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Varius Coloribus Experience

mittelalterliche Musik

K. K. Bajun
Anfang Juno 2003 kam die "Spilwut" in die Altstadt zu Brandenburg an der Havel. In ihrem Gefolge die Spielleute der Gruppe "Varius coloribus experience". Man könnte es übersetzten mit "Erfahrung durch verschiedene Farben". Diese jungen Burschen spielten auf mit der Musik, wie sie im Europa vor achthundert Jahren erklungen ist. Unsere Mütter und Väter lauschten ihr vor langer Zeit, tanzten nach ihr, hörten sie in den Wirtshäusern und auf den Jahrmärkten. Eine mitreißende, eine packende Musik, wild und doch einfühlsam; in all ihrer Feurigkeit mit traurigen Untertönen - kaum auszumachen und doch spürbar. Diese Musik faßt das Leben in Töne, so, wie das Leben wirklich ist. Sie kommt einher auf unseren alten Instrumenten, fast vergessenen Instrumenten wie dem Brummtopf, der Drehleier, dem Pommer und der Schalmei, der Fidel, den Fußschellen und den Sackpfeifen.

Diese Musik ist die Antithese zu dem oft geistlosen und aggressiven Gegröle der Sprechgesänge, das seit einigen Jahren aus Amerika kommend den alten Kontinent wie eine Schlammlawine überflutet. Solche Instrumente sucht man in ihr vergebens. Die Gitarre Spanisch-Amerikas hat die moderne Musikwelt fast völlig unterjocht. Sie dominiert von hoch bis tief, von leise bis schrill. Sie kommt elektronisch daher und peitscht ihren Hörern ihre Rhythmen ins Gehirn. Und das mit so vehementer Wucht, daß die meisten darüber das Zuhören vergessen: sie lassen sich nur noch berieseln. Das, was von diesen Ohrstöpslern konsumiert wird, ist in aller Regel nur noch tönender Hintergrund, dessen Struktur meist so zerrissen und ungerichtet aggressiv ist, wie sein Publikum. Die Ohrstöpsler ertragen die Stille oder die leisen Klänge der Natur nicht mehr. Sie wollen sich zurückziehen in eine ihnen eigene Welt, abgeschottet und isoliert von der als störend empfundenen Umwelt. Sie lenken alle verfügbaren Sinne nach innen. Es wäre aber ein Trugschluß, wollte man diesem Handeln einen meditativen Sinn unterstellen. Es geht nur um Zeitüberbrückung, um Betäubung, um Flucht vor der Realität, die sich nicht so leicht wegzappen läßt, wie ein lästiges Fernsehprogramm. Und die Geräuschkulisse - diesen "Rap" Musik nennen zu wollen, heißt ihm der Ehre zu viel zu geben - ist auf ihre Klientel zugeschnitten. Mit Chemikalien und Geräuschen zugedröhnte tumbe Deltas, um mit Huxley zu sprechen: Schöne Neue Welt!

Solche Tendenzen etwa läßt die Alte Musik nicht zu. Sie fordert zum Hinhören. Sie zwingt zum Mitgehen. Sie macht kein Hehl daraus, daß sie ein Teil des Lebens ist, dem man sich zuwenden soll, anstatt es zu fliehen. Sie setzt Akzente! Diese Werte hochzuhalten und einem breiteren Kreise zu Gehör zu bringen, daß sie wieder wenigstens ein paar neue Freunde finde - das ist das unbestrittene Verdienst solcher Könner, wie der oben genannten Truppe. Man kann ihr nur wünschen, daß ihr genau dieser Erfolg beschieden sei, vermittels des Feuers und der ungeheuren Energie, die den alten Stücken zugrunde liegt.

Mir zumindest wurde klar, daß ich genau wie die Spitze eines Eisbergs aus den Generationen herausrage, auf den Schultern meiner Väter und Mütter stehe und meine Wurzeln viele Jahrhunderte tief in diesem Boden stecken, aus dessen Tiefen diese Töne heraufklingen. Das hat nichts mit blödem Nationalismus zu tun. Aber ich folge der Überzeugung, daß jemand, der in seiner eigenen Kultur verwurzelt ist, weitaus besser die Vorzüge anderer Kulturen zu erkennen und zu schätzen vermag, als die selbsternannten Weltbürger und "Multikultis", die in ihren traumtänzerischen Wahnvorstellungen einen glückseligen Reigen beseligter Geister unter der Regie eines amorphen internationalen Kulturgebräus phantasieren. Von jedem ein bißchen - und alle sind im Paradiese angekommen! Eine Horrorvorstellung, die außer diesen "Patchwork-Hippies" niemand so recht zu teilen vermag. Insofern kann man wiederum den Spielleuten und Vaganten Dank aussprechen, denn ihre Musik hat schon unsere Eltern im gesamten mittelalterlichen Europa erfreut, lange bevor wir alle gemeinsam unter das Diktat der amerikanischen Unkultur gerieten.

