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Plattdüütsch –
Abschied von einer deutschen Hochsprache

B. St. Fjöllfross
Zu früheren Zeiten kam es häufiger vor, daß eine bewaffnete Macht, die soeben ein feindliches Gebiet eingenommen hatte und sich dort dauerhaft zu etablieren suchte, der ansässigen Bevölkerung nicht nur die Werte und Ausdrucksformen des Siegers aufdrängte, sondern darüber hinaus die einheimische Kultur zum Erlöschen brachte. Wir Ostelbier können ein Lied davon singen. Bis auf Flur- und Ortsnamen erinnert in unseren Gefilden kaum noch etwas an die einstigen slawischen Herrn des Landes. In Brandenburg an der Havel beispielsweise soll der letzte von Hause aus westslawisch sprechende Mann in der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts gestorben sein. Tot war die Sprache. Gesprochen wurde fortan, was die einstigen sächsischen Sieger mehr als ein halbes Jahrtausend früher mit ins Land gebracht hatten: Deutsch.
Es war ein sogenannter niederdeutscher Dialekt, ein plattes Deutsch, wie wir sagen würden. Verstanden und gesprochen wurde es von der Zauche bis an die Waterkant.
In den Havelgauen wurde dieses Platt mit dem sehr verwandten Flämischen eingemischt, welches von den Zuzüglern und Kolonisten des 11.- 12. Jahrhunderts verwandt wurde.
Lange, lange ging das gut. Doch eines schönen Tages setzte sich der Heilige Vater in Rom in den Kopf, die größte Kirche der Christenheit errichten zu wollen. Der Stellvertreter des Petrus auf Erden brauchte zu diesem Behufe viel Geld und ließ es auch in der Mark Brandenburg unter anderem mittels windiger Ablaßgeschäfte eintreiben. Der Rest ist bekannt: Unsere erzürnte Nachtigall zu Wittenberg hämmerte 95 kirchenreformatorische Thesen an die Wittenberger Schloßkapelle und begründete damit eine Kirchenspaltung, die das Heilige Römische Reich Deutscher Nation so ziemlich in Nord und Süd teilte. Der Norden wurde mehrheitlich protestantisch. Und da der Doktor Martinus Luther neben seinem exzellenten Latein auch in Wittenberger Kanzleisächsisch gegen das moralisch verkommene Papsttum gewettert hatte, welches Idiom den ober- oder hochdeutschen Dialekten zuzurechnen ist, wurde fortan in den protestantisch geprägten Ländern das Hochdeutsch zur führenden Umgangssprache. Der Hohenzoller Joachim II. konvertierte als Chef des Brandenburger Kurfürstentums in der Spandauer Nikolaikirche zum Luthertum und vererbte somit Konfession und Sprachregelung auf die Geschicke des gesamten Reiches, zu deren führendem Kaiserhaus sich die Hohenzollern in den nachfolgenden Generationen aufschwangen.
Nun wurde es brenzlig um das Niederdeutsche. Nur noch die sogenannten unteren Schichten befleißigten sich dieser wundervollen und gefühlsreichen Sprache, die dem Englischen so verwandt ist wie ein zweieiiger Zwilling. Und darin lag der Makel begründet. So ist das mit den Menschen: Sie äffen immer die sozial Bessergestellten nach in der Hoffnung, auf diese Art und Weise ein wenig von deren Glück partizipieren zu können. Reicht es nicht für Versailles, dann muß es halt wenigstens im Maßstab 1:5 so aussehen. Langt es nicht für einen Ferrari, dann sollte zumindest ein Manta die Garage zieren. Und wem Meyers Zwanzigbändiges zu teuer ist, der stellt sich eben ein Conversationslexicon von A-Z in einem Band ins Regal.
Und so schielte man auf die gewählte hochdeutsche Artikulation der „Besseren Gesellschaft“, versuchte diese zu imitieren und verpönte das Platt als das Gebell der Analphabeten und des ländlichen Plebs.
Zwischen Havelland und Zauche wurde der Dorfjugend reihenweise selbst unter Androhung körperlicher Züchtigung verboten, das Platt zu gebrauchen, so wie die Sorbenkinder sich ihres überkommenen Spracherbes zu schämen hatten, bis dieses nur noch ein Siechendasein fristete.
Während in Tasmanien der Beutelwolf verschwand, bejagt von menschlicher Gier und Dummheit, versiegte in Norddeutschland das Niederdeutsch – verlassen von identitätslosen Verrätern an der eigenen Kultur, die nicht das Kreuz hatten, zu sich selbst zu stehen und den Anfechtungen bornierter Blödheit zu trotzen.
