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Hofberichterstattung

J.-F. S. Lemarcou
Ach, was sind sie einst geschmäht worden, die linientreuen Gazetten der Deutschen "Demokratischen" Republik: Hofberichterstattung würden sie betreiben, lobhudeln und scharwenzeln - endlos festgelegte Floskeln paraphrasieren und in grenzenloser sprachlicher Ödnis die Leserschaft zum kollektiven Gähnen verleiten.
Ja, da ist was dran. Doktrinärer Konformismus redigierte den mitteldeutschen Blätterwald, konträre Gesichtspunkte wurden tunlichst außen vorgelassen. Wenn mal doch ein wenig polemisiert wurde, dann im Stile des unsäglichen Herrn von Schnitzler: nämlich gegen den untergehenden und fauligen Sumpf des Kapitalismus mit all seinen menschenfeindlichen Auswucherungen.
Dann kam er - der große Befreiungsschlag! Tausende und Abertausende trampelten zu Leipzig jeweils montags auf der maroden DDR herum, der doch nach eigenen Erkenntnissen an und für sich eine rosige Zukunft gehörte.
Als dann Tapetenkutte und seine Genossen vom SED-Politbüro die weiße Fahne aufzogen um sich fortan den Gemeinheiten der westdeutschen Siegerjustiz zu widmen, da schlug die Befreiungsstunde für die in den Fesseln der Zensur schmachtende Presse. Ungezwungen und mit freier Themenwahl konnten sich fortan die geläuterten Jubelperser der Schwarzen Kunst entfalten. Und wenn sie nicht gestorben sind.
Gestorben ist mittlerweile die Illusion von einer wirklich unabhängigen Presse.
Schauen wir uns doch um! Sicherlich, wir finden durchaus diametrale Äußerungen zum selben Thema in den verschiedensten Printmedien. Doch wenn wir hinter die Kulissen sehen, so spielt sich nichts anderes ab, als auf dem Schnürboden des DDR-Pressetheaters.
Nur, daß es jetzt allerorten viele kleine "DDRs" gibt. Das sind die verschiedensten Interessenverbände und Parteien, die Sponsoren, die lokalen Herrscher, die sich vor allem im ruralen Bereich demokratisch nennen, aber längst alle Fäden in der Hand halten. Und niemand, wirklich niemand von den kleinen, ortsansässigen Blättern, die permanent ums wirtschaftliche Überleben kämpfen, wird es wagen, gegen die lokalen Fürsten mißliebige Dinge zur Sprache zu bringen, solange die noch das Sagen haben.
Eine Gazette, das ist längst kein Geheimnis mehr, bezieht einen überlebenswichtigen Teil ihrer Einnahmen nicht mal so sehr aus dem Straßenverkauf oder den Abonnements. Werbeeinlagen müssen plaziert werden. Akquisiteure müssen ausschwärmen und potentiellen Werbekunden ein Inserat im Blatte schmackhaft machen. Dazu ist überzeugend darzulegen, daß das Blatt nicht nur gelesen wird, sondern daß es seiner Leserschaft Inhalte präsentiert, die sich im günstigsten Falle als consensuell zu den Ansichten der Groß-Inserenten erweisen. Wirtschaftsverquickungen, Filz, Anzeigenabhängigkeit - das ist die unselige Kausalität, die die meisten Blätter der Neuzeit wiederum an die Kette legt.
Ein wirklich unabhängiges, kämpferisches Blatt - wie beispielsweise die "Weltbühne", respektive "Das Blättchen" wird daher als Exot und Marginalie im Blätterwald gehandelt.
Das ist um so bedauerlicher, als solche Stimmen den Oasen inmitten großer Wüsten gleichen. Wenn ein Volk geistig überleben will, dann bedarf es kämpferischer Ideen. Den Anspruch, als vital und kräftig wahrgenommen zu werden, kann es nur erheben, wenn Leute wie Luther und Tucholsky, Hus und Wicklif, Hutten und von Ossietzky, Müntzer und Panizza gehört werden. Wenn man ihre Ideen auf der Straße diskutiert, sprich, wenn das Gedankenmaterial solcher Querdenker Allgemeingut ist.
