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Sue-Melinas trendy Handy

Don Miquele Barbagrigia
Sue-Melina ist 13 Jahre alt. Sie verkörpert den Durchschnitt ihrer Altersgenossinnen geradezu ideal. Ihre Mutti ist nicht gerade die Hellste, was man schon vage aus der Namensgebung für ihre Tochter schlußfolgern kann. Und Sue-Melina selbst ist auch kein Geisteslicht. Sie ist halt ganz normal, macht jede Mode mit und eine ihrer gewichtigsten Sorgen ist, einen neuen Trend auch nur um Tage zu verpassen. Die entsprechenden Kommentare von ihren „Freundinnen“ wären ja dann wohl tödlich. Ein „Arschgeweih“ mußte es sein und ein japanisches Schriftzeichen als Tattoo auf dem Oberarm, von dem sie keinen blassen Schimmer hat, was es bedeutet und jede Menge „Piercing“ unter den schrillen Markenklamotten. Das alles mußte hip sein und total cool und abgefahren. Vor allem aber durfte ihr Hirn, wo vorhanden, nicht über Erbsengröße anschwellen. Grips, Wissen, Kultur – igitt, wie peinlich. Da wäre sie dann ja völlig weg vom Fenster. Steve-Dominik würde sie nicht mal mehr mit seinem süßen kleinen Knackarsch anschauen, wo sie doch so unsterblich verliebt in ihn ist. Am Ende würde der dann noch mit Mandy gehen, das wäre ihr sicherer Tod! Verdammte Schlampe, die!
Und so, wie eine Dame ohne Handtasche früher nackt war, so ist es Sue-Melina ohne ihr Handy heute. Ihr Handy ist das Wichtigste, das Unentbehrlichste, das Lebensnotwendigste in ihrem ansonsten beinahe sinnfreien Leben. Vergäße sie es einmal zu Hause auf der Kommode, sie würde im Augenblick des Entdeckens des Mißgeschicks wahrscheinlich Erstickungsanfälle erleiden, kitzeblau anlaufen und schnurstracks in Panik verfallen.
Denn dann wäre sie einsam gestrandet im Ozean des Schweigens. Ihre „Freundinnen“ können sie nicht mehr erreichen – lebenswichtige Informationen erführen eine unverzeihliche Verzögerung, sie könnte ihren Mädchentratsch nicht mehr in die Welt hinaussimsen, wo die doch nur und einzig auf ihre, Sue-Melinas Kommentare zum Tagesgeschehen wartet. Eine Epoche verfiele dem Chaos.
Und die Netzbetreiber? Die Hersteller von Mobiltelephonen? Jubeln und Jauchzen! Denn Sue-Melina ist süchtig! Süchtig nach einer legalen Droge, der Droge des pausenlosen Sabbelns von Nichtigkeiten und sie, die Netzbetreiber, sind legale Dealer. Und dabei sind sie noch viel besser dran als ihre illegalen Kollegen aus dem Drogenmilieu. Sie können Sue-Melina zwei Jahre und länger vertraglich an sich binden – die Kohle ist absolut sicher!
Das Sahnehäubchen bei diesem Geschäft ist aber, daß die Netzbetreiber Rechnungen ausstellen, die in so einem zeitlichen Abstand vom Drogenkonsum des Quasselns zugehen, daß bei primitiven Hirnen, wie dem Sue-Melinas, während des Gequatsches gar kein assoziativer Bezug zur Bezahlung des Ganzen entsteht. Kauft sie Hasch oder Alcopops, so muß sie ein bares Pfund aus der Hand geben! Das tut weh. Dieses Pfund müßte sie Oma aus der Haushaltskasse klauen, sie liebt ihre Großmutter, die Tat fiele ihr weiß Gott nicht leicht. Das Pfund geht vor ihren Augen dahin – der Drogendealer schreibt keine Rechnung aus, er akzeptiert nur Bares. Nicht so beim Mobiltelephonieren. Kein Gedanke an das Geld, das man augenblicks in den Äther sabbelt. Es ist so herrlich entspannend. Na gut, einmal im Monat kommt ein schwarzer Tag, wenn die Rechnung ins Haus flattert, für 800 SMS und 450 Gespräche. „Mann oh! Scheiße, Mann, eh! So’n Haufen Knete für das bißchen Gequatsche, ist ja echt kraß, eh!“ Na, Sue-Melina, Oma wird’s schon richten. Mutti wird ein bißchen schimpfen, aber da verdrehst du die Augen, schmollst ein bißchen vor dich hin, keifst Mutti an, daß sie sich mal nicht so spießig haben soll, schließlich war das alles ja total super wichtig, wenn du Sandy erklären mußtest, wie Marc mit Jenny letzte Woche…“ Hier ging es um die nackte Existenz! Hier wurde ein Überlebenskampf geführt und Mutti mit ihrem Gestöhne will anscheinend, daß du ihn verlierst! Nur, weil sie für Deine Rechnung fast eine Woche arbeiten mußte… Soll sich bloß nicht so auftouren, nicht wahr, Sue-Baby?
Laß Dir das nicht gefallen! Kämpfe! Telekom, Vodafone und E Plus mögen mit dir sein! Und sie sind es. Denn für sie bist du überlebenswichtig. Du, deine „Freundinnen“, eure ganze kleinen, existentiellen Problemchen und eure ganze gigantische Dummheit. Nur wenn die Narren zu Markte gehen, lösen die Krämer viel Geldes, wußten schon die Alten. Aber die Alten sind nicht dein Thema, kleine hohlköpfige Sue-Melina: Was gehen dich die Gruftis an? Und die, die schon lange unter der Erde liegen, sind ja nun wirklich total out!
Daß Marc die Verabredung mit Jenny platzen ließ, weil er mit seinen Kumpels abhängen mußte, unter denen sich komischerweise auch die doofe Julia aus der Nachbarklasse befand, na die, die so blöde Pumps trägt, wie du sie auch gern hättest, aber Mutti dir wegen der hohen Sabbelrechnung nicht kaufen kann, die blöde Julia also, die immer so ’ne beknackten Pusch-up-BHs umschnürt, obwohl sie doch noch gar nichts hat, die blöde Zicke, das ist ein Thema, das ist wichtig, das ist aktuell! Das finden die Netzbetreiber auch und deshalb darfst du auch immer auf ein gut funktionierendes Netz rechnen. Das bißchen Geld wird es dir dann an dem total beknackten Monatsletzten schon wert sein. Das muß es einfach, Sue-Melina! Denn sonst geht wirklich das letzte Licht aus. Deines nämlich!

4. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2004