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Bildung

B. St. Fjøllfross
"Da steh' ich nun, ich armer Tor und bin so schlau als wie zuvor..." Die legendären Worte aus den ersten Versen des Doktor Faust. Formuliert und Fausten in den Mund gelegt vom deutschen Dichterfürsten Johann Wolfgang von Goethe. Faust! Das Deutsche Nationalepos neben dem Nibelungenlied schlechthin.

Zitiert von einem Arzt während einer Mittagspause in der Kantine eines großen deutschen Krankenhauses. Dieser studierte Mann saß nicht alleine an seinem Tisch. Eine Kollegin teilte seine Gesellschaft. Und eine einfache Krankenschwester. Nun entbrannte das Gespräch um die Quelle jenes Zitates. Dieser Umstand für sich genommen bezeichnet schon den eklatanten Verfall der Kultur in Deutschland. Es ist eine Schande. Während der Zitierende über die Herkunft des geflügelten Wortes gar nichts zu sagen wußte, näherte sich die Kollegin schon mit dem Tip "Schiller" zumindest dem Kreis des wahren Autors an, während die Schwester wenigstens fragend auf Goethe verwies. Fragend? Nun ja. Man kann davon ausgehen, daß sie es wußte. Aber im Beisein studierter Leute, die solche Defizite in klassischer Bildung offenbaren, wird eine "einfache" Frau doch verständlicherweise von einer gewissen Unsicherheit befallen. Aber, um Himmel Willen, steht denn die Welt auf dem Kopf?

Was zum Teufel passiert hier?

Wir erleben hier nichts weniger als die deutlichen Symptome des Untergangs der Deutschen als Kulturnation. In Folge werden wir Zeugen ihres Verschwindens als ernstzunehmende Wirtschaftskraft.

Warum? Weil es ein grundsätzliches Problem in der Haltung des akademischen Nachwuchses zeigt. Wer, wenn nicht die geistige Elite soll denn Vorbildfunktion abgeben für den Rest eines Volkes? Ist man sich im Klaren darüber, was passiert, wenn die Dummschwätzer, Kakophoniker, Berufsidioten und andere geistige Tiefflieger die jetzige Tendenz erfolgreich fortsetzen und die angesprochene Vorbildfunktion handstreichartig übernehmen? In verschiedenen anderen Artikeln haben wir uns schon dieses Problems angenommen und von verschiedenen Seiten beleuchtet. Auch die sich daraus ergebenen Konsequenzen sind schon hinreichend besprochen worden.

Doch der Anlaß dieses Beitrags ist ein Menetekel - ein untrügliches Zeichen an der Wand. Eine Lotleine, über welch schauderhaften Abgründen wir mittlerweile angekommen sind. Und wir beginnen als Volk hilflos abzutreiben.

Die derzeitige Rezession ist auf diesem Boden der Verblödung und der Hinwendung zu den Prinzipien des schnellen Dollars gewachsen. Sie ist keine vorübergehende Erscheinung. Sie manifestiert sich. Sie wird stabil.

Wer seine Interessen an dieser Welt in einem solch sträflichen Maße einschränkt und universale Bildung vernachlässigt oder gar ablehnt, sich statt dessen nur noch animalischer Bedürfnisbefriedigung im weitesten Sinne widmet, macht sich mitschuldig an dieser verhängnisvollen Entwicklung.

Klassische und universelle Bildung verkörpern einen freien und unabhängigen Geist, einen Geist der einzig zur Toleranz und zur Setzung ethischer Normen fähig ist. Ohne diesen Geist, der eine Gesellschaft zu prägen in der Lage ist, werden Raubtierkapitalismus und Ellenbogenmentalität um sich greifen wie eine grassierende Seuche. Im übrigen erzwingt klassische Bildung die Kenntnis des Vergangenen. Wer sich aber seiner Herkunft nicht bewußt ist, wird sich kaum selbst objektiv einordnen und gleich gar nicht einbringen können. Er schaut nur nach den eigenen nächstliegenden Bedürfnissen und verkommt somit auf ein Niveau, das weit vor dem des Neolithikums anzusiedeln ist. Davor schützt auch die Fassade eines modernen Menschen nicht.