Das Hochdeutsch hat seine Meriten. Niemand will das bestreiten. Doch das endlos Schöne der überreichen plattdüütschen Gefühlswelt – die unwiederbringlich verlorene Lyrik dieses warmherzigen und doch so zupackenden Dialektes, ihr weiches Timbre ging uns verloren und hinterließ eine Wüste in der Seele der Deutschen. Denn – bildlich gesprochen – verkörperte das Niederdeutsche die Wärme, die Nähe im deutschen Sprachgebrauch, während das Hochdeutsche mehr zum Kühlen, Distanzierten hin tendiert.
Die Holländer waren nicht so feige und so entsetzlich dumm. Sie behaupteten ihre Sprache tapfer gegen alle Intervention. Die Geusen trotzten dem wesensfremden Herrschaftsanspruch des spanischen Zweiges des Hauses Habsburg. Herzog Alba hatte dort auf Dauer nichts zu lachen. Stolz und erhobenen Hauptes bewahrte sich Oranje seine Werte und seine Wesensart, zu deren kostbarsten Attributen immer auch die Sprache als Hauptbestandteil der Verständigung dient. Und niemand käme auf den Gedanken, dieses niederdeutsche Volk der Kulturlosigkeit zu zeihen, oder gar der Unfähigkeit zu wissenschaftlicher Spitzenleistung, weil diese in der gemeinen niederdeutschen Sprachwelt etwa keine Entsprechung oder Artikulationsmöglichkeit fände. So kam es, daß ausgangs des völkermordenden Dreißigjährigen Krieges das Holländische zur eigenständigen Hochsprache inmitten der germanischen Sprachfamilie avancierte, sich gleichsam völlig von der niederdeutschen Mutter emanzipierend, welche gerade dem Einfluß der hochdeutschen Vergewaltigung erlag.
Ein wenig versucht man noch das Begräbnis hinauszuzögern. Mitunter erscheinen Bücher in plattdeutscher Mundart. Fernsehsendungen wie „Talk up Platt“ kämpfen darum, zu retten, was zu retten ist. Aber sie stehen auf verlorenem Boden. Eine Sprache kann nur lebendig bleiben, wenn sie im Alltag gesprochen wird. Sie wie das Latein im Vatikan zur Amtssprache zu erheben, oder mit zweisprachigen Orts- und Straßennamensschildern wie im Sorbenlande zu beatmen, nutzt da wenig. Am Abendbrottisch, im Konsum oder in der Werkstatt, in der Schule oder auf dem Wochenmarkt – da muß sie erklingen. Oder sie ist verloren! Mit jedem Jahr aber schwinden die letzten Deutschen dahin, deren Zunge noch das alte Idiom beherrscht.
Im fünfzehnten Jahrhundert grölten die Landsknechte, die, von den beiden Städten Brandenburg daherkommend an der Bischhofsburg Ziesar gen Görzke vorüberzogen: Hebben wi Zerwest krecht un Branneborch, denn krejen wi Görtsche ok noch – dat Düwelsnest!
Ach, hätten sie doch ihre Spieße und Schwerter nicht gegen das arme Fläming- Städtelein gerichtet, sondern gegen einen anderen, weitaus mächtigeren Feind, den zu berennen ein Landsknecht wohl all seine Courage aufbringen müßte: Hätten sie den Feind der Dummheit und Arroganz aus dem Lande gejagt, ein großer Teil unserer Identität wäre uns erhalten geblieben. Mit Plattdüütschen hätte ein Braunauer Anstreicher und Politdemagoge kaum gegen Jud und Russ zu Felde ziehen können. Das paßt einfach nicht zusammen. Sie hätten den brüllenden Psychopathen nicht verstanden. Seine Haßtiraden hätten sich nicht übersetzen lassen. Und wenn man es versucht hätte, das Ergebnis wäre einfach nur noch lächerlich gewesen!
Doch so ist die Mehrzahl der Menschen. Sie sind zu blind und zu engstirnig, um mehr als nur das Nächstliegende zu sehen.
Und so bleibt uns nicht mehr als dieser traurige Abgesang auf einen der wundervollsten Dialekte, die das Deutsche seit seinem Entstehen hervorgebracht hat: Slap ju woll for den Rest der Tiden. Wi avverst wulln drümen, dat wi ines scheunen Dages wedder up platt seggen künn, wat immer wi seggen wulln. Und dat wi verstoahn wiern von Lüden, die wat so denken duan as wi. Dat Hopen stierbt tau letzt!

5. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2005