Welchem Arbeitslosen, welchem "Stützeempfänger" nutzt denn das ewig grinsende, gutgelaunte Oberbürgermeistergesicht, das ihm von jeder neuen Ausgabe seines Regionalblattes entgegen paradiert? OB bei ersten Spatenstich, OB auf einem Kinderfest, OB als erster Gratulant auf der Hochzeit der lokalen Schönheitskönigin - heile Welt, wie familiär, wie traulich: er ist halt einer von uns. Nein! Das ist er in vielen Fällen eben nicht! Er ist ein agiler Politiker, der sich eine Hausmacht geschaffen hat um entsprechende Posten der Stadtverwaltung zu besetzen und der nun seine Fraktion, seine wichtigen Wähler, seine Wahlspender mit Pfründen versorgt. Denn diese Spenden verdienen den Namen "Spende" nicht! Diese Spender wollen etwas wiederhaben, die haben investiert! Das zu berichten stünde einem ordentlichen Lokalblatt an. Den Filz entwirren, seine Strukturen freilegen, ihn zerreißen - das ist Journalistenpflicht! Denn dieses Geflecht ist eines der Haupthemmnisse wirtschaftlicher Prosperität. Hier wird freier Wettbewerb erdrückt.
Diese Vorgänge transparent zu machen, den Sumpf trockenzulegen und als kontrollierende Macht im Sinne der Machtlosen zu drohen, darum muß es einer freien Presse gehen. In Polizeiberichten über kleine Gauner genüßlich zu polemisieren - geschenkt! Das ist Mumpitz. Den richtigen Gaunern muß es ans Fell gehen, denen mit dem Blendaxlächeln und dem Feinen Zwirn. Wer das nicht tut, der dokumentiert schon seine Nähe zu den Freßnäpfen, die von diesen Ganoven parat gestellt werden. Speichelleckerei. Schönfärberei, hohle Platitüden!
Das alles hatten wir schon einmal. Siehe oben.
Ihr habt Angst um Eure Werbekunden? Euer Chefredakteur ist der Spezi und Hofkasper des OB und fürchtet um die beiden lukrativen Posten? Zum Teufel damit!
Schreibt hart und brutal! Werdet keine Hexenjäger, bleibt gerecht und sachlich und helft den Millionen, die sonst jeden Groschen umdrehen müssen. Verfolgt so ein bißchen das "Bild" -Konzept und wie ihr an diesem Beispiel sehen könnt, liebe Kollegen von "Hofschranze & Stiefelknecht": ein solches Konzept trägt sich gut und gerne. Die Leute kaufen. Und "Bild" ist eine solche immense Macht, daß kein Lobbyist, so er noch bei Troste ist, versuchen wird, auf diesen Giganten irgendeine Art von Druck auszuüben. Das wäre purer Selbstmord, bei dem selbst die kulanteste Lebensversicherung eine Auszahlung verweigerte.
Der einzige Nachteil eines solchen Blattes ist eben, daß dabei die Seriosität unweigerlich in die Dutten geht. Denn das Volk ist nicht seriös. Es ist mehrheitlich dumm, korrupt und auf bunte Bilder aus.
Und es eigentlich ganz zufrieden mit simplen Erklärungen, weil Volkes Gedankenwelt oft ebenfalls simpel gestrickt ist. Es reicht, wenn man gut erkennbare Landmarken schafft: "die da oben, wir hier unten". Ein paar arme Schweine als Sündenböcke, die es mit etwas Bauernschläue eine Zeitlang geschafft haben, sich am Neidsystem vorbeizumogeln. Ein wenig Dampf ablassen aus der Volksseele - sich werbeträchtig zum Robin Hood vereinzelter Entrechteter machen. Das ist der übel stinkende Rest des "Bild" -Konzeptes. Um diesen Rest soll und darf es nicht gehen bei einer Zeitung, die sich noch selbst etwas wert ist.
Unpopularität einerseits und ein Rectum obstructivum der machthabenden Obrigkeit andererseits (der Arschkriecherei sehr hinderlich), manchmal beides in Kombination - das sind wahrhafte Sphinxen auf dem Weg zum Geld. Wer verstünde das besser als wir "Landboten"!
Aber soll dieser Weg zu den Brottöpfen alles sein? Alles wofür es sich zu schreiben und zu kämpfen lohnt? Auch wir werden die Welt nicht verbessern. Wir wissen das. Aber wir können uns das unschätzbare Privileg bewahren, den eigenen morgendlichen Anblick im Rasierspiegel mit einem Lächeln zu begrüßen. Hofnarr? Gut, wenn der Sold stimmt! Hofschranze? Pfui Teufel!

3. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2004