Die "musica antiqua" erfreute die einfachen Leute quer durch die Alte Welt, die Tanzmusik aus der Zeit eines Neidhardt von Reuenthal und eines Oswald von Wolkenstein macht das Herz jubeln und springen. Blickt man hingegen ins Gesicht und in die Augen der Ohrstöpsler, so gähnt einem schon die Leere entgegen. Es ist dieselbe Geist- und Gedankenlosigkeit, die der kreischenden und dröhnenden, oft einpeitschenden Kakophonie zugrunde liegt, die sich den Zugang ins Resthirn ihrer Hörer usurpiert hat.

Das tägliche Überangebot an Scheinwelten, die beliebig schnell zu erreichen oder zu verlassen sind, hat Huxleys retardierte, zweibeinige Idioten formvollendet und zur Massenware werden lassen. Dieses Phänomen war in der Alten Zeit nicht bekannt. Die Menschen hatten nur diese eine Welt. In der mußten sie leben, lieben, leiden, hart arbeiten und um ihr Überleben kämpfen. Und wenn sie das geschafft hatten, dann konnten sie sich dessen freuen - zum Beispiel mit dem Tanz zu einer schönen, feurigen Estampida. Daher diese unverbildete Energie, diese sprühende Lebensfreude.

Das Gelärme aus Amerika hingegen entspringt oft Charakteren, die sich zwar selbst für originell und unverwechselbar halten, hinter der Fassade aber in aller Regel einfach nur saudoof sind. Ungebildet, pöbelnd und die Essenz ihrer sinnentleerten Existenz mit Tausenden Watt verstärkt in die Welt hinausbrüllend, nehmen sie das Gekreisch ihrer Fangemeinde und die Chartplazierungen, bzw. Abkaufzahlen ihrer CDs als Bestätigung ihrer Wichtigkeit. Aber zieh einer Sau ein güldenes Kleid an, so bleibt es doch eine Sau! Und diese einer Bosch'schen Musikhölle entsprungene Dämonen verkennen völlig, daß die Gestalten, von denen sie ihre Resonanz erhalten, zumeist genauso hohl, leer und kaputt sind, wie sie selbst.

Die Spielleute auf dem Altstadt Markt traten in mittelalterlichen Gewändern auf, ihre CDs verkaufen sich sicher nur mäßig und der spontane Beifall zu ihrer Kunst überlebt im Bewußtsein der meisten Zuhörer wahrscheinlich nur um wenige Tage. Dennoch - vor dem geschilderten Hintergrund einer krebsartig grassierenden Unkultur gewinnt das Aufspielen durch diese Musikanten eine enorme Bedeutung. Denn sie überlassen nicht kampflos das Feld der übermächtigen Entartung. Wenn das Getöse, das so viele Radiosender minütlich aus dem Äther speien, Vergangenheit sein wird - und solche "Moden" sind sehr, sehr kurzlebig - dann wird man die Musik des Mittelalters immer noch hören. Leise zwar - aber nicht mehr wegzudenken aus dem Kulturleben eines Volkes, das dann hoffentlich wieder zu sich selbst gefunden haben wird.

Zum Abschluß dieses Artikels ein kurzer Vers Herrn Walthers von der Vogelweide zitiert, der sowohl auf den einzelnen als auch den Deutschen Michel, den großen Lümmel Anwendung findet:

Nieman kann mit gerten kindeszuht beherten.
Hüetet iuver zungen, daz zimt wol den jungen-
Stoz den rigel vor die thür, las kein boese wort herfür.
Hüetet iuver ougen offenbar und tougen –
Lat sie guote site spehen und die boesen übersehen.

Her Walther von der Vogelweide

Varius Coloribus Experience hat ihn in Musik gefaßt...Nun ist es an uns, daß wir uns auf seinen Inhalt besinnen.

B 1. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2003