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Muß die Kunst nach dem Brot gehen?

K. K. Bajun
Das ist eine schwierige Frage. Welche Erwartungen hegt man denn an die Kunst? Wie kunstvoll muß sie denn sein? Welchen Zeitaufwand erfordert die Beschäftigung mit ihr? Wovon lebt der Künstler? Kann er es sich leisten, sich ganz und gar unbefangen seinem Metier zu widmen, ohne sich Sorgen darüber machen zu müssen, woher er das Brot für den nächsten Tag bekommt? Oder verfügt er über Vermögen, das es ihm gestattet, sich in seinen Werken auszudrücken, ohne Rücksicht auf die Befindlichkeiten anderer respektive deren Resonanz machen zu müssen?

Oftmals ist es so, daß Kunst sich eben verkaufen (lassen) muß. Sie ernährt ihren Jünger. Sie muß ihn ernähren. Und so bleibt ihm keine andere Wahl, als dem Geschmack der Zeit zu folgen und das zu gestalten, was dem breiten Publikum genehm ist. Oder dem zahlungskräftigen. Der letzte Schrei ist gefragt, das gekünstelt Extrovertierte - das Unnatürliche. Hier ist der Ort, an dem die Kunst ihre Verwandtschaft mit der Prostitution offenbart. Und häufig genug begegnet sie uns dann in einem mehr als schäbigen, in einem bemühten Gewande. Am erstaunlichsten ist dabei der Umstand, daß sie gerade hier das alte Märchen von des Kaisers neuen Kleidern Tag für Tag wieder aufleben läßt.

Es ist nicht einmal so, daß die Schar der Begeisterten dem Kaiser zu schmeicheln trachtet. Sie wollen halt alle "in" sein, dazugehören, einen Teil des "Mainstreams" bilden. Die Urangst des Nackten Affen als Rudeltier und Nesthocker vor dem Verlassenwerden bricht sich hier ungehemmt Bahn und kommt zutage.

Die Kunst, die von innen kommt, die "Echte", fragt nicht nach dem Marktwert. Oder sie kämpft, ihren Preis auf dem Markt todesmutig verachtend, gegen den allgemeinen Konsens an. Der Künstler als ihr frommer Knecht nimmt dem Ruf des eigenen Stolzes folgend das Ausgestoßensein in Kauf. Und oftmals reist in diesem Gefolge bittere Armut.

Verlogene Heuchelei, so haben wir es oftmals in der Kunstgeschichte erlebt, läßt den "Verkannten" nach seinem Tode auf- und hochleben. Die Börse überschlägt sich nach seinem Werk, die Auktionshäuser drücken sich die Klinke in die Hand. Man versichert sich gegenseitig, wie dämlich doch wohl die Zeitgenossen des armen Poeten/ Malers/ Musikers gewesen sein müssen, dieses überragende Genie so gründlich ignoriert zu haben. Dabei verkennen die meisten, daß sie selbst genau diesen Typus von Zeitgenossen verkörpern.

Natürlich haben es auch schon mache starke Charaktere verstanden, sich schon zu ihren Lebzeiten einen Namen zu machen, den sie wirksam zu Gunsten "ihres Kunstverständnisses" einsetzten. Man denke an Michelangelo Buonarotti, der sich selbst mit Päpsten herumstritt. Aber diese Naturen scheinen doch eher die Ausnahme gewesen zu sein.

Vielleicht ist es gerade das tragische Moment, was uns als Nachgeborene so berührt, wenn wir die Biographien von Leuten wie zum Beispiel Vincent van Gogh oder Dr.Oskar Panizza betrachten. Die eigensinnige Art, wie diese ihrem Stern folgten, konsequent und unbeirrt, läßt uns angesichts des trostlosen Ausganges, der diesen Geschichten allgemein innewohnt, erschaudern.

Daher werfe ich einmal die Grundsatzfrage auf, was denn überhaupt unter Kunst zu verstehen sei. Nur eine Verzierung des alltäglichen Lebens, Ausdruck von Gefühlen oder was sonst? Wie weit erstreckt sich der Rahmen, was alles findet Platz unter dem Begriff "Kunst".

Meine vorsichtig formulierte Antwort lautet: Kunst soll etwas zur Darstellung bringen und uns - auf welche Weise auch immer - über das gewöhnliche Maß hinaus berühren. Wenn wir beginnen, uns über das Wesen des dargestellten Dinges Gedanken zu machen, dessen wir vorher vielleicht nur oberflächlich gewahr geworden sind, dann hat die Kunst ihren Zweck erreicht.

