweifel?
Die Logistik ist hervorragend! Ach was! Das veraltet schneller, als man glaubt. Wenn man da nicht rapide Schritt hält, ist die fortschrittliche Technik von gestern der Schrott von morgen. Wo blieb denn die Magnetschwebebahn von Berlin nach Hamburg? In Schanghai blieb sie! Was wurde aus dem Zeppelin südlich von Berlin? Eine Tropen-Freizeithalle. Toll! Ganz toll! Die Ameisen fressen den Kadaver des toten Elephanten.
Die Autobahnen? Wenn das Land pleite ist, wird es auch nicht mehr viel für den Erhalt seiner Fernstraßen aufbringen können. Sie verrotten und veralten. Paradoxerweise kann man in Westdeutschland diesen Prozeß am deutlichsten ablesen. Das Eisenbahnnetz? Das ist das traurigste Thema. Was die Reichsbahn vom Güterverkehr auf die Schiene bringt, ist marginal. Vielmehr rupfen sie nunmehr schon die alten Geleise aus stillgelegten Strecken, um aus dem boomenden chinesischen Stahlmarkt noch ein paar Pfennige zu schlagen. Ausverkauf. Deutschland sammelt seinen Schrott für China!
Wo also will Deutschland noch glänzen? Wo und an welcher Stelle wollen sie ihre alten Spitzenstellungen zurückerobern? Niedergebügelt von einer alles verschlingenden Bürokratie, die kaum Initiative gelten und schon gar nicht leben läßt, klammernd an Rechtsvorschriften, die teilweise älter sind als der älteste Bürger des Landes… Sie meinen es gut, wenn sie die Michelmentalität zu schützen versuchen – denn Liberalität heißt nichts anderes, als den Raubtieren unter den Global Playern die Pforte zu schrankenloser Ausbeutung zu öffnen. Denen sind nationale Sentimentalitäten scheißegal. Was die wollen, ist ausbeuten, ausbeuten, ausbeuten. Profitmaximierung um der Profitmaximierung willen. Um irgendwo in diesem elenden Monopoly die Nase vorn zu haben und nicht aus dem Spiel geworfen zu werden.
So sollte man den Jubel der Gewinner in Nordrhein-Westfalen deuten. Sie jodeln nicht vor Freude, daß es nun wieder aufwärts geht mit dem Vaterland – denn das tut es gewiß nicht. Und das wissen die Leute um Jürgen Rütgers auch. Sie freuen sich, weil es für sie nun zurück an die kleinen privaten Brottöpfe geht. Und die anderen heulen, weil sie genau von diesen vertrieben wurden.
Sie werden mich nun fragen, welches die Konsequenzen aus meinen Ausführungen seien. Wie man sich denn nun verhalten müsse. Nun, leben heißt: sich an die aktuellen Erfordernisse anpassen. Wer das nicht kann, stirbt aus. So lehrte es uns Vater Darwin. Also, werden Sie Global Player. Und wenn Ihnen das nicht gelingt – arbeiten Sie zumindest für einen. Dann haben sie gute Chancen, eine Weile im Spiel zu bleiben. Ansonsten – Gute Nacht!
Vergessen Sie in jedem Falle das Solidaritätsprinzip, das den Nackten Affen durch zehntausend Generationen hindurch am Leben erhalten hat. Nie wurde es so radikal beseitigt, wie in unserer Zeit. Und verlassen Sie sich darauf – das Kapital weiß so gut wie Sie, daß es keine Bastille mehr gibt, deren Sturm zu einer revolutionären Umgestaltung der Gesellschaft führen könnte. Der Panzerkreuzer „Aurora“ kann ballern, soviel er will, in jede Richtung – es ist müßig. Denn, ist es schon schwierig, die Kräfte einer Nation zu gemeinsamem Handeln zu bündeln – die Kräfte der Welt zu vereinen ist auf Grund der gewaltigen kulturellen Unterschiede schier unmöglich. Das Kapital hat diesen Schritt jedoch bereits vollzogen – und ist damit unangreifbarer als es selbst der Hürnene Siegfried war. Die alten Griechen orakelten vom Eisernen Zeitalter. Huxley und Orwell setzten eins drauf. Darauf sollten Sie sich einstellen und die letzten Tage der relativen Freiheit genießen. Ihre nachfolgenden Generationen werden neidisch auf Sie zurückblicken!
In Nordrhein-Westfalen hat somit nicht schwarz gegen rot gewonnen, sondern grau gegen alle anderen!

5. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2005