Baaks

zurück zum Landboten

 

zurück zur Stammseite "BÜCHER"

 

Genie der fließenden Form
Ernst Barlach in Güstrow

Kotofeij K. Bajun
Da gab es einmal die Wilhelm-Pieck-Stadt Guben und eine Stadt namens Chemnitz musste sogar siebenunddreißig Jahre lang auf ihren Namen zugunsten des Philosophen, Wirtschafts- und Gesellschaftstheoretikers Karl Marx verzichten. Das kam und ging. Güstrow aber, im Norden gelegen und das prächtige Schloss beherbergend, das einst, 1628/29, dem Kriegsherrn Wallenstein als herzogliche Residenz diente – Güstrow gab sich im Jahre 2006 einen anderen Namenszusatz: Barlachstadt. Nicht Borwin, nicht Albrecht, nicht Wallenstein oder wer sich sonst noch personell mit Güstrow verbunden hatte. Barlach, Ernst Heinrich Barlach, der Sohn Wedels in Holstein, der Künstler, das Genie – mit ihm schmückt sich jetzt das Landstädtchen, das im Dezember 1981 von dem Dachdecker Honecker zu einem riesigen Potemkin’schen Dorfe degeneriert wurde. Alles schien in diesen Tagen, als Bundeskanzler Helmut Schmidt in Güstrow weilte, unecht und aufgesetzt. Und das war es auch – bis auf die Kunst dieses Ernst Barlach.


Abb. 1 Die Lektorin des Preußischen Landboten, Mdme. Nicolette C. Colvert vor ihrer favorisierten Skulptur Ernst Barlachs - dem "Buchleser".

Dieser Mann war ein Gigant seiner Zunft, ein Zeichner, ein Bildhauer, ein Dramatiker – ein Lehrer. Was er vor allem zu lehren hatte, das war eine Menschlichkeit, die sich vor der eines Henry Dunant, eines Albert Schweitzer oder einer Mutter Theresa nicht verstecken braucht. Sicherlich mag man einwenden, die Philanthropie dieser drei großen Persönlichkeiten hätte sich in tätiger Weise um die Menschheit verdient gemacht, im direkten Kontakt mit den Leidenden.


Abb. 2 Eine Pietá, die mit der Michelangelos gleichrangig figuriert.

Doch tat Barlach dies nicht? Wer so wie er menschliches Elend in überwältigend beredten Ausdruck zu formen verstand – der musste zwangsläufig sein Herz diesem Leide so geöffnet haben, wie der Himmel weit ist. Barlach war Christ, zweifelsohne. Was für ein Werk auch immer er schuf, er vollbrachte es aus dem Aspekt des christlichen Glaubens heraus. Ein ehrlicher Glaube. Nicht theosophisch verquast, nicht sophistizierend, nicht plakativ. Jedwede Frömmelei verblasst vor dieser tief ins Herz greifenden Kunst. Da hängt der Abguss eines der wertvollsten und berühmtesten Werke Barlachs im Güstrower Dom: Der Schwebende. Und man kann kommen, wann man will. Immer sitzen Menschen vor ihm, in tiefer Andacht, beinahe schon in Mediation. Sollten sie so nicht vor dem Gekreuzigten sitzen, der die Welt überwunden hat? Macht Barlachs Schwebender dem Rebben Jeshua Konkurrenz? Vielleicht. Das hat Barlach so nicht beabsichtigt. Möglicherweise aber ist der Schwebende nur eine andere Entäußerung des armen Galiläers, der sich für die Sünden der Welt auf grauenvolle Art hat umbringen lassen. Vielleicht ist es der Rabbi, welcher der Vergeblichkeit seines Opfertodes gewahr wurde, denn wie schrieb Stefan Heym im „Ahasver“: „ ... zähle einer diejenigen, die nach ihm an Kreuz genagelt wurden und in ihrer Not schrien, 'mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen'!“ Ähnlich unergründlich und berückend „Der Geistkämpfer“. Was im Abendland kommt dieser Skulptur an Mystik gleich! Nur die „Kunst der Fuge“ aus der Feder des Meisters darf in einem Atemzuge mit diesem unvergleichlichen Werk genannt werden. Was ist es, was an Barlach so fasziniert? Sind es die fließenden, weichen Bewegungen seiner Formensprache, die sämtliche Gefühlswallungen der menschlichen Seele so trefflich aufnehmen und um den Hauch einer kaum spürbaren Winzigkeit überzeichnen? Ist es diese mitreißende Dynamik, der man sich nicht zu entziehen vermag? Im Angesicht des Schaffens dieses großen Meisters, der sich mit Giganten wie Albrecht Dürer, Tilmann Riemenschneider, Veit Stoß, Mathis Gothart-Nithart, ja sogar Michelangelo Buonarroti messen lässt, soll und muss jedes kunsttheoretische Salbader verstummen. Es muss verstummen, wie der Betrachter vor der Pietà Barlachs verstummt, welche der Schmerzensmutter im Petersdom in nichts nachsteht. Es muss verstummen, wie der arme Sünder vor Barlachs „lehrendem Christus“ verstummt.