Insofern denke ich, kann man Farbenklecksern und -schmierern, die nach weiß der Teufel für welchen Gesichtspunkten Leinwände mit unsäglichen Mustern beschmieren um damit die Galerien und Wohnungen, Anwaltskanzleien und Arztpraxen von ebensolchen pathologischen Charakteren zu füllen, getrost die Berufsbezeichnung "Künstler" absprechen. Ich scheue mich, den belasteten Begriff "entartet" zu verwenden. Aber allein der Umstand, daß ich ihn unwillkürlich assoziiere, sollte nachdenklich stimmen. Dasselbe gilt für Skulptoren, "Musiker", die sinnlose Klangfetzen zu mitunter ohrenbetäubenden Dissonanzen und kakophonen Mißtönen aneinanderreihen, "Dichter", deren heilloses Gestammel wohl eine besondere Art der Verinnerlichung und reichhaltiges Seelenleben vorgaukeln soll, im Normalfall jedenfalls eine psychiatrische Zwangseinweisung nach sich ziehen würde. Die Reihe ließe sich fast beliebig fortsetzen. Auch unter den Architekten gibt es solch Ungetüme, die das natürliche Bedürfnis des Menschen nach Harmonie unausgesetzt schänden und sich mit ihren Albernheiten zu profilieren trachten.

Ich finde sicherlich keine abschließende und erschöpfende Antwort auf die Frage, ob denn nun die Kunst nach dem Brote gehen muß. Es muß wohl mit der Intention zutun haben, mit der man sich an die Gestaltung eines Gegenstandes macht.

Ich sehe eine gewisse Tendenz dahingehend, daß Kunst, die um der Selbstdarstellung des "Künstlers" willen kreiert wurde, nur sehr selten diesen Begriff verdient. Wenn also die "Seele von's Janze" nach Mammon schreit, so finden wir selten Substanz hinter der Kunstschöpfung.

Niemand kann von der Hand weisen, daß großartige Schöpfungen der Kunstgeschichte als Auftragswerke entstanden. Aber es erscheint mir doch so, als hätten diese Meister ihr Herzblut an ihre Arbeit verwandt. Viele der Alten begriffen sich nicht einmal als Künstler, sondern "nur" eben als grundsolide Handwerker. Sie schufen oft zum Lobe des Höchsten, auch wenn das Werk im Auftrag eines Zahlenden entstand. Ihr Name blieb oft genug im Hintergrund, wenn nicht gar im Dunkel der Geschichte verborgen. Er erschien seinen Trägern selbst zu unwichtig, um überliefert zu werden. Auf den Inhalt, das Werk kam es an! Alles andere war unwichtig. Der wahre Künstler begreift sich also als Transmissionsriemen seiner Arbeit. Der Andere begreift sein Schaffen als Transmissionsriemen zur Mehrung seines Ruhmes. Diese Entwicklung, diese Personalisierung der Kunst setzte langsam ein, als der neuzeitliche Mensch zu glauben begann, er müsse seinen Herrgott und Schöpfer auf's Altenteil schicken. (Letzterer fügte sich grinsend, wie wir ja wissen.) Auf einmal wurde die Glocke nicht nur von Meister Klaus gegossen, der Dom von Meister Gerhard eingewölbt, jetzt nannte man sie schon beim Familiennamen oder nach der Herkunft, um sich ihrer begehrten Dienste auch überregional versichern zu können. Und der Name des Sohnes von Meister Klaus, dem Glockengießer, erschien dann auch schon auf den Glockenmänteln - noch nach Jahrhunderten sichtbar.

Niemand kennt die Namen ungezählter Mönche, die die so herrlich bebilderten, handgeschriebenen Bücher der Romanik und Gotik schufen. Nicht einmal der Name des Illustrators des Sachsenspiegels ist auf uns überkommen. Vom Dichter des "Helmbrecht" ist uns gerade einmal bekannt, daß er Her Wernher der Gaertnere hieß. Sonst nichts. Keine biographischen Eckdaten, keine Stationen seines Lebens und Wirkens - Nichts!

Schon wenige Jahrhunderte später fand man unter jedem Holzstich Dürers das kleine ineinander gestellte "AD", unter jedem Bild Cranachs das kleine Schlängelchen mit der Krone - Signen der Meister.

Die beiden letztgenannten sind natürlich herausragende Künstler mit einem wahrhaft großartigen Opus. Aber schon hier zeigt sich, daß der Name, die Person des Schaffenden an Wertbeimessung gegenüber dem Geschaffenen aufholt. Beide waren übrigens nebenher tüchtige Geschäftsleute. Aber hier hielt sich Schaffen und Commerz noch die Waage. Man wollte durch die Qualität der Arbeit auffallen, nicht durch den eigenen Namen. Wenn man dann einen hatte, so war das dem Verkauf sicher förderlich - aber diese Überlegung schien noch keine Priorität zu genießen.

Erst das Zwanzigste Jahrhundert gebar die Idee, durch immer größere Skurrilitäten, ja geradezu skandalöse, nichtsdestotrotz durchaus ernst gemeinte Persiflagen auf die alten Künste einen Namen zu gewinnen. Jetzt sollte sich definitiv nicht mehr das Werk behaupten, sondern der dahintersteckende Autor .Das könnte immerhin ein Indiz sein.