Bildung ist ein Rohstoff, und kein fossiler, sondern ein durchaus erneuerbarer. Man muß ihn täglich erneuern. Ich wage zu behaupten, daß dieser Rohstoff der wichtigste Energieträger schlechthin ist. Ohne ihn sind die anderen Ressourcen von Sonne bis Erdöl kaum nutzbar. Aber das nur nebenbei. Ich sage "kaum", weil Fachidioten natürlich eine Weile in der Lage sein werden, das Getriebe einer modernen Gesellschaft in Gange zu halten. Sie werden sicherlich auch konzertiert operieren können. Aber es ist so sicher wie das Amen in der Kirche, daß eine Gesellschaft ohne ernstzunehmende Kultur - und die gründet sich nun mal unter anderem auf klassische Bildung - innerlich verödet und in Folge dessen verarmt, sowohl seelisch als auch materiell.

Dieser Umstand eben macht Bildung zu einem echten Rohstoff. Man besehe sich die deutschen Mittelgebirge Harz und Erzgebirge. Als deren Silbervorkommen erschöpft waren, ging es mit dem Wohlstand dieser Regionen rapide bergab.

Ein Loriot-Streifen aus den siebziger Jahren unterstreicht die hier getroffenen Feststellungen. Während man zur Zeit dieser Aufnahmen wahrscheinlich mehr über die alltäglichen kleinen Pannen lachte, die der Lord unter den deutschen Komikern so unübertrefflich und scharfsinnig überzeichnete, belächelt der heutige Zuschauer wohl eher die Förmlichkeit und die Etikette des karikierten Bildungsbürgertums. Die Verhältnisse haben sich verkehrt. Es ist ja nicht so, daß nur die Kultur der klassischen Allgemeinbildung gelitten hätte. Auch die Formen des Umganges miteinander sind einer rasenden Inflation zum Opfer gefallen. Höflichkeit und sorgfältige Wahl des sprachlichen und gestischen Ausdrucks werden als ähnlich antiquiert empfunden wie seinerzeit Allongeperrücke oder Staatslivree. Auch hier wurde gnadenlos rationalisiert. Bildungs- und Umgangskultur wurden auf Zweckmäßigkeit und Profitdenken zurechtgestutzt.

Bei letzterer gibt es keine Pufferzonen mehr. Umgangsformen heißen jetzt political correctness. Diese jedoch kennt nur noch scharf umrissene Grenzen, von deren Übertretung sich ganze Legionen von Rechtsanwaltskanzleien ernähren. Auch dies trägt zur Vereisung des gesellschaftlichen Klimas bei.

Und jetzt frage ich: Wo entstanden die frühen Hochkulturen, mit großen Fähigkeiten in Organisation und Logistik, Politik und Produktivität? Bei den Eskimos im hohen Norden oder unter der warmen Sonne der gemäßigten Zonen? Sehen Sie, Vereisung ist keine Frage der Temperatur. Sie kann auch einen Zustand des Miteinanders in einer Gesellschaft beschreiben. Die Effekte sind langfristig gesehen dieselben.

Während seines "Osterspazierganges" sagt Faust: Vom Eise befreit sind Strom und Bäche durch des Frühlings holden belebenden Blick - im Tale grünet Hoffnungsglück..."

Der allmächtige Vater Israels sende Deutschland den Frühling. ER sende ihn in Gestalt einer Jugend, die der Blödheit ihrer Elterngeneration überdrüssig sich wieder für die Leistungen ihrer Urgroßmütter und -väter zu interessieren beginnt, für deren Gedanken, Ideen und Werke. Das wäre wahres Hoffnungsglück.

Amen

1.Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2003