Abb 3. Der lehrende Christus - ein epochales Werk, das durch die Jahrhunderte hallen wird!

Mit der Schaffung dieser Skulptur zog das Genie Ernst Barlach noch einmal alle Register, zu der ein begnadeter Mensch fähig ist. Hier erwacht der stille und doch das Innerste fordernde Geist des byzantinischen Christus Pantokrator zum Leben, sich vereinend mit dem ebenfalls eine grenzenlose Ruhe verströmenden, erhabenen Bild des Christus der Romanik. Es ist uns nur eine einzige Skulptur aus dieser Epoche überliefert, die von einer ähnlichen Größe des Ausdrucks getragen wird. Es ist der Erfurter Wolfram. Doch dieser dient in leicht gebückter Haltung. Der ebenfalls dienende Christus Barlachs aber sitzt vor uns, aufrecht und gerade, ein leidender Gott, und doch voller Güte, unprätentiös und dennoch dem Betrachter ins Innerste der Seele blickend. Man kommt ihm nicht aus, man kann sich ihm nicht entziehen. Es ist dasselbe Phänomen, was sich Tag für Tag in der Nordkapelle des Güstrower Doms beobachten lässt, dem Raum, den seit seinem Neuguss „der Schwebende“ erfüllt. Es kann wohl sein, dass in diesen Werken, seien sie von grandios-mystischer, religiöser Ausstrahlung erfüllt, wie die beschriebenen Skulpturen, oder stellen sie ganz profane Szenen des menschlichen Seins dar, wie „Der Lesende“ oder die vielen Situationen des gezeichneten Barlach’schen Oeuvres, oder aber nähmen sie auch nur Gestalt in einer schlichten, von des Meisters Hand geformten Vase, sich etwas vereinigt, was sonst durch Welten getrennt scheint: Das Überirdische des Ausdrucks und das ganz einfache, bodenhaftende Sujet, das weit entfernt davon ist, mit seiner Schlichtheit zu kokettieren. Einen Bauern-Bruegel verhandelt man teuer auf dem Kunstmarkt. Derbe Szenen rustikalen Alltags schmücken herrschaftliches Umfeld. Barlachs Kunst aber würde sich solchem Ambiente und solchen Intentionen auf immer verbieten. Sie entzieht sich dem, der sich eitel mit ihr zu schmücken sucht. Barlach gehört denen, welchen er zeit seines Lebens diente: Den einfachen Menschen dieser Welt. Auch darin mag das Geheimnis zu ergründen sein, das Barlach in die erste Reihe der Gottbegnadeten aufnimmt, in die Reihen derer, die den Ruf Deutschlands, eine Kulturnation zu sein, begründeten.
Welche unangreifbare Höhe dieser Ernst Barlach zum Ende seines Lebens erreicht hatte, mag aus der Tatsache erhellen, dass selbst die Nazi-Postille „Der Angriff“ in einem quälend langen Beitrag zum Tode des Meisters zwar versuchte, aus Barlach einen Kulturbolschewisten und aus seinen Werken „entartete Kunst“ zu machen, ihm aber dennoch eine bleibende und überragende Größe attestieren musste. Die heldischen Fratzen Brekers verglühten im Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs. In den Magdeburger Dom aber zog wieder das von feigen Christen aus dem Sakralbau verbannte Denkmal für den geschundenen Soldaten aller Nationen wieder ein. Barlachs Gedankenwelt obsiegte.
Insofern ist der Namenszusatz, den sich die mecklenburgische Stadt Güstrow gab, vollauf gerechtfertigt. Es ist aber eine Sache, sich mit diesem großen Namen
verkaufsträchtig zu schmücken. Ein anderer, entscheidender Aspekt aber ist die weitreichende Verpflichtung, die sich aus dem Namen Barlachs herleitet. Die Stadt, die einst seinen „Schwebenden“ hergab, um aus der Bronze Kanonen zu gießen, eine Ungeheuerlichkeit, die das aberwitzige Paradoxon vom Hügel Golgatha aufnehmend und wiederholend in die mecklenburgische Provinz trug, muss sich nunmehr darum kümmern, das Erbe Ernst Barlachs in ehernen Lettern fortzuschreiben. Von Güstrow aus soll das Barlach’sche Werk in die Welt hinaus strahlen, seine Botschaft, sein Vermächtnis, seine Geisteshaltung. Dann, und nur dann, soll es Güstrow vergönnt sein, seinen altpolabischen Namen, der ihn als Ort der Eidechsen ausweist, um einen Zusatz zu erweitern, der es auf immer zu einem Teil des Olymps menschlicher Kunst und Schaffenskraft erhebt.


Der Schriftleiter und Herausgeber des Preußischen Landboten, Hr. B. St. Fjøllfross vor dem "Geistkämpfer".

 
B
12. Volumen

© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2012

31.12.2013