Das alles jedoch ist nur ein Aspekt des Ganzen. Wie oben schon erwähnt, stellt sich selbstredend die Frage nach dem Unterhalt des Künstlers. Wovon lebt er? Viele Werke erfordern eine langwierige, gründliche Beschäftigung mit der Materie. Das beginnt schon bei der Ausbildung. Und in dieser Zeit muß der Mensch essen, trinken, sich kleiden, wohnen. Das alles kostet! Ist der Künstler gezwungen, seinen Unterhalt anderswo zu verdienen, so geht der dafür betriebene Aufwand und die Zeit von seiner Beschäftigung mit dem Werk ab. Das wird in den meisten Fällen zwangsläufig zu einem Qualitätsverlust führen, den er leicht ausgleichen könnte, stünden ihm die Tage und Nächte ungeteilt zur Verfügung.

Trotzdem erleben wir gerade bei diesen "Freizeitkünstlern", Amateuren und Dilettanten immer wieder staunenswertes. Es könnte sich auch hier erweisen, daß die Kunst ihrem Schöpfer aus dem Herzen floß - um ihrer selbst willen betrieben wurde, ohne permanentes Schielen auf Geltung und Profit.

Meine persönliche Situation ist geeignet, das Problem zu illustrieren. Ohne meine Arbeit zu irgendeiner Kunst ins Verhältnis zu setzen, kann ich doch diese Texte und was sonst noch aus meiner, Feder fließt, nur schreiben, mich mit den Recherchen dazu nur befassen, wenn ich nebenher meinen Lebensunterhalt in irgendeiner Form gewährleisten kann. Ich nehme dabei in Kauf, daß mein Broterwerb nicht meinen gesamten Intellekt fordert und dementsprechend gering honoriert wird. Also das "Diogenes-in-der-Tonne"-Prinzip. Hinwiderum muß ich bei der Literaturbewältigung, den Recherchen, meiner Stilbildung enorme Abstriche in Kauf nehmen, da ich meinen Job nun mal auch noch zu erledigen habe. Weitere Einnahmen stehen mir nicht zu Diensten, so daß ich zu diesem Balanceakt genötigt bin. Insofern ist mein Artikel "Bildung" im 1.Volumen des "Landboten" natürlich ungerecht: Stellt er doch die Unbildung selbst intellektueller Kreise erschüttert fest, ohne dabei deren oft überstrapazierten Tag zu bewerten, der allein der Ausübung des Berufes gewidmet ist. Mit Staunen neben die von mir Beschossenen zur Kenntnis, über welch ein Zeitkontingent ich immer noch verfüge, um mir mein Wissensreservoir einzuverleiben.

(Auch muß ich ehrlich zugestehen, daß ich unter Zeitdruck und während der Arbeitswoche weitaus effektiver arbeite, als an müßigen Tagen, die eine umfangreiche Auseinadersetzung mit dem Stoff vollauf gestatten würden - sicher eine Machtdemonstration des Inneren Schweinehundes!)

Vielleicht kann man also sagen, das Brot sollte die Kunst erhalten, ihr dienen - nicht umgekehrt. Wo das Brot zu diktieren beginnt, Vorgaben entwirft, Prämissen und Grenzen setzt, läuft jegliches Werk Gefahr, den künstlerischen Anspruch aus den Augen zu verlieren.

Kunst, wenn sie denn authentisch bleiben will, muß unabhängig sein - zumindest von der Diktatur des Brotes und der Eitelkeit. Sie muß in der Lage sein, eine klar erkennbare Aussage zu treffen. Und - das vergesse man nie - Kunst kommt von "Können" und nicht von hinhudeln, oder gesellschaftlichen Beziehungen oder gar von "Interpretations-Nötigung". Insofern ist per se schon mal alles suspekt, was unter diesen Aspekten fabriziert wurde.

Ich habe in diesem Beitrag außer Acht gelassen, daß natürlich das, was als Kunst empfunden wird, immer im Auge des Betrachters liegt. Insofern sind die Grenzen zwischen Kunst und Nonsens natürlich fließend und werden von jedem anders gesteckt und beurteilt. Über Geschmack läßt sich schwerlich streiten. Wenn man jedoch weiterhin unter diesem sehr kontrovers angegangenen Begriff in einem akzeptablen Rahmen dasselbe verstehen will, so ist eine gewisse Klassifizierung, eine basale Einigung über grundlegende Gemeinsamkeiten in der Beurteilung von Kunst unumgänglich.

Es ist mir natürlich durchaus klar, daß sich der Tenor dieses Beitrages auf denkbar dünnem Eise bewegt. Deshalb sei an dieser Stelle abschließend darauf hingewiesen, daß sich hier nur ein gedanklicher Prozeß spiegelt, der keinen Anspruch auf die absolute Wahrheit erhebt. Wenn ich erreicht haben sollte, daß der Leser eigene Überlegungen zum Thema anstellt, so hätte der Artikel schon seinen Zweck erfüllt. Die resultierenden Standpunkte mögen sich dabei sogar grundsätzlich von den an dieser Stelle vorgetragenen unterscheiden. Das spielt keine Rolle. Das ist die Freiheit der Kunst.

1.Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2003